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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 29. November 2022 von Wolfgang Sablatnig "Was muss noch alles passieren?"
Das Parlament übersiedelt im Jänner zurück in sein historisches Gebäude an der Wiener Ringstraße. Der baulichen Sanierung muss aber die inhaltliche folgen. Das Vertrauen in die gewählten Politiker ist am Tiefpunkt.
Der „Demokratiemonitor“ der Sozial- und Meinungsforscher von SORA ist längst kein Einzelbefund mehr. Nur noch ein Drittel der Menschen in Österreich ist mit dem politischen System zufrieden.
Der Befund von SORA stützt sich auf eine Meinungsumfrage. Erst vor wenigen Tagen haben Organisationen der Zivilgesellschaft einen Expertenbefund veröffentlicht. Dieser „Demokratieindex“ brachte ein ähnlich alarmierendes Ergebnis: Acht Vereinigungen geben der österreichischen Demokratie nur 57 von 100 Punkten. Sie sei „erschrocken“, sagte Marion Breitschopf von der Transparenzplattform „Meine Abgeordneten“. Auch der „Vertrauensindex“, den die Austria Presse Agentur und das Institut OGM seit vielen Jahren regelmäßig veröffentlichen, weist stetig nach unten.
Etwas ist faul im Staate Österreich. Die Forscher von SORA nennen die „multiplen Krisen“ als eine Ursache. Klimakrise, Ibiza-Video und Korruptionsaffären, Pandemie, Krieg in Europa, Inflation. Wie zum Beleg für mangelnde Lösungskompetenz streikten gestern die Eisenbahner und legten den öffentlichen Verkehr lahm.
Zu einem guten Teil hat sich die Politik ihr Ansehen aber selbst beschädigt. Interessant ist ein Detail aus dem Demokratiemonitor: Der Vertrauensverlust betrifft in erster Linie gewählte Vertreterinnen und Vertreter, nicht Institutionen wie Justiz, Polizei und andere Behörden.
Wie aber kommen die Politikerinnen und Politiker aus dem Vertrauenstief heraus? Sie müssten sich einsichtig zeigen und sich glaubhaft von Fehlentwicklungen distanzieren. Die größere Regierungspartei ÖVP trauert aber noch zu sehr den türkisen Erfolgen unter Sebastian Kurz nach, als dass sie zu einem echten Schlussstrich bereit wäre.
Sie müssten es schaffen, Reformen zu erledigen, die Irrwege zumindest erschweren. Bundesstaatsanwalt, Korruptionsstrafrecht, Abschaffung des Amtsgeheimnisses: Was muss noch passieren, bis die Koalition auch diese Punkte auf die Reihe bringt?
Die Politikerinnen und Politiker müssten bereit sein, Konzepte und Ideen der anderen ernsthaft zu prüfen und nicht reflexartig abzulehnen. Die Opposition hat es auch in der Krise leichter. Aber immer nur mehr zu fordern, ist billig – und sägt am Vertrauen.
Die Liste lässt sich fortsetzen. Im Jänner übersiedelt das Parlament zurück in sein historisches Gebäude an der Wiener Ringstraße. Die bauliche Sanierung ist gelungen, sagen alle, die schon drinnen waren. Die inhaltliche Sanierung wird eine zentrale Aufgabe im neuen Haus. Das Sein muss dem Schein folgen, wenn wir nicht einen faulen Kern in schöner Schale wollen.
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