TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel", vom 21. August 2022, von Carmen Baumgartner-Pötz:"Kein Kreuz mit dem Kreuz"
Eine Wahl zu haben, darf einem niemals egal sein. Auch nicht bei einem vermeintlich sicheren Wahlausgang.
Innsbruck (OTS) - Den Bundespräsidenten wählen zu können, das sollte man sich nicht entgehen lassen, egal, wie (un)zufrieden man ist.
Mit einem hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen wohl Recht:
„Diese Wahl ist keine g’mahde Wiesn“, erklärte der Amtsinhaber im TT-Interview diese Woche. Das mag nach wohldosierter Koketterie klingen für jemanden, dem in einer aktuellen Umfrage 66 Prozent im ersten Wahlgang prognostiziert werden. Damit wäre nach dem 9. Oktober keine zweite Runde bzw. Stichwahl notwendig. Überraschend wäre das nicht, denn bis jetzt hat hierzulande noch kein Bundespräsident, der sich einer Wiederwahl gestellt hat, einen zweiten Wahlgang gebraucht. Aber die Zeiten haben sich massiv geändert. Und wenn wir etwas aus dem endlos weit weg scheinenden Wahljahr 2016 gelernt haben, dann ist es, dass sich wirklich niemand auf eine „g’mahde Wiesn“ verlassen sollte.
Natürlich dreht sich Van der Bellens Sager um die Wahlbeteiligung und deren Auswirkungen. Wer glaubt, nicht wählen zu gehen sei eine Option – ob aus Desinteresse, Bequemlichkeit oder Protest –, der sollte eine Nachschulung in Geschichte bekommen. Wie wertvoll es ist, in einer Demokratie mit echten Wahlangeboten zu leben, wird uns tagtäglich vorgeführt, wenn wir schauen, was sich sonst noch auf der Welt abspielt.
Noch ist nicht klar, wer am 9. Oktober aller auf dem Stimmzettel stehen wird. Im blauen bzw. rechten Wählerteich wollen gleich mehrere Kandidaten fischen. Dominik Wlazny könnte hingegen ein Angebot für die enttäuschten linken Van-der-Bellen-Wähler vom letzten Mal sein. Man muss das personelle Angebot für die Hofburg nicht berauschend finden. Doch eine (Persönlichkeits-)Wahl zu haben, das sollte man wertschätzen und sein Stimmrecht auch ausüben.
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