Leitartikel "Schlussakkord für „Geiz ist geil“" vom 18. Februar 2022 von Peter Nindler
Innsbruck (OTS) - Der Transit-Wahnsinn beginnt nicht erst am Brenner, sondern ist Ausfluss einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik mit Dumpinglöhnen sowie entkoppelten Produktionsketten. Die „Billig-Maut“ festigt lediglich ein Europa der (Transit-)Lobbys.
Von Peter Nindler
Die internationale Lkw-Flotte wälzt sich zwar abgasärmer auf den Transitachsen, zugleich steigert sich der Güterverkehr am Brenner mit all seinen Belastungen für Mensch und Umwelt scheinbar ins Unermessliche. 1994 waren es 1,14 Mio. Transit-Fahrten, im Vorjahr bereits 2,5 Millionen. Die großen Frächternationen wie Deutschland und Italien haben schließlich gemeinsam mit Brüssel den Dreh raus:
Mit ein bisschen Öko, also höheren Mauten für schadstoffreiche Schwerfahrzeuge, soll jetzt der Güterverkehr auf der Straße weiter gefördert werden. Nicht einmal durch die Hintertür, so zahlen die „sauberen Lkw“ künftig um bis zu 75 Prozent weniger an Straßenbenützungsgebühren.
Dahinter steckt eine klare Absicht: Der Wettbewerbsvorteil auf der Straße wird auf Jahre hin abgesichert, die Verlagerung auf die Schiene ausgehebelt. Obwohl die EU offiziell etwas ganz anderes behauptet. Und das Veto-Recht für Nachbarstaaten, sollte Österreich die Mautzuschläge auf besonders belasteten Autobahnen wie am Brenner um 50 Prozent anheben, schwingt sich zum Offenbarungseid für eine zentralistische Verkehrspolitik aus der Steinzeit auf. In diese Kategorie fällt nämlich die gestern im Europaparlament beschlossene neue Wegekostenrichtlinie (Eurovignette).
Eigentlich hatte der seinerzeitige EU-Verkehrskommissar Neil Kinnock schon 1995 in seinem „Grünbuch“ das Ziel von fairen und effizienten Preisen im Verkehr ausgegeben. 27 Jahre später halten Brüssel und die auch in Südtirol beheimatete europäische Transitlobby „das kranke, hochsubventionierte europäische Hin- und Hergekarre auf Grundlage billigster Mauten, billigst angemeldeter Transit-Lkw und ausgebeuteter Lkw-Fahrer vornehmlich aus den EU-Oststaaten weiterhin mit Urgewalt aufrecht“. Treffender als Transitforumchef Fritz Gurgiser kann man es nicht formulieren.
Denn die Transitpolitik lässt sich keinesfalls von sozialen Rahmenbedingungen abkoppeln. Die Lkw-Maut formt lediglich den Schlussakkord für „Geiz ist geil“. Es beginnt davor mit Dumpinglöhnen, einer Entkoppelung der Produktionsketten, dem Verlust von regionaler Wertschöpfung und speziell in Österreich mit dem Dieselprivileg. Deshalb muss anders gewirtschaftet, gerecht entlohnt und auf Klientelpolitik verzichtet werden, um das Gros des Lkw-Transits einzudämmen.
Angesichts dieser Billigschiene auf der Straße sind die zehn Milliarden Euro für den Brennerbasistunnel ein Hohn und hinausgeschmissenes Geld. Synchron dazu ist und bleibt das ignorante Nein der Bundesregierung zu einem Lueg-Tunnel ein Nackenschlag für die transitgeplagte Bevölkerung im Wipptal.
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