- 01.09.2021, 22:00:02
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TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: "Selbstverschuldet in der Tiefebene", Ausgabe vom 2. September 2021 von Karin Leitner.
Innsbruck (OTS) - Viele Chancen hätte die einst staatstragende SPÖ,
sich wieder regierungsfähig zu machen. Sie nutzt sie nicht.
Befindlichkeitsbeschau, inhaltliche und personelle Differenzen
überlagern die Botschaften in Rot.
A ngesichts der Lage müssten die Roten eigentlich in einer Hochphase
sein. Die Koalitionäre zanken zusehends öffentlich. Türkise und Grüne
sind wieder in ihren jeweiligen Welten – was den Umgang mit
Flüchtlingen aus Afghanistan, mit Arbeitslosen und die Umweltpolitik
anlangt. Gegen hochrangige ÖVPler ermitteln Staatsanwälte, dem
Kanzler droht eine Anklage wegen des Verdachts der Falschaussage im
U-Ausschuss. Die Kritik am Corona-Management wird heftiger, wie schon
vergangenen Sommer sei nicht alles getan worden, um eine
Herbst-„Welle“ zu verhindern. Die Kollateralschäden, verursacht
durch die Pandemie, werden größer.
Von all dem müsste die größte Oppositionspartei profitieren. Mit
Pamela Rendi-Wagner hat sie eine Frau mit medizinischem Know-how an
der Spitze. Der Grundwert der Sozialdemokraten – Einsatz für die
finanziell Schwächsten – ist aktuell wie seit Langem nicht. Die
Grünen, die sich auch als Sozialpartei werten, fallen
regierungsbedingt als dahingehender „Konkurrent“ aus.
Die SPÖ kommt dennoch nicht aus der Zuspruch-Tiefebene. Wegen eigener
Schwäche. Eine der Zeit angepasste „Erzählung“, mit der vermittelt
wird, warum Sozialdemokraten Jahrzehnte nach Victor Adler und Bruno
Kreisky noch vonnöten sind, gibt es nicht. Auf dem Werktisch gäbe es
viel: Arbeitslosigkeit, zu hohe Mieten, Existenzängste, die
wachsende Diskrepanz zwischen denen, die immer weniger, und jenen,
die immer mehr haben, Pflegenotstand. Ein Vorschlagerl hier, eines da
– aber keine stringent kommunizierte Linie der einst staatstragenden
Partei. Die Kampagnenfähigkeit ist perdu. Auch weil die
Parteizentrale vom Gewicht her zu einem Zenträlchen geworden ist.
Stark ist die SPÖ in einem: darin, sich mit sich selbst zu
beschäftigen. Das hat sich bei den TV-„Sommergesprächen“ mit
Rendi-Wagner erneut gezeigt. Zu Befindlichkeiten musste sich die
Vorsitzende äußern, zu internen Querelen, etwa auch zum nicht neuen
Gwirks mit der Position zu Migration und Asyl. Die Causa Afghanistan
hat es wieder offenbart. Statt sich mit den Meinungsdissonanzen zu
befassen, beklagen Rote die Fragen der Interviewerinnen dazu.
Journalisten sind die falschen Adressaten. Gefragt sind die Oberen
der Partei. Wie wollen sie ihre Nummer 1 vermarkten, wenn sie
vermitteln, dass ein Teil der Funktionäre nicht hinter dieser steht?
Es sollte ja nicht in einen nordkoreanisch anmutenden Personenkult
wie bei den Türkisen ausarten, eine Chefin, die ständig sagen muss,
dass sie die Richtige an der Spitze ist, schafft aber kein Vertrauen.
Es mindert es.
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