- 23.09.2018, 22:00:01
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Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 24. September 2018; Leitartikel von Gabriele Starck: " Selbstdemontage aus falscher Rücksicht"
Innsbruck (OTS) - Ein bayerischer Parteichef läuft seit Monaten Amok
in Berlin. Sowohl Kanzlerin Merkel als auch Ministerpräsident Söder
glauben, nach der Bayernwahl sei das Kapitel Seehofer ohnehin zu
Ende. Doch inzwischen könnte es sie selbst treffen.
In drei Wochen ist es zu spät. Darauf zu warten, dass das
vorhergesagte Wahldesaster in Bayern CSU-Parteichef Horst Seehofer
demontiert, ohne dass sich jemand zum Königsmörder aufspielen muss,
droht nach hinten loszugehen. Nicht nur für die Bundesregierung in
Berlin, sondern auch für Ministerpräsident Markus Söder in München.
Zum wiederholten Male hat es Horst Seehofer geschafft, die mühsam
geschmiedete Koalition aus Union und SPD binnen eines halben Jahres
an den Abgrund zu führen, und: Exakt ein Jahr nach der Bundestagswahl
haben heute zwei Drittel der Deutschen kein Vertrauen in die GroKo
mehr. Und eine Mehrheit bekäme sie derzeit auch nicht.
Dabei sind es – scheinbar – Lächerlichkeiten, mit denen der Bayer
die Nerven seiner Regierungspartner aufs Äußerste strapaziert.
Kompromissbereitschaft, wie sie nun einmal Koalitionen voraussetzen,
gibt es für Seehofer nicht mehr. Ein Einlenken kommt nur in Frage,
wenn er nachher auch als Sieger dasteht. Das war mit Geheimdienstchef
Hans-Georg Maaßen so, der als Schmerzensgeld für seine Absetzung
befördert werden sollte. Das war auch bei den Zurückweisungen von
registrierten Asylwerbern an der Grenze so. Dieser Streit im
Frühsommer lähmte nicht nur Berlin wochenlang, sondern die gesamte
EU. Und das wegen einer Handvoll Menschen an der
deutsch-österreichischen Grenze. Doch es ging in beiden Fällen auch
um Grundsätzliches – um den Schutz von Demokratie und Verfassung
sowie um internationales Recht.
Und genau das wollten weder Kanzlerin Angela Merkel noch
SPD-Chefin Andrea Nahles bislang aufs Spiel setzen, indem sie die
Regierung platzen lassen. Also ließen sie Seehofer gewähren. Merkel
allerdings auch aus Rücksicht der CSU gegenüber, weil sonst die Union
daran zerbräche.
Natürlich ist auch Seehofer klar, dass seine Zeit als Parteichef
und damit auch seine Karriere nach der Landtagswahl am 14. Oktober
schnell zu Ende sein dürfte. Doch das Spiel könnte auch anders
ausgehen, und die Zeit arbeitet für ihn. Seehofer hat die
strategischen Vorteile auf seiner Seite und weiß das zu nützen. Geht
seine Rechnung auf, hat er zwar die GroKo zerschmettert und seine
Partei in Bayern aufs Mittelmaß zurückgestutzt, dafür aber wäre er
auch seine beiden Lieblingsfeinde los: Angela Merkel und Markus
Söder.
Die Christsozialen sollten schon aus Selbsterhaltungstrieb die
Notbremse ziehen und Seehofer noch vor der Wahl ablösen.
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