Presserat zu nicht gekennzeichneter Wahlwerbung
Wien (OTS) - Der Senat 1 des Presserats beschäftigte sich mit dem Beitrag „Sebastian Kurz – seine Familie, seine Wurzeln“, erschienen in der Zeitschrift „Die ganze Woche“ vom 27.09.2017. Nach Meinung des Senats verstößt dieser Beitrag gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse, weil er nicht ausreichend als Werbung gekennzeichnet wurde.
Im Beitrag wird auf die Kinder- und Jugendjahre von Sebastian Kurz eingegangen und es werden die positiven Seiten des Politikers hervorgekehrt. Er wird als tierliebender, wertebewusster Familienmensch dargestellt. Die Veröffentlichung unterscheidet sich in Hinblick auf Formatierung und Schriftbild nicht von den übrigen Artikeln der Zeitschrift. Im linken oberen Eck des Beitrags ist in einem 90-Grad-Winkel und in sehr kleiner Schrift der Vermerk „Anzeige“ angebracht. Ansonsten gibt es keinen Hinweis darauf, dass es sich um eine bezahlte Anzeige handelt. Die „Die ganze Woche GmbH“ hat von der Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme sowie der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung keinen Gebrauch gemacht.
Der Senat vertritt die Ansicht, dass die Kennzeichnung der Veröffentlichung als bezahlter Beitrag nicht ausreicht. Die Kennzeichnung fällt nicht auf und ist kaum lesbar. Im vorliegenden Fall ist die Wahl-Werbung für Sebastian Kurz offenbar bewusst wie ein redaktioneller Inhalt präsentiert worden. Die Veröffentlichung gleicht in ihrem Schrift- und Erscheinungsbild den redaktionellen Beiträgen der Zeitschrift. Das verstößt gegen die Punkte 3 (Unterscheidbarkeit) und 4 (Einflussnahme) des Ehrenkodex. Den Lesern muss es möglich sein, zwischen (bezahlter) Werbung und redaktionellen Beiträgen unterscheiden zu können, so der Senat. Die tatsächlichen Verhältnisse wurden verschleiert und die Leser wurden in die Irre geführt. Dem Senat ist es bewusst, dass sich Medien im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit für eine politische Partei oder für einen Kandidaten für ein politisches Amt aussprechen und sogar eine Wahlempfehlung an ihre Leser abgeben können. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass von politischen Gruppierungen bezahlte Veröffentlichungen nicht als solche gekennzeichnet werden müssen, wenn sie wie ein redaktioneller Bericht ausgestaltet sind.
Der Senat fordert die Medieninhaberin auf, den Verstoß gegen den Ehrenkodex freiwillig in der Wochenzeitung „Die ganze Woche“ zu veröffentlichen oder bekannt zu geben.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig. Im vorliegenden Fall führte der Senat 1 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Die Medieninhaberin der Wochenzeitschrift „Die ganze Woche“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht. Die Medieninhaberin der Wochenzeitschrift „Die ganze Woche“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats bisher nicht anerkannt.
Rückfragen & Kontakt:
Tessa Prager, Sprecherin des Senats 1, Tel.: 01/21312-1169