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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" Mittwoch, 10. August 2016, von Mario Zenhäusern: "Unabhängig, nicht unpolitisch"
Innsbruck (OTS) - In einer politischen Abstimmung hat der
ORF-Stiftungsrat den von der SPÖ unterstützten Alexander Wrabetz für
eine dritte Amtszeit als Generaldirektor gewählt. ÖVP-Mann Richard
Grasl zog sich mit Anstand aus der Affäre.
Der Kampf um den Posten des neuen ORF-Generaldirektors ist
entschieden. Mit knapper Mehrheit wählte der Stiftungsrat Alexander
Wrabetz, der damit seine dritte Amtszeit antritt, an deren Ende er
der am längsten dienende ORF-Chef aller Zeiten sein wird. 2011, bei
seiner ersten Wiederwahl, hatte der 56-jährige Medienmanager noch 29
von 35 Stimmen erhalten. Gestern sprachen ihm lediglich 18 der 35
Stiftungsräte das Vertrauen aus. Das hat weniger mit seiner Bilanz
als ORF-Chef zu tun – die hätte wahrscheinlich in jedem privaten
Unternehmen locker für eine Wiederbestellung ausgereicht – als
vielmehr mit dem großen Handicap, mit dem der ORF seit seiner
Gründung zu kämpfen hat: der politischen Einflussnahme.
Das Match Alexander Wrabetz gegen Richard Grasl stand und steht
stellvertretend für das Duell SPÖ gegen ÖVP. Die Wahl des
ORF-Generaldirektors geht zwar formell im Stiftungsrat über die
Bühne, allerdings lassen sich weit mehr als zwei Drittel der
Mitglieder dieses Gremiums einer Partei zuordnen. Das Wahlergebnis
ist denn auch keine Überraschung: Abgestimmt wurde exakt entlang der
Parteilinie. So betrachtet ist der Wahlausgang ein knapper Sieg für
die SPÖ und eine Schlappe für die ÖVP. Richard Grasl hat sich zwar
mit Anstand aus der Affäre gezogen und den Stiftungsräten auch ein
interessantes Programm vorgelegt, letztlich aber ist er der große
Verlierer.
Politischer Einfluss auf Medien hängt immer von den handelnden
Personen ab. Grasl verkörpert diese These wie kein zweiter. Als
früherer Chefredakteur des ORF in Niederösterreich hat er (viel zu)
oft erlebt, wie sich die Politik ins Tagesgeschäft einmischt. Die
Bundesland-Sendung „Niederösterreich heute“ wird in Insiderkreisen
heute noch gern als „Pröll-TV“ bezeichnet. Davon können andere
Landeshauptleute nur träumen.
Bundeskanzler Christian Kern hat im Interview mit der Tiroler
Tageszeitung behauptet, es habe in der Ära des ORF noch nie eine
Phase gegeben, in der die Politik so wenig Einfluss auf
Programminhalte ausgeübt hat wie jetzt. Der zugegeben subjektive
Befund gibt ihm recht. Der politische Einfluss bleibt trotzdem
aufrecht, das garantiert allein die Zusammensetzung des
Stiftungsrats. Das zu ändern, wäre eine lohnenswerte Aufgabe für die
Regierung. Bis es soweit ist, würden wir uns mit einem zwar nicht
unpolitischen, aber in seinen Entscheidungen und in seiner
Berichterstattung unabhängigen ORF begnügen.
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