• 22.10.2014, 19:00:34
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DER STANDARD-Kommentar: "Kurswechsel in der EU-Kommission" von Thomas Mayer

Präsident Juncker will Wirtschafts- und Währungspolitik mit sozialer Dimension. ET 23.10.2014

Utl.: Präsident Juncker will Wirtschafts- und Währungspolitik mit
sozialer Dimension. ET 23.10.2014 =

Wien (OTS) - Fast auf den Tag genau fünf Monate nach den Europawahlen
hat Jean-Claude Juncker ein erstes Ziel erreicht. Seine Kommission
wurde vom EU-Parlament mit einer komfortablen Mehrheit bestätigt.
Vielen erscheint das viel zu lange zur Bildung einer "Regierung" in
Brüssel. Aber die Regeln des geltenden EU-Vertrages geben nicht viel
mehr her.
Es müssen bei 28 Staaten ziemlich viele Einzelinteressen abgearbeitet
werden. Dazu kommt, dass die nationalen Regierungschefs den
Auswahlprozess stark bremsten, weil sie zuerst den Spitzenkandidaten
und Wahlsieger Juncker lange nicht als nächsten Präsidenten
bestätigen wollten, dann bei der Kandidatennominierung auch noch viel
Pfusch vorlegten - etwa kaum Frauen vorschlugen.

Aber das Parlament hat seinen Willen letztlich durchgesetzt, so wie
Juncker stark in die Personalauswahl eingegriffen hat. Es gäbe also
einigen Reformbedarf, um den Bestellungsvorgang qualitativ besser und
effizienter zu gestalten - auch bei den Anhörungen im EU-Parlament.
Bei manchen parteitaktischen Spielchen der Abgeordneten und
willkürlichen Befragungskriterien gehörte nachgebessert.

Aber es ist im Prinzip schon jetzt nicht schlecht, wie sehr eine neue
Kommission öffentlich getestet wird. So können sich interessierte
Bürger seit Wochen ein Bild vom politischen Programm machen, das sie
erwartet, von Personen und Parteien.

Die Juncker-Kommission kann sich in den nächsten Jahren der
Unterstützung vonseiten dreier berechenbarer Fraktionen in Straßburg
sicher sein - der Christdemokraten, der Sozialdemokraten und der
Liberalen. Auch wenn Mehrheiten bei bestimmten Gesetzesmaterien auch
noch nach nationalen Interessen schwanken: Diese politischen Lager
sind es, die die künftige Politik in Brüssel tragen.

Das bildet sich in der Zusammensetzung des Kommissarsteams so ab.
Fast die Hälfte der Kommissare kommen aus der EVP, die die Wahlen
gewonnen hat. Etwa ein Drittel sind Sozialdemokraten. Ein halbes
Dutzend entstammt liberalen Parteien - darunter auffallend viele
Frauen, die starke "Portfolios" (sozusagen die Ministerien in
Brüssel) führen werden. Juncker hat darauf bestanden und im Parlament
wieder betont, wie lächerlich gering der Frauenanteil mit neun von 28
Kommissaren ist.

Die andere, die politische Seite seiner geplanten Gestaltungsarbeit
ist noch wichtiger. Wenn er einhält, was er versprochen hat, steht in
Brüssel ein echter politischer Kurswechsel bevor. Er hat drei
Hauptaspekte. Erstens: Es beginnt bei der Sprache. Anders als sein
Vorgänger José Manuel Barroso redet Juncker einfach, langsam, ohne
Technokratenkauderwelsch, sodass einfache Bürger seine Politik
verstehen können. Anders als Barroso versteht er "seine" Kommission
nicht als Verwaltung, sondern als Gegengewicht zu den nationalen
Regierungen.
Das verspricht zweitens ein_Mehr an europäischer Demokratie, wenn er
sein Versprechen einhält, das EU-Parlament als gleichrangig zu
betrachten.

Die dritte Änderung: Juncker hat das Ende der reinen Sparpolitik
ausgerufen, des Fetischismus für Wirtschafts- und Währungspolitik,
die wenig Rücksicht auf die soziale Lage der Menschen, auf die
Bedürfnisse breiter Gesellschaftsschichten nimmt. Ökologie kommt
jedoch viel zu kurz. Das wird ihm Riesenärger mit Deutschland
einbringen. Aber Europa wird es trotzdem guttun. Der Mensch muss in
der EU im Mittelpunkt stehen.

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