- 17.04.2014, 17:52:44
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DER STANDARD-Kommentar: "Putin'sche Dörfer" von Josef Kirchengast
"Der Westen muss sich auf einen langen Konflikt mit Russland einstellen"; Ausgabe vom 18.4.2014
Utl.: "Der Westen muss sich auf einen langen Konflikt mit Russland
einstellen"; Ausgabe vom 18.4.2014 =
Wien (OTS) - Deeskalation heißt das Zauberwort. Dazu müsse Russland
im Ukraine-Konflikt bewogen werden, mit geduldiger Diplomatie und,
wenn die nichts fruchtet, mit schärferen, auch wirtschaftlichen
Sanktionen. Das Genfer Treffen war ein weiterer Versuch in diesem
westlichen Krisenmanagement, das so alternativlos ist, wie es hilflos
erscheint.
Denn wenn Kremlchef Wladimir Putin an einer Entspannung interessiert
wäre, gäbe es die gewaltsame Konfrontation in der Ostukraine nicht.
Dann wäre es auch nicht zur Annexion der Krim in dieser Form
gekommen. In seiner großen Fernsehshow hat Putin jetzt nicht nur
russische Militärpräsenz auf der Halbinsel vor der Annexion
zugegeben, sondern sich auch das Recht vorbehalten, in der Ostukraine
militärisch zu intervenieren. Die Botschaft an die Landsleute ist
klar: Nur wenn Russland Stärke zeigt, wird es vom feindlichen Westen
und seinen Kiewer Bütteln respektiert.
Und deshalb ist Putin-Russland nicht an Stabilisierung einer Ukraine
unter prowestlicher Führung interessiert. Voraussetzung dafür ist ein
regulärer Verlauf der Präsidentschaftswahlen am 25. Mai. Dann hätte
die Ukraine eine demokratisch einwandfrei legitimierte Spitze. Die
Wahrscheinlichkeit, dass diese Führung einen kremltreuen Kurs
steuert, scheint äußerst gering. Also ist es aus Moskauer Sicht nur
konsequent, dafür zu sorgen, dass ein unerwünschtes Wahlergebnis
unter Hinweis auf irreguläre Verhältnisse angezweifelt werden kann.
Das ist das kurzfristige Ziel. Mittelfristig geht es Putin darum, die
Lage in der Ukraine zumindest so labil zu halten, dass Moskau
weiterhin entscheidenden Einfluss nehmen kann. Denn die Ukraine ist
vor allem psychologisch ein Schlüsselelement in Putins Projekt einer
Wiedererrichtung der Weltmacht Russland. Ohne die Ukraine hätte die
geplante Eurasische Union noch weniger Strahlkraft als bisher. Geht
die historische Wiege der russischen Nation den Weg einer westlich
ausgerichteten Demokratie, wäre Putin auch bei der derzeit so
euphorischen eigenen Bevölkerung desavouiert.
Dies umso mehr, als die Aussichten für Russlands extrem
rohstofflastige Wirtschaft nicht sonderlich günstig sind. Erfolge bei
der Umstrukturierung sind kaum sichtbar. Offenbar als Ersatz dafür
lässt Putin eine neue Kulturpolitik formulieren. Sie soll Russlands
zivilisatorische Einzigartigkeit im globalen Wettbewerb
herausstreichen. Worin diese besteht, außer in der Ablehnung
westlicher Dekadenz, wird nicht klar. Stattdessen fühlt man sich an
die berühmten Potemkin'schen Dörfer erinnert.
Das macht die Sache für den Westen nicht leichter. Hält Putin an
seinem Kurs gegenüber der Ukraine (und anderen Ländern der
Ex-Sowjetunion) fest, werden Wirtschaftssanktionen unvermeidlich. Sie
werden auch die Europäer treffen, Stichwort Energieversorgung.
Mindestens so wichtig aber ist eine westliche Russland-Strategie, die
die Zeit nach Putin (vermutlich ab 2024) im Auge und die russische
Zivilgesellschaft im Fokus hat.
Auch jetzt gibt es ja selbst in Putins Nähe nicht nur Putinisten. So
sagt Wladimir Tolstoi, Ururenkel Leo Tolstois und kulturpolitischer
Berater des Kremlchefs, bei den wichtigsten Errungenschaften der 20
Jahre alten russischen Verfassung gehe es um "unerschütterliche
Normen". Damit meint er nicht etwa Bauregeln für Potemkin'sche
Dörfer, sondern so etwas Profanes wie das Verbot der Zensur.
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