TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 3. Jänner 2014 von Wolfgang Sablatnig "Was von der Volkspartei übrig blieb"
Innsbruck (OTS) - Utl.: Mit nicht einmal mehr 25 Prozent kann die ÖVP derzeit bestenfalls davon träumen, eine Volkspartei zu sein. Günther Platters Empfehlung ist eine mögliche Gegenstrategie. Die Bundespartei versucht andere Wege.
Es passt ins Bild, dass ausgerechnet Landeshauptmann Günther Platter seiner ÖVP empfohlen hat, auf Bundesebene mit den Neos inhaltliche Partnerschaften zu suchen. Ob es die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen ist, ob die Koalition mit den Grünen im Innsbrucker Landhaus, ob der laute Protest gegen die Eingliederung des Wissenschaftsressorts ins Wirtschaftsministerium: Platters Antwort auf die politische Konkurrenz, die der ÖVP von allen Seiten Stimmen abzieht, ist der Versuch einer Öffnung, um so für möglichst weite Kreise der Bevölkerung interessant - und wählbar - zu bleiben.
Mit all diesen Schritten stößt Platter mitten hinein in das strategische Dilemma der ÖVP. Die inhaltliche Breite von den Bauern über die Unternehmer bis hin zu den Arbeitnehmern mag früher ein Segen gewesen sein. Darüber spannte sich als verbindendes Element das Dach des christlich-sozialen Weltbildes.
Diese verbindende Wirkung hat die Religion aber verloren. Dort, wo Einzelinteressen in den Vordergrund rücken, geht bei den Wählern der Blick auf das große Ganze schnell verloren - und schon sind die Stimmen weg. Die ÖVP spürt dieses Ziehen von vielen Seiten, umso mehr, wenn eine Partei wie die Neos im schwarzen Umfeld entsteht. Platters Antwort auf diese Entwicklung lautet Öffnung und Breite - im Stil einer traditionellen Volkspartei, die in Tirol noch immer über eine Mehrheit von 40 Prozent oder sogar mehr verfügt. Seine Grenzen zieht Platter dort, wo er Tiroler (Macht-)Interessen verletzt sieht. ÖVP-Bundesobmann Michael Spindelegger hingegen kann vom Wählerzuspruch Platters bestenfalls träumen - und auch das nicht mehr wirklich. Nicht einmal jeder vierte Wähler hat im September sein Kreuzerl noch bei den Schwarzen gemacht, die Tendenz zeigt vorerst weiter nach unten.
Spindeleggers Antwort ist der Rückzug auf das geschrumpfte Kernpublikum: Auf Pensionssicherung, das Nein zu Steuererhöhungen und das Nulldefizit können sich alle Schwarzen einigen. Darüber hinaus soll niemand verschreckt werden, der der ÖVP noch die Treue hält. Am Land mag diese Strategie funktionieren. Dort sitzen mit den Bauern ja auch die treuesten Anhänger der Schwarzen. In den Städten ticken die Uhren aber längst anders. Auch in Innsbruck übrigens, dort hat die ÖVP bei den jüngsten Wahlen die Mehrheit an die Grünen verloren.
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