• 15.07.2012, 18:14:10
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"DER STANDARD"-Kommentar: "Kein starker Mann für Europa" von Eric Frey

Die Direktwahl des EU-Chefs ersetzt nicht die mühsame Suche nach Kompromissen (Ausgabe ET 16.07.2012)

Wien (OTS) - Die Direktwahl eines EU-Präsidenten, die der
Luxemburger Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker nun in einem
Spiegel-Interview aufs Tapet gebracht hat, ist einer der ältesten
Träume europäischer Integrationisten. Die Logik dahinter ist
bestechend: Damit Europa funktioniert, muss es schneller
zusammenwachsen. Doch für ein vereintes Europa nach dem Vorbild der
USA_fehlt ein gemeinsames Staatsvolk, das europäisch und nicht nur
national denkt.

Die demokratischen Prozesse verstärken die Hinwendung der Bürger zum
eigenen Staat: Gewählt werden immer nur Parteien und Kandidaten, die
um die Gunst der Landsleute buhlen und deshalb für deren Interessen
eintreten. Das gilt auch für die Wahlen zum EU-Parlament, bei denen
sich fast alles um nationale Fragen dreht. Für ein europäisches
Bewusstsein zu kämpfen bringt keine Wählerstimmen; gemessen wird, was
man aus Brüssel mit nach Hause bringt. Und auch die Medien berichten
über die europäische Politik vor allem als Hahnenkampf zwischen
verschiedenen nationalen Positionen.

Da in der heutigen Welt politische Botschaften vor allem über
Persönlichkeiten transportiert werden, wäre eine gesamteuropäische
Präsidentenwahl eine Chance, die Zäune zwischen den Schrebergärten
aufzubrechen und die Politik zu europäisieren. Statt charismafreie
Kompromisskandidaten wie José Manuel Barroso und Herman Van Rompuy
würden starke Persönlichkeiten in den Ring treten, egal ob aus großen
oder kleinen Mitgliedsstaaten.

Das Gegenstück zum Duell zwischen Barack Obama und Mitt Romney würde
die europäischen Wähler elektrisieren und dafür sensibilisieren, dass
alle Staaten in der EU_an einem Strang ziehen. Die Kandidaten mögen
unterschiedlicher Meinung sein, mit welcher Wirtschaftspolitik der
Euro gerettet werden soll, aber dass es einen gemeinsamen
europäischen Zugang geben müsse, darüber gäbe es dann keine Zweifel.

Es ist kein Zufall, dass Junckers Vorstoß gerade jetzt kommt, denn
die Eurozone droht an nationalen Streitigkeiten zu zerbrechen - und
die öffentliche Meinung treibt die Konflikte zwischen den Regierenden
an. Durch eine Direktwahl, so die Hoffnung, könnte man diese
gefährliche Phase überspringen und direkt in ein vereintes Europa
eintauchen.

Allerdings hat die EU_schlechte Erfahrungen mit solchen Abkürzungen:
Auch der Euro war ein Versuch, die gewünschte wirtschaftliche
Konvergenz rasch zu erzwingen. Das Ergebnis war, dass die
verschiedenen Teile Europas weiter auseinanderdriften.

Neue Wahlsysteme taugen ebenso wenig als Wundermittel, um die Skepsis
der Bürger gegenüber der europäischen Integration zu überwinden.
Abgesehen davon, dass die meisten Regierungen es niemals zulassen
würden, dass Schlüsselpositionen in Brüssel über ihre Köpfe hinweg
besetzt werden, fehlen die emotionellen und kulturellen
Voraussetzungen für einen gesamteuropäischen Wahlkampf.

Dass die EU-Staaten - oder zumindest die Euroländer - weiter
zusammenrücken müssen, steht außer Zweifel. Doch der Weg dorthin
bleibt steinig und frustrierend. Streitende Regierungschefs und
mühsame Kompromisse bieten einen hässlichen Anblick und tragen weiter
zur Euroskepsis bei. Doch zum Durchwursteln und Zusammenraufen gibt
es keine Alternative - da hilft auch kein Traum von einem mächtigen
EU-Präsidenten.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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