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"Die Presse"-Leitartikel: Das Glaskinn gehört zu Straches Uniform, von Rainer Nowak
Ausgabe vom 01.02.2012
Wien (OTS) - Der FPÖ-Chef sieht sich als verfolgten Juden, Medien
berichten empört-fasziniert, Heinz Fischer entzieht einen Orden. Nun
droht die Wiederholung der FPÖ-Geschichte.
Um hier einmal Karl Marx zu zitieren (und ihn gleich zu widerlegen):
In seinem nicht übertrieben spannenden "Der achtzehnte Brumaire des
Louis Bonaparte" verbesserte er Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der
bemerkt hatte, dass sich historische Tatsachen und Personen immer
zweimal ereignen. "Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als
Tragödie, das andere Mal als Farce." Was aber, wenn bereits die
angebliche Tragödie eine Farce war, wie Jörg Haiders Aufstieg und
politischer Fall? Folgt dann die Tragödie in Gestalt Heinz-Christian
Straches, der am Opernball der Rechts-außen-Szene Hof hielt, dort
sich und seine Gesinnungsgenossen offenbar als die neuen Juden
bezeichnete? Und der die lautstarken und sicher nicht
liebevoll-harmlosen Proteste gegen den Ball und seine Teilnehmer mit
der Reichskristallnacht verglich? Übrigens als ein Mitarbeiter einer
seriösen Tageszeitung Strache um ein Autogramm bat, um sich so
unerkannt wilde Strache-Sager abzuholen. Was zeigt, was Journalisten
so alles machen, um Straches Rülpser zu hören, und wie leichtgläubig
der FPÖ-Chef ist, wenn ihm jemand Zustimmung vorgaukelt. Ist das
nicht alles eine Farce? Ganz sicher. Und zur Ehrenrettung Hegels: In
der österreichischen Innenpolitik gab und gibt es aber ohnehin "keine
großen weltgeschichtlichen Personen", die der Philosoph gemeint
hatte.
Also kann man das lächerlich-dümmlich finden und ignorieren? Nein,
man muss Heinz-Christian Strache leider wirklich Inhaltliches
entgegenhalten, nur so erkennt er seine Paranoia: Der Vergleich ist
besonders geschmacklos, wenn er aus dem Mund eines Politikers kommt,
der ein Problem damit hat, Deserteure der Wehrmacht positiv und 1945
als Jahr der Befreiung zu sehen. Nur zur Erinnerung: Weder
Freiheitliche noch Schlagende noch andere Ballbesucher wie Frau Le
Pen werden physisch verfolgt, beraubt, geschlagen, gequält und
ermordet wie die Opfer des Holocaust in Mitteleuropa und auch auf dem
Gebiet des heutigen Österreichs. Straches behauptete
Opfergemeinschaft hat nur die Meinung vieler Bürger und Medien gegen
sich und muss sich von Demonstranten am Abend des Jahrestags der
Auschwitz-Befreiung beschimpfen lassen. Es ist interessant, dass das
Glaskinn zur Uniform des Korpskämpfers gehört.
Es ist nicht ganz unlogisch, dass Heinz Fischer den Orden, den
Strache aufgrund seines Sitzfleischs auf der Oppositionsbank
automatisch erhalten sollte, verweigert. Fischer rasselt damit kurz
mit der Kette, was man ihm kaum zugetraut hätte: Der Präsident wird
Strache als Kanzler oder Regierungsmitglied aus heutiger Sicht wohl
nicht angeloben. Allerdings schafft er auch einen Präzedenzfall: Ab
sofort muss Fischer konsequenterweise genau hinschauen und darf Orden
nicht mehr automatisch an mehr oder weniger lange gediente Politiker
vergeben - etwa weil sie einen Generalstabschef widerrechtlich
ablösen oder einfach ungeniert Geld ausgeben, das sie und der Staat
nicht mehr haben.
Nach dem kurzen Aufheulen der sonst überraschend leisen
Zivilgesellschaft und des zeremoniellen Widerstands in der Hofburg
stellt sich die Frage, wie es nun weitergeht mit der
FPÖ-Geschichtswiederholung: Journalisten werden nach dem Ball-Vorfall
vor allem weiter Jagd auf braune Sager machen statt etwa die
schwierigere Suche nach den inhaltlichen Positionen der Partei
voranzutreiben. Die warnenden Magazincover mit Quotengarantie sind
ihm sicher. Strache selbst kann sich - obwohl in Umfragen in Nähe von
SPÖ und ÖVP - noch stärker als Underdog präsentieren: Sogar der
harmlose Heinz Fischer, der gegen niemanden was hat, ist gemein zu
ihm. Um kurz auf der innenpolitischen Kleingeld-Ebene zu bleiben: Der
Eklat hilft auch der SPÖ. Die schnelle Distanz-Deklaration zu Strache
fällt Werner Faymann sicher leichter als das Schnüren eines echten
Sparpakets und die dafür notwendige Überzeugungsarbeit bei
Gewerkschaften und Arbeiterkammer.
Und dennoch: Strache, der aufgrund der Schwäche der aktuell
Regierenden in Richtung (Vize)-Kanzleramt unterwegs war, muss sich
eingestehen: Der Versuch, sich gerade angesichts massiver Vorwürfe
politisch verantwortungsvoll, bedacht, schlicht staatstragend zu
geben, ist gescheitert. Weil er es offenbar einfach nicht ist.
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