Die Presse - Leitartikel: Lasst die Finger von den Familien, von Doris Kraus
Ausgabe vom 29.03.2010
Wien (OTS) - Barbara Rosenkranz sieht sich als Fürsprecherin von Vater, Mutter, Kind. Das muss wirklich nicht sein.
Die Präsidentschaftskandidatin der FPÖ, Barbara Rosenkranz, hat ein Wahlkampfversprechen abgegeben: Sie will sich der Familien annehmen und macht sogar konkrete Angebote, die gar nicht so unvernünftig klingen (was ja auch von einer zehnfachen Mutter nicht zu erwarten war): Streichung der Zuverdienstgrenze beim Kindergeld, Anpassung der Karenzzeiten an die längste Kindergeldvariante oder den Ausbau der Kinderbetreuung vor allem im Anschluss an den Kindergarten.
Bisschen teuer sind die Ideen vielleicht. Und möglicherweise auch nicht ganz logisch, denn die FPÖ war doch von der Idee der Ganztagsschule noch vor Kurzem nicht so begeistert. Dennoch Kinderbetreuung in der Schule ausbauen? Aber sei's drum. Sich bei Wahlkampfversprechen an Details wie Kosten, Durchführbarkeit oder Konsistenz festzubeißen, ist ohnedies vergebliche Liebesmüh. Egal, bei welcher Partei.
Das eigentliche Problem ist ein anderes. Und Barbara Rosenkranz gibt das auch zu: Es gehe ihr um "die Familie als Grundwert unserer Gesellschaft", sagt sie. Doch dieser "Grundwert" sollte einer Partei vom ideologischen Zuschnitt der FPÖ nicht kampflos überlassen werden. Weil sie auch auf diesem Gebiet für Enge, für Kleinlichkeit, für Intoleranz stehen wird. Und nicht für das bunte, chaotische und inspirierende Mischmasch, als das viele Familien heutzutage ihren Alltag erleben.
Sie zweifeln? Dann lauschen Sie doch FP-Kultursprecherin Heidemarie Unterreiner im O-Ton einer APA-Meldung: "Barbara Rosenkranz ist ein Garant dafür, dass unsere Traditionen, unsere Sitten, unsere Werte, unsere Gebräuche, dass unsere Lieder, unsere Gebete, die Werke unserer Künstler, unserer Dichter, unserer Philosophen und unserer Musiker gewahrt bleiben und unzerstört an spätere Generationen weitergegeben werden können." Weltoffenheit, Sinn für Wandel und die Bereitschaft, neue gesellschaftliche Entwicklungen anzunehmen, klingen anders.
Es wird bereits seit viel zu langer Zeit sang- und klanglos akzeptiert, dass sich das konservative (und ganz besonders gern das erzkonservative) Lager zum Retter des "Wertes Familie" aufschwingt. Diese Entwicklung hat in einigen Ländern wie den USA die hässlichsten Blüten getragen. Aber viel wichtiger: Sie hat den Begriff "Familie" in ein ideologisches Eck gerückt, aus dem er nur mehr sehr schwer herauszubringen ist. Wer sich heute selbstbewusst zur "Familie" als Wert bekennen will, muss damit rechnen, dass ihm oder ihr das auch gleich als politischer Offenbarungseid ausgelegt werden könnte. Also wäre es höchst an der Zeit, diesen Begriff, der immerhin das Lebenszentrum von Millionen Menschen beschreibt, auszuschütteln, abzuputzen und wieder allen zurückzugeben.
Und wenn man schon mal dabei ist, dann kann man sich auch gleich überlegen, welchen Begriff man hier eigentlich zum Durchlüften an die frische Luft hängt. Denn das Idealbild der Familie, wie sie wahrscheinlich der FPÖ vorschwebt - Vater und Mutter verheiratet, viele Kinder, Mutter daheim -, gibt es schon noch. Aber immer weniger. Und recht verbreitet ist es ausgerechnet in jener Wählergruppe, die der FPÖ bei allem Zwang zum Stimmenfang doch noch irgendwo suspekt bleibt: Österreicher mit Migrationshintergrund, die auch bei der Partnersuche innerhalb ihrer ethnischen Gemeinde bleiben.
Das weitergefasste Familienbild aber wandelt sich atemberaubend schnell. Zu schnell, um es einer Partei mit Rückwärtstendenzen zu überlassen. Die Zahl der traditionellen Familien schrumpft immer mehr, viele Paare mit Kindern sind nicht mehr verheiratet, die Zahl der Alleinerzieherinnen nimmt aufgrund der hohen Scheidungsrate ebenso zu wie die Zahl der Patchworkfamilien. Frauen bekommen im Durchschnitt immer weniger Kinder, viele gar keine, andere dafür umso mehr. Adoptionen nehmen zu, die Diskussionen um die Stellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in dieser Frage ist vorerst beigelegt, soweit das der derzeitige gesellschaftliche Konsens zuließ. Sie ist aber mit Sicherheit nicht beendet.
Diesem Regenbogencharakter der modernen Familie sollte Rechnung getragen werden. Der Begriff "Familie" muss endlich ein positiv-inklusiver werden. Noch immer geht die Tendenz nämlich leider dahin, ihn exklusiv zu benutzen, um Wertungen vorzunehmen und ein Lebensmodell gegen ein anderes auszuspielen. Und deshalb sollte endlich Schluss sein damit, dass an jedem finanziellen Zuckerl in der Familienpolitik ein ideologisches Preisschild hängt. Manchmal sieht man es gleich, manchmal ist es gut versteckt.