"Die Presse" Leitartikel: "Der Feind im eigenen Bett" (von Karl Ettinger)
Ausgabe vom 22.8.08
Wien (OTS) - Molterer wird zwar Problem-Ministerin Kdolsky los:
Die ÖVP kämpft vor der Wahl aber zu sehr mit sich selbst.
Andrea Kdolsky ist doch nicht komplett taub. Jetzt hat es sich also auch bis zur ÖVP-Gesundheits- und Familienministerin durchgesprochen, was in der Volkspartei keineswegs nur hinter vorgehaltener Hand zu hören war: Dass der frühere "bunte Vogel" in der schwarzen Regierungsriege längst zur Belastung für den Parteiobmann und Spitzenkandidaten Wilhelm Molterer vor der Wahl geworden ist.
Es hat trotzdem ganz offensichtlich einiger Überredungskunst der ÖVP-Führung bedurft, ehe Kdolsky am Donnerstag verkündet hat, dass sie der nächsten Regierung nicht mehr als Ministerin zur Verfügung stehen werde. Denn noch zu Wochenbeginn hat sie genau Gegenteiliges verlauten lassen. Bei einem Verbleib wäre Molterer als Schwächling dagestanden.
Selten hat es jedenfalls eine Politikerin geschafft, in so kurzer Zeit vom unbekümmerten Darling der Boulevard-Medien, der der Volkspartei ein liberaleres Mascherl verpassen sollte, zur Buhfrau der Nation abzusteigen. Zu groß war die Diskrepanz zwischen ihren schrillen Society-Auftritten, ihrer chaotischen Ressortführung und den Ergebnissen, die sie als Ministerin abliefern konnte. Bei der Gesundheitsreform hat sie es sogar geschafft, vor dem Platzen der Gespräche so ziemlich alle Beteiligten zu vergraulen. Politisch war Kdolsky spätestens seit dem Zeitpunkt unten durch, als einem ihrer Parteikollegen im Herbst des Vorjahres der Kragen platzte und er öffentlich erklärte, er könne diese Frau 2nicht mehr ernst nehmen2.
Die Ärztin und frühere Hochschulgewerkschafterin Kdolsky reiht sich damit nahtlos in die lange Reihe gescheiterter Quereinsteiger in die Politik ein. Einer der schwersten politischen Fehler Molterers jedoch war es, dass er Kdolsky im April des Vorjahres auch noch im Eilzugstempo als stellvertretende ÖVP-Chefin besonders in die Auslage gestellt hat.
Der jetzige Druck der ÖVP für den Rückzug Kdolskys zeigt immerhin, dass die Parteiführung aus der verlorenen Wahl 2006 doch gelernt hat. Denn damals hielt Ex-Parteichef Schüssel unbeirrt an der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schwer angeschlagenen Bildungsministerin Gehrer fest. Molterer wird vielleicht bei seinem Berlin-Besuch am Mittwoch bedauert haben, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar als Wahlkampfhilfe im September nach Österreich kommt, dass er sich aber die deutsche Familienministerin Von der Leyen nicht gleich für sein ÖVP-Team ausborgen kann.
So ein Nationalratswahlkampf ist jedenfalls kein Honiglecken. Davon können die Wahlkampfstrategen um Molterer aber nicht wegen des Problems Kdolsky ein Lied singen. Da müht sich die schwarze Bundesparteizentrale seit Wochen nach Kräften, sich auf SPÖ-Vorsitzenden Werner Faymann einzuschießen und dessen Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen - und dann gibt es intern wieder Querschläger. Etwa, wenn Niederösterreichs Landeschef Erwin Pröll die Wahlkampfmanager in der Bundespartei belehrt, dass er selbst nichts von einem "Faymann-Bashing" hält.
Die Österreicher müssen gut eineinhalb Monate nach Ausrufung der vorgezogenen Neuwahlen mit der Molterer-Parole "Es reicht" das Gefühl bekommen, die ÖVP ist, statt sich mit der SPÖ auseinanderzusetzen, immer noch hauptsächlich mit sich selbst und der Motivierung für den 28. September beschäftigt. Schon Anfang Juli hatten ja die Landeschefs von Nieder- und Oberösterreich kein Hehl daraus gemacht, dass sie mit Neuwahlen so gar keine Freude haben.
An dieser Unlust hat sich seither anscheinend nichts geändert. Während sich Molterer mit widerspenstigen Ministerinnen abstrampeln muss, lassen mehrere Landesparteien wissen, dass sie nichts zu den Wahlkampfkosten beisteuern wollen. Volle Unterstützung für den eigenen schwarzen Spitzenkandidaten sieht bestimmt anders aus. Da hilft es auch nichts, wenn ausgerechnet zur gleichen Zeit in Wien ein eigenes Molterer-Unterstützungskomitee auf den Plan tritt. Denn so macht die ÖVP bestenfalls der FPÖ und dem BZÖ Konkurrenz, die zuletzt ebenfalls in erster Linie mit ihren internen Streitigkeiten für Aufsehen gesorgt haben. Im Gegensatz dazu demonstriert die SPÖ zumindest jetzt im Wahlkampf nach außen hin Geschlossenheit hinter ihrem Spitzenkandidaten Faymann.
Vielleicht sollte die ÖVP einfach extern Hilfe holen. Kanzler Alfred Gusenbauer hat garantiert genug Erfahrung im Umgang mit dem Feind im eigenen Bett. Und ausgelastet ist er im Wahlkampf auch nicht.
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