- 25.01.2008, 18:16:53
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"Presse"-Kommentar: Auch Deppen richten mitunter Schaden an (von Michael Fleischhacker)
Ausgabe vom 26. Jänner 2008
Wien (OTS) - Die nationalistische Internationale ist ein Witz, der
davon lebt, dass etliche Regierende auch einer sind.
Was soll man von der Ankündigung einer "europäische
Freiheitspartei" halten? Stehen wir vor der Gründung der
nationalistischen Internationalen? Kann man aus den ideologischen
Versatzstücke, mit denen Politiker wie Strache und Le Pen operieren,
überhaupt so etwas wie ein Programm destillieren? Wäre es nicht
klüger, die vollkommen wirren, von ideengeschichtlicher
Ahnungslosigkeit und populistischer Hyperventilation geprägten
Ankündigungen der rechten Recken einfach zu ignorieren?
Man kann auf diese Fragen akademisch antworten: Nein, das Ding hat
keine Konsistenz, man kann es ideologisch nicht ernst nehmen, und es
bleibt unklar, ob der Versuch, die nationalen Irrlichter des rechten
Randes im Europäischen Parlament zu einer Fraktion zu machen,
gelingen wird. Und ja, es ist besser, nicht aus jedem Deppen einen
Nazi zu machen. Heinz-Christian Strache ist sicher mehr Depp als
Nazi, aber er hat schon zu oft den Eindruck erweckt, dass er
zumindest einmal ein depperter Nazi gewesen ist. Und ja, es besteht
das Risiko, dass man, auch wenn man die jüngsten Ankündigungen noch
so kühl medial beleuchtet, das Hauptanliegen der Rechtspopulisten
schon erfüllt hat.
Die nichtakademische Antwort lautet: Schön wär's. Schön wär's,
wenn wir darauf vertrauen könnten, dass nur jene gewählt werden, die
ein nachvollziehbares Programm, ordentliches Benehmen und eine
intakte Persönlichkeitsstruktur aufweisen. Ist nur nicht so: Jener
Teil der Wählerschaft, den die Politologen das "Protestpotenzial"
nennen, entscheidet sich nicht für, sondern gegen etwas, in der Regel
"gegen die da oben", ob das nun nationale Regierungen sind oder die
Europäische Union.
Die Kräfte am linken und rechten Rand leben seit jeher vom
Versagen der Mitte. Das war so in den 90er-Jahren, als die
europäischen Regierungen den Folgen der Zeitenwende von 1989 hilflos
gegenüberstanden. Das österreichische Kernthema lautete damals
Migration oder, wie man hierzulande so herzig sagt, "Ausländer". Es
wurde spät aber doch bearbeitet, erleichtert durch die
Regierungsbeteiligung der FPÖ. Allerdings ausschließlich auf dem Feld
der Sicherheitspolitik. Unbehandelt blieb das Thema Integration, das
inzwischen durch die offene Frage des Umgangs westlicher
Gesellschaften mit islamischen Zuwanderern verschärft wurde.
Im Vorfeld der Grazer Gemeinderatswahlen kam es durch die
Mohammed-Provokation der Frau Winter erstmals seit Ende der
90er-Jahre wieder zu einer scharfen Konfrontation zwischen
Establishment und Rechtspopulismus. Es ist beunruhigend, dass sie
exakt nach den Mustern der Haider-Zeit stattfand: Das offizielle
Österreich reagierte empört und gab der Hoffnung Ausdruck, dass die
braven Bürger auf die bösen Populisten nicht hereinfallen.
Hinterher zeigt man sich erleichtert, wenn die FPÖ "nur" elf
Prozent erreicht, obwohl ihr irgendwelche Meinungsforscher bis zu 15
zugetraut hatten. Der Wien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung
verstieg sich sogar zu der Feststellung, das Grazer Wahlergebnis sei
als eine Art Startschuss zur Selbstreinigung des Landes von der
Verseuchung durch Schwarz-Blau zu lesen. Ein Lichtermeer im
Wahllokal: Die Vorstellung ist so naiv wie gefährlich.
Sie suggeriert nämlich, wie seinerzeit der Gefühlsduselpop der
Lichtermeersurfer, dass die Rechtspopulisten von Problemen reden, die
es nicht gibt. Das Gegenteil ist der Fall. Dieselben Leute, die sich
über die anti-islamische Propaganda der FPÖ alterieren, zementieren
das Problem, das es mit dem Islam in unserer Gesellschaft nun einmal
gibt, indem sie es negieren. Den Rechtspopulismus kann man nicht
wegbeten. Man muss die Probleme, die er - meist zu Recht - anspricht,
lösen, um ihm die Grundlage zu entziehen.
Das Geplapper eines Heinz-Christian Strache über die Rettung des
Abendlandes vor der Islamisierung mag ein Witz sein. Aber dieser Witz
lebt davon, dass ein Gutteil der Regierenden auch einer ist. Sich
über Straches Parolen zu empören und zugleich zuzusehen, wie in
vielen Zuwandererfamilien Analphabeten heranwachsen, weil islamische
Männer nichts dabei finden, ihre Frauen daheim einzusperren und ihnen
den Spracherwerb zu verbieten, wird auf Dauer nicht reichen.
Dass "nur" elf Prozent die Grazer FPÖ gewählt haben, hat nichts
mit den Altachtundsechzigerträumen von der Reinigung der Gesellschaft
mit dem großen Moralbesen zu tun. Sondern damit, dass die Große
Koalition erst ein Jahr im Amt ist. Wenn sie so weitermacht, wird sie
noch ihr blaues Wunder erleben.
Rückfragehinweis:
Die Presse
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Tel.: (01) 514 14-445
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