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"Presse"-Kommentar: Zwischen Obama-Mania und "Hucka-Boom" (von Christian Ultsch)

Ausgabe vom 5. Jänner 2008

Wien (OTS) - Amerika träumt von einem Neuanfang, aber nicht unbedingt von einem schwarzen Präsidenten.
Der Mann ist ein Baptistenpfarrer und trotzdem witzig, liest jeden morgen in der Bibel, zupft untertags öffentlich seine E-Gitarre und hat Action-Hero Chuck Norris an seiner Seite. Das reichte für Mike Huckabee, Ex-Gouverneur von Arkansas, um die republikanischen Präsidentschaftsvorwahlen in Iowa zu gewinnen. Vor kurzem noch hätte niemand auch nur einen Cent auf den sympathischen Normalo aus Hope gewettet. Wie auch? Damals kannte ihn außer ein paar Politik-Junkies vielleicht noch ein Häuflein Diät-Fanatiker, das davon fasziniert war, wie sich der Autor der Fibel "Hör auf, dir dein Grab mit Messer und Gabel zu schaufeln" 50 Kilo Speck vom Leib lief.
Und was sagt uns Huckabees Erfolg? Erstens, dass die Republikaner diesmal ziemlich schlecht aufgestellt sind. Zweitens, dass der rustikale 2,9-Millionen-Einwohner-Bundesstaat ganz sicher nicht repräsentativ ist. Drittens, dass die christliche Rechte offenbar nicht willens ist, einen Mormonen ins Herz zu schließen: Mitt Romney gab für den Vorwahlkampf in Iowa zwanzigmal so viel aus wie Huckabee und wurde trotzdem nur Zweiter. Viertens aber, und das könnte die wichtigste Entwicklung sein, macht sich ein drängender Wunsch nach neuen Gesichtern bemerkbar. Ein Gefühl, das verstehen kann, wer an Amtsinhaber George W. Bush denkt.
"Wechsel", das war auch der Schlachtruf des demokratischen Vorwahlsiegers in Iowa. Auch er, Barack Obama, ein Neuling, charismatischer noch als Huckabee und alle anderen Bewerber im Feld. Obwohl sein Lebenslauf schmal ist wie er selbst, könnte es der 46-jährige schwarze Aufsteiger schaffen. Iowa könnte für ihn der erste Schritt eines Durchmarsches sein, der erst am 4. November bei der Präsidentschaftswahl auf die eine oder andere Weise endet. Obama baut sich zur ernsten Gefahr für Hillary Clinton auf, deren Kandidatur für die Demokraten vor kurzem noch als "unvermeidlich" galt. Dahinter lauert John Edwards, der Traum aller Schwiegermütter aus Carolina. Noch liegt die ehemalige First Lady in bundesweiten Umfragen klar vor Obama. Doch Clinton wirkt zunehmend nervös, verkrampft, missgünstig. Ihre Strategie, mit einem Blitzstart alles klarzumachen, könnte scheitern. Verliert sie nächste Woche auch in New Hampshire, das sie zu ihrer Hochburg ausbauen wollte, dann wird es unangenehm für sie.
Die Stimmung in den USA hat sich seit Beginn des Wahlkampfs, also vor unfassbaren 13 Monaten, spürbar gedreht. Und davon profitiert der jugendliche Obama. Es ist plötzlich nicht mehr so viel die Rede vom Irak und dem Krieg gegen den Terror. Andere Fragen sind in den Vordergrund gerückt: Kann ich die nächste Rate für mein Haus zahlen, kann ich mir leisten, krank zu werden? Und wieder heißt es: "It's the economy, stupid." Erfahrung zählt da nicht mehr so viel, eher schon die Fähigkeit, Aufbruchstimmung zu verbreiten. Und das kann Obama. Clintons staatsmännischer Anspruch war ohnedies immer fragwürdig. Klar, sie findet den Weg ins Oval Office alleine. Aber was hat sie als First Lady denn schon für außenpolitische Glanzlichter gesetzt, außerhalb des Damenprogramms?
Eine Kandidatin, die polarisiert wie sie, wünschen sich die Republikaner, vor allem Rudy Giuliani. Er könnte seiner Partei Schlüsselstaaten wie Kalifornien und New York bringen, das er vor und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 als Bürgermeister regierte. Noch hält der selbst stilisierte Supercop sein Pulver trocken. Um Iowa und New Hampshire hat Giuliani einen Bogen gemacht. Er sucht die Entscheidung am 5. Februar, wenn in 22 Bundesstaaten Vorwahlen stattfinden.
Doch Giuliani ist zwei Mal geschieden, ist für das Recht auf Abtreibung. Für die christliche Rechte ist er kaum wählbar. John McCain wiederum ist zuletzt nach rechts gerobbt, doch er ist bereits 71 Jahre alt und enttäuscht in allen Umfragen. Ex-Schauspieler Fred Thompson, Dritter in Iowa, hat bisher Siegeswillen vermissen lassen. Romney ist Mormone. Und Huckabee fehlt das Geld, die Unterstützung des Establishments. Die Republikaner haben ein Problem, doch die Demokraten den Sieg noch lange nicht in der Tasche.
Das Blatt kann sich wenden. Die "Obama-Mania" könnte schnell vorbei sein, schneller noch der "Hucka-Boom". Ein Anschlag, eine Weltkrise - und plötzlich sind wieder gestandene Politiker gefragt, die das Geschäft mit der Angst beherrschen und Sicherheit ausstrahlen. Entscheiden wird ohnehin nicht das Programm, sondern das Bauchgefühl. Und das beeindruckt nicht, ob Europa oder die "New York Times" von einem schwarzen "JFK" träumen.

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