• 16.06.2005, 18:11:10
  • /
  • OTS0269 OTW0269

DER STANDARD-Kommentar: Sparen an der Zukunft

von Alexandra Föderl-Schmidt

Wien (OTS) -
Alexandra Föderl-Schmid

Beim EU-Gipfel in Brüssel wird nicht nur um nackte Zahlen gefeilscht,
es geht auch um Weichenstellungen für die Zukunft. Die Frage, was
wofür ausgegeben wird, ist angesichts des Streits um den
Beitragsrabatt für die Briten und der Vetodrohung anderer Nettozahler
wie der Niederlande ins Hintertreffen geraten. Die Forderung
Großbritanniens, dass auch die Agrarausgaben zur Disposition gestellt
werden sollen, ist eigentlich berechtigt. Aber solange der ehemalige
Agrarminister Jacques Chirac als französischer Präsident am Brüsseler
Verhandlungstisch sitzt, gelten die üppigen Brüsseler Agrartöpfe, aus
denen sich vor allem die französischen - aber auch die
österreichischen - Bauern bedienen können, als Tabu.

Es ist auffällig, dass sich auch die Luxemburger EU-Präsidentschaft
nicht an diese "heilige Kuh" heranwagt. Die Streichungen in diesem
Bereich machen gegenüber dem Kommissionsvorschlag nur fünf Prozent
aus. An das 2002 vereinbarte Agrarpaket, in dem die ungleich
wichtigeren Direktzahlungen für die Bauern festgeschrieben sind, wagt
sich Jean-Claude Juncker erst gar nicht heran. Bei den
milliardenschweren Struktur- und Kohäsionsfonds, von denen alle
Mitgliedstaaten Rückflüsse erwarten können, wurden nur acht Prozent
gekürzt.

Wie marginal die Streichungen in dem Sektor sind, wird im Vergleich
zu Kürzungen deutlich, die unter dem Titel "Wettbewerbsfähigkeit"
zusammengefasst sind. Die Mittel dafür sind für Forschung und
Bildung, transeuropäische Verkehrsnetze und zur Stimulierung von
Wachstum und Beschäftigung vorgesehen. Hier werden fast 41 Prozent
der von der Kommission veranschlagten Mittel gestrichen. Damit kann
die auch von den Mitgliedstaaten viel beschworene
"Lissabon-Strategie", die Europa bis 2010 zum weltweit
wettbewerbsfähigsten Raum machen soll, getrost vergessen werden. Ohne
Geld nützt die beste Strategie nichts.

Die massiven Einschnitte in diesem Bereich sind auch keine Antworten
auf Sorgen und Ängste der Bürger, die bei den negativen EU-Referenden
in Frankreich und den Niederlanden zum Ausdruck gekommen sind.
Befürchtungen, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren, und die Furcht
vor Billigkonkurrenz aus den osteuropäischen Staaten haben eine
entscheidende Rolle gespielt.

Dem allseits artikulierten Wunsch, dass Europa in Zukunft stärker
als Global Player aufzutreten soll und die gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik gestärkt werden muss, widersprechen auch die
Kürzungen in diesem Bereich. Um mehr als 20 Prozent sollen die Mittel
für Außenpolitik und Entwicklungshilfe gekürzt werden. Auch im
Bereich Sicherheitspolitik soll der Rotstift angesetzt werden - die
Streichungen belaufen sich auf mehr als 25 Prozent. Dies
konterkariert auch die wiederholten Terrorwarnungen von Politikern
und die Appelle, dass in diesem Bereich mehr ausgegeben werden müsse.

Die Sparanstrengungen sind vor allem auf Rubriken mit
zukunftsgerichteten Investitionen konzentriert, während sie vor einer
Senkung der strukturerhaltenden Agrarsubventionen zurückschrecken.
Schon allein die Aufteilung, dass sich rund 80 Prozent des Budgets
auf den Agrarbereich und die Strukturförderung beziehen, zeigt, dass
es weiterhin darum geht, Pfründe zu sichern. Es ist auch deshalb
leichter, bei neuen Ausgabenbereichen zu kürzen, weil sich hier noch
keine Lobby gebildet hat, die für deren Erhalt eintritt. Aber wer bei
Ausgaben wie Forschung und Bildung sowie bei der Stimulierung der
Beschäftigung spart, stellt bereits vereinbarte Ziele und damit die
Zukunftsfähigkeit Europas infrage.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70/445

OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | PST

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel