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"Die Presse"-Leitartikel: "Der Wahlkampf hat bereits begonnen" von Michael Fleischhacker

Ausgabe vom 19.2.2005

Wien (OTS) - Der Kanzler ist, was die manischen Schübe des Kärntner Landeshauptmanns betrifft, Kummer gewöhnt. Jörg Haiders Ausbrüche laufen ja immer nach dem selben Muster ab: Wenn er sich in Schwierigkeiten befindet - diesfalls sind es die Kalamitäten rund um die Seebühne und das Klagenfurter EM-Stadion -, versucht er es mit einem "Befreiungsschlag". Dabei handelt es sich um einen Mix aus paranoiden Theorien (Abhörskandale, wohin man schaut), abenteuerlichen Beschuldigungen ("Securitate") und sorgfältiger Wortwahl ("Wiener Strizzis").
Auch das Reaktionsmuster von Wolfgang Schüssel ändert sich nicht. Er schweigt entweder überhaupt oder lässt diesem Schweigen eine knappe Distanzierung ("Entgleisung", "nicht meine Wortwahl") vorausgehen. Daraufhin wird ihm von der Opposition und von der Riege der professionell Besorgten vorgeworfen, er mache sich, wenn er sich nicht distanziere, zum inhaltlichen Kumpanen Haiders. Was im Übrigen nur zeige, wie weit sich die ÖVP in dieser Koalition inhaltlich dem kleineren Koalitionspartner angenähert habe.
Der Vorwurf der mangelnden Distanzierung wird freilich auch dann erhoben, wenn eine Distanzierung erfolgt ist. "Distanzierung" ist nämlich in diesem Zusammenhang etwas umfassender gemeint und meint eigentlich die finale Distanzierung in Form der Auflösung der Koalition. Dazu ist es erst einmal gekommen, allerdings nicht aufgrund einer Distanzierung des Kanzlers. In Knittelfeld hat sich im Spätsommer 2002 gewissermaßen die FPÖ von sich selbst distanziert, und ihre Wähler sind dem Beispiel gefolgt.
Seitdem wurde etliche Male voreilig ein "Knittelfeld II" prognostiziert. Auch jetzt wird wieder über vorgezogene Neuwahlen spekuliert. Das liegt nahe, weil ja die Wiener Sozialdemokraten seit längerem auf der Suche nach einem offiziellen Grund für vorgezogene Neuwahlen sind. Und News, die Wochenschrift für politische Philosophie, erhielt so die Gelegenheit, weltexklusiv die Theorie zu publizieren, dass zwei Koalitionspartner einander wechselseitig in Neuwahlen treiben wollen, weil sie sich vor Neuwahlen fürchten. Vergleicht man die Entwicklung der ÖVP seit 2000 mit jener der FPÖ, so kann man feststellen, dass Wolfgang Schüssels Umgang mit dem Koalitionspartner nicht unerfolgreich gewesen ist: Damals lag die FPÖ knapp voran, heute erhielte sie laut Umfragen gerade ein Viertel der ÖVP-Stimmen. Zugleich wird man, soferne man ihn nicht für einen vollkommenen Zyniker der Macht hält, annehmen müssen, dass dem Kanzler das Schweigen nicht immer angenehm war. Die Art und Weise, wie Haider mit VfGH-Entscheiden umgeht, und sein Umfunktionieren Kärntens zur allumfassenden Bejubelungsveranstaltung des geliebten Landesherrn werden wohl auch bei dem habituellen Pragmatiker vom Ballhausplatz den einen oder anderen Zweifel auslösen.
Aus ÖVP-Kreisen war in den vergangenen Tagen zu hören, man habe diesmal ernsthaft erwogen, dem "Stern aus dem Süden" eine eindeutige Botschaft ins Universum seiner Selbstzerstörung zu schießen. Am Ende hieß es dann doch: Psst. Die Zweifel, ob man es diesmal mit der zerbröselnden FPÖ über die Legislaturperiode schaffen wird, sind darob aber nicht verstummt. Rational spricht zwar alles für das Weitermachen, aber die FPÖ-Politik folgt nicht ausschließlich rationalen Gesetzen.

Die ÖVP steht damit vor der kommenden Wahl - ob sie nun in diesem Jahr stattfindet oder im Herbst 2006 - vor der selben Situation wie im Herbst 2002: Sie bleibt nur als stimmenstärkste Partei im Spiel, hat also wenig Interesse, sich um das Wohlergehen des maroden Partners zu kümmern. Die Sozialdemokraten haben das erkannt und steigen diesmal in die direkte Konfrontation mit dem Kanzler ein, statt sich wie 2002 Scharmützeln mit den Grünen zu liefern.
Wann immer also gewählt wird: Der Wahlkampf hat bereits begonnen.

michael.fleischhacker@diepresse.com

Jörg Haiders jüngster Ausbruch wird vielleicht nicht direkt zu Neuwahlen führen. Aber er macht die Ausgangslage deutlich.

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