- 31.12.2025, 12:10:32
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- OTS0013
TKG bringt Beschwerde gegen das Integrationsbarometer 2025 ein
Beschwerde wegen diskriminierender religiöser Kategorisierung und politischer Instrumentalisierung staatlich finanzierter Meinungsforschung bei Berufsverbänden

Mit großer Betroffenheit und Sorge weist die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) auch am 31.12.2025 darauf hin, dass pauschale religiöse Diskriminierung, Herabwürdigung sowie kollektive Zuschreibungen gegenüber Musliminnen und Muslimen in Österreich verfassungsrechtlich unzulässig sind. Dies gilt insbesondere für politisch zugespitzte Aussagen wie: „Wusstest du, dass zwei Drittel das Zusammenleben mit Muslimen als schwierig empfinden?“ wenn diese unter dem Anschein wissenschaftlicher Objektivität parteipolitisch weiterverwertet werden.
Staatlich finanzierte Meinungsforschung darf nicht zur politischen Nutzung gesellschaftlicher Stimmungen und zur pauschalen Problematisierung religiöser Minderheiten herangezogen werden.
Öffentliche politische Bezugnahme
Diese politische Bezugnahme wurde öffentlich bestätigt
Der Generalsekretär der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Nico Marchetti, erklärte am 30. Dezember 2025 im Ö1-Mittagsjournal sinngemäß, dass das Integrationsbarometer 2025 das „Stimmungsbild der Österreicherinnen und Österreicher“ abbilde und man sich auch mit „unangenehmen Wahrheiten“! (
„Wusstest du, dass zwei Drittel das Zusammenleben mit Muslimen als schwierig empfinden?“ )
Diese Aussage erfolgte im Zusammenhang mit der politischen Verwendung der Ergebnisse des Integrationsbarometers 2025 und in zeitlicher Nähe zu parteipolitischen Social-Media-Kampagnen der ÖVP, die ausdrücklich auf diese Ergebnisse Bezug nahmen.
Das Integrationsbarometer wurde vom Meinungsforscher Peter Hajek durchgeführt.
(Quelle: Ö1-Mittagsjournal, 30.12.2025; mediale Berichterstattung u. a. heute.at)
Solche Generalisierungen widersprechen dem Gleichheitssatz, dem Gleichbehandlungsgebot sowie dem Verbot der Verhetzung (§ 283 StGB). Maßgeblich sind insbesondere Art. 7 B-VG, Art. 14 StGG, das Gleichbehandlungsgesetz sowie Art. 10 und Art. 21 der EU-Grundrechtecharta.
Im Geiste der Höflichkeit, des Respekts und der Anständigkeit ersucht die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG Think Tank) die ÖVP, pauschalisierende Kampagnen gegen Musliminnen und Muslime auf offiziellen Parteiseiten sowie in den sozialen Medien zu beenden. Wir bitten höflich darum, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Gründe dürfen wir nach unseren APA-OS-Meldungen vom 18.12.2024 mit dem Titel „TKG-Stellungnahme zum Integrationsbarometer und zur Einhaltung des § 283 StGB” und vom 24.12.2024 mit dem Titel „Weihnachten als Mahnung: Zusammenleben stärken statt gesellschaftliche Gruppen pauschal stigmatisieren” unten kurz erwähnen.
Aus unserer kritischen Perspektive möchten wir zum Jahresende und in aller Freundschaft zum Gemeinwohl und zur Wertegemeinschaft kurz unsere Forderungen für die Zukunft der Meinungsforschung und Distanz darlegen.
Staatliche Verantwortung
Damit wird eine staatlich finanzierte Meinungsumfrage nicht als analytisches Instrument verwendet, sondern zur politischen Instrumentalisierung gesellschaftlicher Stimmungen herangezogen. Da die eingesetzten Mittel aus Steuergeldern aller Bürgerinnen und Bürger stammen, trägt der Staat eine besondere Verantwortung für Konzeption, Methodik, Wirkung und Verwendung solcher Erhebungen sowie für den Schutz der verfassungsmäßigen Grundordnung der Republik Österreich.
Zur Durchführung des Integrationsbarometers 2025
Die wissenschaftliche Durchführung des Integrationsbarometers 2025 lag beim Meinungsforscher Peter Hajek.
Das Barometer beansprucht, das „Stimmungsbild der Österreicherinnen und Österreicher“ abzubilden. Tatsächlich handelt es sich um eine Meinungsumfrage mit rund 1.000 Befragten, die überwiegend telefonisch durchgeführt wurde.
Erwünschtheitseffekte
Bei sensiblen Themen wie Religion, Migration und gesellschaftlichem Zusammenleben ist in der empirischen Sozialforschung seit Jahren bekannt, dass Telefoninterviews erhebliche soziale Erwünschtheitseffekte erzeugen können. Diese möglichen Moduseffekte werden im Bericht jedoch nicht ausreichend transparent dargestellt oder kritisch reflektiert.
Anstelle differenzierter sozialwissenschaftlicher Analysen werden affektive Momentaufnahmen erhoben, die stark von medialen Diskursen, politischen Kampagnen und gesellschaftlichen Ängsten beeinflusst sein können. Werden solche Ergebnisse anschließend politisch verallgemeinert und als objektive gesellschaftliche „Wahrheiten“ präsentiert, entsteht ein erhebliches demokratietheoretisches und verfassungsrechtliches Problem.
Kulturalisierte Problemzuschreibung
Im Integrationsbarometer 2025 wird die Religionsgemeinschaft der Musliminnen und Muslime selektiv herausgelöst, normativ bewertet und über Zeitreihen hinweg beobachtet, während andere Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften nicht vergleichbar erhoben werden.
Dadurch werden Menschen muslimischen Glaubens implizit als homogene Gruppe konstruiert – ungeachtet ihrer unterschiedlichen Herkunft, sozialen Lage, Bildungsbiografien, politischen Einstellungen und individuellen Lebensentwürfe.
Nach Auffassung der TKG entspricht diese Vorgehensweise dem, was in der internationalen Forschung als kulturalisierter Rassismus („Rassismus ohne Rasse“) bzw. Neorassismus beschrieben wird: Unterschiedliche Menschen werden aufgrund zugeschriebener kultureller oder religiöser Merkmale zu einer einheitlichen Problemkategorie zusammengefasst – in einer Sprache, die sich wissenschaftlich tarnt, gesellschaftlich normalisiert und politisch anschlussfähig gemacht wird.
In Österreich leben schätzungsweise 800.000 Menschen muslimischen Glaubens oder aus muslimisch geprägten Familien. Viele von ihnen sind hier geboren und besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft, einige in zweiter, dritter oder vierter Generation. Sie arbeiten in Verwaltung, Justiz, Gesundheitswesen, Bildung, Wirtschaft, als Krankenschwestern und -pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, in den Medien und in der Zivilgesellschaft, als Unternehmerinnen und Unternehmer, Arbeiterinnen und Arbeiter bis hin zu Taxifahrerinnen und -fahrern. Sie sind ein untrennbarer Bestandteil dieser Republik.
Und dennoch wird ihre religiöse Zugehörigkeit im Rahmen dieser staatlich finanzierten Erhebung so behandelt, als wäre sie eine unveränderliche, quasi naturhafte Eigenschaft – vergleichbar mit einer biologischen Kategorie. Religion erscheint nicht als vielfältige, individuelle Überzeugung oder Praxis, sondern als kollektiver Marker, der Menschen dauerhaft definiert – unabhängig von individueller Lebensführung, rechtlicher Stellung oder sozialer Realität.
Konkrete methodische Problempunkte
Im Integrationsbarometer 2025 wird auf Seite 20 (Abbildung 9) folgende Frage gestellt:
. „Wie würden Sie alles in allem das Zusammenleben zwischen Österreichern und Zuwanderern, Muslimen und Nicht-Muslimen, Österreichern und Flüchtlingen sowie Österreichern und ukrainischen Kriegsvertriebenen in Österreich beurteilen?“
Religion ist jedoch kein Rechtsstatus
Hier wird eine religiöse Zugehörigkeit auf derselben normativen Bewertungsskala gemessen wie rechtlich definierte Statusgruppen. „Religion ist kein Rechtsstatus. Die religiöse Zugehörigkeit einer Person – etwa als Muslimin oder Muslim, Christin oder Christ, Jüdin oder Jude – stellt keine rechtlich definierte Kategorie dar, die durch staatliche Behörden zuerkannt, verwaltet oder mit spezifischen Rechtsfolgen verbunden wird. Diese Gleichsetzung ist methodisch nicht sachlich begründbar und wissenschaftlich nicht haltbar.
Art. 14 StGG – Glaubens- und GewissensfreiheitReligion ist Privatsache, kein staatlicher Status.
Art. 7 B-VG – Gleichheitssatz- Keine rechtliche Differenzierung nach Religion zulässig.
EMRK Art. 9 & EU-Grundrechtecharta Art. 10- Religion ist geschütztes Freiheitsrecht, kein Verwaltungsmerkmal.
Zusätzlich wird das Zusammenleben mit Musliminnen und Muslimen als eigene Zeitreihe dargestellt (Seite 24, Abbildung 13), ohne vergleichbare Darstellungen für andere Religionsgemeinschaften. Gleichzeitig fehlen zentrale Kontextvariablen wie Kontaktqualität, Diskriminierungserfahrungen, soziale Lage oder räumliche Bedingungen.
Der im Bericht verwendete Begriff „politischer Islam“, den wir als TKG seit über 35 Jahren als Missbrauch der Religion auf allen Ebenen definieren, kritisch hinterfragen und zu dem wir kontinuierlich aufklären, bleibt im Bericht undefiniert und nicht operationalisiert, erzeugt jedoch hohe Angstwerte.. In Kombination mit der selektiven Darstellung des Zusammenlebens entsteht dadurch ein impliziter Zusammenhang zwischen religiöser Identität und einer vermeintlichen Sicherheitsbedrohung. Pauschale Zuschreibungen auf Grundlage religiöser Zugehörigkeit sind wissenschaftlich unzulässig und gesellschaftlich hochproblematisch..
Gesellschaftliche Wirkung und rechtlicher Rahmen
Es handelt sich hierbei ausdrücklich nicht um eine Frage subjektiver Sensibilität. Internationale Forschung zeigt, dass selektive Problematisierung religiöser Gruppen in staatlicher Kommunikation reale soziale Folgen haben kann – für Behördenpraxis, Medienberichterstattung, gesellschaftliche Interaktionen und das Sicherheitsgefühl der Betroffenen.
Religiöse Diskriminierung und pauschale Zuschreibung sind in Österreich ausdrücklich verboten (Art. 7 B-VG, Art. 14 StGG, Gleichbehandlungsgesetz, § 283 StGB; EU-Grundrechtecharta Art. 10 und 21).
Formelle Beschwerden
Vor diesem Hintergrund bringt die Türkische Kulturgemeinde in Österreich formelle Beschwerden und Eingaben unter anderem bei folgenden Stellen ein:
- bei der Gleichbehandlungskommission im Bundeskanzleramt
- bei ESOMAR – World Association for Social, Opinion and Market Research
- bei den berufsständischen Vertretungen der Markt- und Meinungsforschung in Österreich (VMÖ, VdMI)
Zentrale Forderung der TKG
Wir haben sehr viele Probleme in Österreich, die TKG in seiner Reihe immer wieder aufgegriffen, kritisiert und die Öffentlichkeit als wehrhafte Demokraten aufgeklärt hat. Dabei hat er sich stets für das Gemeinwohl sowie für die freiheitlich-demokratische, pluralistische und säkulare Republik Österreich eingesetzt. Aber! Konkrete Problempunkte – wie politisierte Formen von Religion (einschließlich des sogenannten „Politischen Islam“ bzw. jeder Form des Missbrauchs von Religion), extremistische Gruppierungen wie der IS und alle seine Derivate sowie Fragen irregulärer Migration – müssen klar, differenziert und rechtsstaatlich benannt werden. Dies darf jedoch nicht durch kollektive Schuldzuschreibungen gegenüber Musliminnen und Muslimen erfolgen, die mit diesen Entwicklungen nichts zu tun haben und vielfach selbst am stärksten betroffen sind.
Darüber hinaus fordert die TKG, dass staatliche Erhebungen zum gesellschaftlichen Zusammenleben ausschließlich von nachweislich unabhängigen und wissenschaftlich anerkannten Meinungsforschungsinstituten durchgeführt werden. Methodische Transparenz, strukturelle Unabhängigkeit und Distanz zu parteipolitischer Verwertung sind unerlässlich, um das Vertrauen in staatlich finanzierte Meinungsforschung zu sichern.
Integration darf nicht dadurch gemessen werden, dass Minderheiten markiert und gesellschaftliche Stimmungen politisch ausgenutzt werden.
Das TKG wünscht allen Menschen in Österreich – unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit – alles Gute für das Jahr 2026 und einen guten Rutsch.
Rückfragen & Kontakt
Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG-Think Tank)
Dr Melissa Günes
E-Mail: m.gunes@turkischegemeinde.at
Website: https://www.turkischegemeinde.at
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