- 15.12.2025, 10:52:03
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Parlament im Dezember 1945: "Ein trostloses Bild der Verwüstung" wird wieder zum Hohen Haus
Über die Mühen des Neustarts in einem vom Krieg stark beschädigten Parlamentsgebäude
"Brandgeschwärzte leere Fensterhöhlen blicken uns neben der rechten Rampenauffahrt entgegen. Das Hämmern der Tischler, das emsige Schaben von Maurerkellen schallt weithin durch die hohen Gänge", schrieb der "Wiener Kurier" am 18. Dezember 1945. Schwere, an die Substanz gehende Schäden hat das Herz der Demokratie während des Zweiten Weltkriegs erlitten. Dementsprechend sprach die Zeitung "Neues Österreich" wenige Tage vor der ersten Nationalratssitzung nach Kriegsende, die am 19. Dezember 1945 stattfinden sollte, von einem "trostlosen Bild der Verwüstung". Unter Hochdruck wurden am Hohen Haus die letzten notwendigen Arbeiten einer "beschleunigten Bauaktion" durchgeführt. Über 100 Arbeiter waren an diesen ersten Instandsetzungsarbeiten beteiligt. Zuerst mussten in Aufräumarbeiten tausende Kubikmeter an Schutt entfernt werden. Ziel war es, so rasch wie möglich einen Parlamentsbetrieb in einem durch den Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Gebäude möglich zu machen.
Die Schäden waren jedoch groß. Viele Teile des Hauses waren beschädigt, Teile davon waren gänzlich zerstört. Letztlich sollten die gesamten Renovierungsarbeiten noch Jahre in Anspruch nehmen. Wenn man heute durch die neu renovierten und modernen Räume des Parlaments wandelt, kann man sich schwer vorstellen, unter welchen Bedingungen die Arbeit im Parlament in diesen Tagen erfolgen musste. Die Parlamentskorrespondenz unternimmt einen Rückblick auf eine schwierige, aber von Aufbruchsstimmung gekennzeichnete Zeit am Wiener Ring.
Spuren des Krieges: 60 % des Hauses sind beschädigt
In den letzten Kriegsmonaten verursachten mehrere Bombentreffer im Februar 1945 große Zerstörungen am Parlamentsgebäude. Dabei wurde insbesondere der Bereich an der Ecke Reichsratsstraße-Rathausplatz schwer getroffen. Während der letzten Kampfhandlungen, die zur Befreiung Wiens führten, wurde zudem durch Artillerietreffer und anschließende Brände der ehemalige Sitzungssaal des Herrenhauses‚ in dem in der Ersten Republik die Sitzungen des Nationalrats abgehalten worden waren, vollständig zerstört. Große Verwüstungen entstanden auch durch Brände an mehreren Stellen im Gebäude, wie im Kanzlei- und Archivtrakt. Eine Bestandsaufnahme der technischen Gebäudeverwaltung stufte im Mai 1945 60 % des Hauses als "in unterschiedlichem Ausmaß" beschädigt ein, wie dem Buch "Inbesitznahmen" von Bertrand Perz, Verena Pawlowsky und Ina Markova zu entnehmen ist. 15 % der Gebäudesubstanz - wie eben der Sitzungssaal des Herrenhauses - waren gänzlich zerstört.
Nationalratspräsident Leopold Kunschak zeichnete am 4. April 1946 in der Debatte des Parlamentsbudgets 1946 vor den Abgeordneten "ein wenig erfreuliches Bild" über den Zustand des Parlamentsgebäudes und den Aufwand zur Wiederherstellung, berichtete die Parlamentskorrespondenz in einer ihrer ersten Ausgaben der Zweiten Republik. Es sei selbstverständlich "Sorge des Präsidiums, die Verhältnisse im Hause der Volksvertretung, die durch die Kriegseinwirkungen außerordentlich gelitten haben, wenigstens einigermaßen in Ordnung zu bringen", betonte Kunschak. So seien die Decken der Gänge zum Sitzungssaal schwer beschädigt, "sodass eminente Einsturzgefahr bestehe". Für neue Decken seien schlichtweg nicht genügend Baumaterialien verfügbar, zeigte sich der Nationalratspräsident wenig optimistisch. Zu den dringendsten Arbeiten würden die "Abräumung der grossen [sic!] Schuttmassen und die Abtragung der schwer beschädigten Bestandteile des Gebäudes" gehören, zitiert die Parlamentskorrespondenz. Ungeachtet dessen gab es zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Monate lang Betrieb in dem Gebäude.
Staatskanzler Renner drängt auf Betrieb des Parlaments im Parlamentsgebäude
Aufgrund der massiven Schäden wurden auch Ausweichquartiere für den Parlamentsbetrieb überlegt. Staatskanzler Karl Renner drängte jedoch auf den raschen Wiedereinzug in das Parlamentsgebäude und die Durchführung der dafür notwendigen Instandsetzungsarbeiten in den unterschiedlichsten Bereichen. Neben den Parlamentsbediensteten waren über 100 Handwerker in einer "beschleunigten Bauaktion", wie es "Das kleine Volksblatt" in einem Artikel am 16.Dezember 1945 nannte, im Einsatz. Eher behelfsmäßig wurden die schwerwiegendsten Schäden, etwa an den Dächern, soweit als möglich behoben. Ebenso waren Reparaturen an den Heizungs- und Lichtanlagen notwendig. Auch die vielen zerstörten Fenster mussten wieder instandgesetzt werden. Dafür wurden im November 1945 1.500 m2 Glas für die notwendigsten Reparaturen geliefert, ist dem Buch "Inbetriebnahmen" zu entnehmen.
Ungenügende Abdichtungen während der monatelangen Bauzeit führten zum Eindringen von Feuchtigkeit, was teils fatale Auswirkungen auf die Bausubstanz hatte, berichtete die Parlamentskorrespondenz im April 1946 weiters. So mussten in Folge mehrere Decken wegen Baufälligkeit saniert werden.
Nicht nur der bauliche Zustand, sondern auch die Inneneinrichtung des Parlaments war eine Herausforderung . "Generell stellte sich 1945 die Frage nach dem Verbleib so gut wie aller Einrichtungsgegenstände", wird im Buch "Inbesitznahmen" angeführt. Erhebungen nach deren Verbleib blieben weitgehend erfolglos und es musste entsprechender Ersatz angeschafft werden.
Arbeiten bei eisigen Temperaturen im Wintermantel zwischen Schutt und Asche
Der umfangreiche Sanierungsbedarf hatte zur Folge, dass der Parlamentsbetrieb bei laufenden Bauarbeiten erfolgen musste. Aufgrund ungenügender Heizmöglichkeiten bei undichten oder sogar scheibenlosen Fenstern war es im Winter 1945/46 kein seltenes Bild, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus in Mänteln und mit Handschuhen arbeiteten.
Ebenso mussten angesichts der Materialknappheit in allen Bereichen und des Ausmaßes der Schäden bei der Renovierung Schwerpunkte gesetzt werden. Dies hatte zur Folge, dass bestimmte Bereiche länger auf Instandsetzungen warten mussten. So beklagte die Bibliothekarin Hilda Rothe in einem Brief die "stiefmütterliche Behandlung" der Parlamentsbibliothek. Trotz Herbstkälte wurden weder die dortigen Fenster repariert, noch war für eine Heizung oder ausreichende Beleuchtung gesorgt. Folglich musste die Bibliotheksmitarbeiterin bei Temperaturen um den Gefrierpunkt bei offenen Fenstern arbeiten. Der Mangel zeigte sich allerorts. So fanden Altpapierbestände aus der NS-Zeit offenbar Verwendung als Toilettenpapier, wird im Buch "Inbesitznahmen" dargestellt.
Auch eine ärztliche Versorgung musste sichergestellt werden. So wurde infolge der "außerordentlich schwierigen Verhältnisse des Jahres 1945" ein ärztlicher Bereitschaftsdienst an Sitzungstagen mit Amtsärzten der Bundespolizeidirektion Wien eingerichtet, ist dem Buch "Inbesitznahmen" zu entnehmen. Ob mit den "schwierigen Verhältnissen" der schlechte bauliche Zustand des Parlamentsgebäudes und das Arbeiten auf einer teils ungesicherten Baustelle gemeint war, kann dem Buch zufolge nur spekuliert werden.
Die großflächigen Schäden und der daraus entstandene Platzmangel hatten auch zur Folge, dass nicht alle Nutzungen im Gebäude wieder aufgenommen werden konnten. So waren etwa nicht genügend Flächen für den Verfassungsgerichtshof verfügbar. Dieser war in der Ersten Republik von 1923 bis zu seiner Lahmlegung 1934 im Parlament untergebracht. Angesichts der guten Infrastruktur, wie der Nähe zur Parlamentsbibliothek und zum Justizpalast, strebte der Verfassungsgerichtshof 1945 wieder seinen Sitz im Parlament an.
Adaptierungen für die erste Nationalrats- und Bundesratssitzung
Der heutige Bundesversammlungssaal blieb von Kriegsschäden weitgehend verschont und sollte daher für die konstituierende Sitzung des Nationalrats am 19. Dezember 1945 genutzt werden. Dafür waren auch hier Adaptierungsarbeiten notwendig, berichtete die Zeitung "Neues Österreich" am 16. Dezember 1945. Die früheren Aufbauten für das Präsidium waren zu einem Aufstellpodium für Fahnenträger umgebaut worden. Daher musste ein neues Podium errichtet werden.
Für die Sitzungen des Bundesrats wurde der ehemalige Budgetsaal vorgesehen. Der ursprüngliche Saal des Bundesrats war schwer beschädigt. Insbesondere die Wiederherstellung des dortigen Glasdachs stellte eine große Herausforderung dar.
Aus NS-Gauhaus wird wieder Parlament
Aber nicht nur der bauliche Zustand des Gebäudes forderte Einsatz in diesen Tagen. "Es sind nicht lauter freundliche Erinnerungen, die gespenstergleich in diesem Raum noch für manchen Österreicher spuken mögen", schrieb der Wiener Kurier am 18. Dezember 1945. Während der NS-Zeit hatte das Parlamentsgebäude als Gauhaus gedient. In dieser Zeit wurden Veränderungen vorgenommen, wie Tapezierungen der Wände und das Einziehen von Zwischendecken. So schrieb die "Wiener Zeitung" am 16. Dezember 1945: "Die in edelsten Stukkolustro spiegelnden Wände im Salon des früheren Nationalratspräsidenten ließ Schirach (Anm. NS-Gauleiter und Reichsstatthalter) mit einer modernen Tapete überkleben. [...] Die Staatsgebäudeverwaltung ist nun bemüht, den früheren Zustand nach Möglichkeit wieder herzustellen." Auch die Zeitung "Neues Österreich" berichtete am 16. Dezember 1945 über die Beseitigung von "Verunstaltungen aus der nationalsozialistischen Herrschaftszeit".
"Das griechische Haus am Ring, von den Usurpatoren zum 'Gauhaus' herabgewürdigt ist wieder Haus der Gesetzgebung, von den feierlichen, durch die Kriegsereignisse leider beschädigten Räumen geht an diesem Tag ein Glanz aus, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart verbinden, und Hoffnung auf eine bessere und friedliche Zukunft setzte sich fest um den weißen Marmor und das klassische Säulenwerk des Baues", berichtete der Wiener Kurier am 18. Dezember 1945 und zeigt damit die trotz aller Schwierigkeiten vorhandene Aufbruchsstimmung dieser Tage.
Auf provisorische Instandsetzungen folgen jahrelange Renovierungsarbeiten
Mit diesen ersten Adaptierungsarbeiten wurde zwar der Parlamentsbetrieb ermöglicht, viele Schäden waren aber dadurch alles andere als beseitigt. Die größeren Wiederaufbauarbeiten an den Stellen der schweren Bomben- und Brandschäden sollten erst im Frühjahr 1946 in Angriff genommen werden. Es wurde zu dieser Zeit eine drei- bis vierjährige Bauzeit kalkuliert. Die gänzliche Instandsetzung des Parlamentsgebäudes sollte in Folge aber weit länger dauern. Abhängig war dies nicht nur von den vorhandenen Budgetmitteln, sondern insbesondere auch von der Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Baustoffen und Transportmitteln. Erst 1946 wurde festgelegt, in welcher Reihenfolge die Arbeiten erfolgen sollten. Den Schlusspunkt der Instandsetzungen markierte schließlich die Eröffnung des völlig neu gestalteten und in weiten Teilen neu gebauten Nationalratssaals im Jahr 1956. (Schluss) pst
HINWEIS: Das Parlament beleuchtet 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt.
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