- 11.12.2025, 22:35:02
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- OTS0203
Nationalrat macht Weg für Gesundheitsreformfonds frei
Abgeordnete beschließen zudem Detailänderungen im Sozialversicherungsrecht und sozialrechtliche Verbesserungen für NS-Opfer
Der Nationalrat hat in seiner heutigen Sitzung den Weg für den von der Regierung vorgeschlagenen Gesundheitsreformfonds geebnet. Ab kommendem Jahr werden damit - befristet bis 2030 - jährlich rund 500 Mio. Ꞓ in drei Sondertöpfe fließen, die bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVAEB) eingerichtet sind. Das Geld dafür stammt aus der Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge von Pensionistinnen und Pensionisten, wobei nicht die Beiträge der Betroffenen selbst, sondern die gesetzlich verankerten Zuzahlungen der Pensionsversicherung für den Fonds verwendet werden. Mit den Mitteln soll unter anderem der Ausbau von Primärversorgungszentren weiter vorangetrieben und Prävention forciert werden. Es müsse gelingen, dass ältere Menschen länger gesund bleiben, sagte Sozialministerin Korinna Schumann. Genaue Richtlinien und Zielvorgaben für die drei Fonds wird das Sozialministerium - nach Beratungen durch einen Beirat - festlegen.
Verabschiedet wurde der Gesetzesentwurf mit den Stimmen der Koalitionsparteien. ÖVP, SPÖ und NEOS erwarten sich vom Fonds eine bessere Gesundheitsversorgung im niedergelassenen Bereich. Man müsse Schritte setzen, um wieder von der "Zwei-Klassen-Medizin" wegzukommen, sagte etwa SPÖ-Klubobmann Philip Kucher. FPÖ und Grüne halten den Fonds hingegen für überflüssig, zumal die 500 Mio. Ꞓ den Krankenkassen ohnehin zustünden, wie sie geltend machten. Einen heftigen Schlagabtausch mit gegenseitigen Schuldzuweisungen gab es in der Frage, wer für die Verschlechterung des Gesundheitssystems in den letzten Jahren verantwortlich sei.
Einstimmig haben die Abgeordneten einen Fünf-Parteien-Antrag angenommen, der Überlebenden des Holocaust, die erst Anfang der 1950er-Jahre aus Österreich ausgewandert sind, einen begünstigten Nachkauf von Pensionsversicherungszeiten ermöglicht. Gleichzeitig soll der Kreis jener NS-Opfer erweitert werden, die ohne Wohnsitz in Österreich Pflegegeld erhalten. Eine gegen die Stimmen der FPÖ beschlossene Gesetzesnovelle hat Detailänderungen im Sozialversicherungsrecht zum Inhalt, etwa bezüglich der Teilpension und der Mitversicherung eines Lebensgefährten bzw. einer Lebensgefährtin.
FPÖ: Gesundheitsreformfonds ist "völlig unnötiges Konstrukt"
Kritisch zum Gesundheitsreformfonds äußerten sich in der Plenardebatte unter anderem die FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch, Peter Wurm und Gerhard Kaniak. Es werde ein Fonds eingerichtet, den "kein Mensch" brauche, sagte etwa Belakowitsch und sprach von einem "völlig unnötigen Konstrukt". Geld, das von der Pensionsversicherung an die Krankenkassen gehen sollte, werde über den Fonds umgeleitet und für Maßnahmen verwendet, die ohnehin Aufgabe der Krankenkassen seien. Auch ihr Fraktionskollege Kaniak erwartet sich keine Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten. Eine Reform sei "nicht einmal ansatzweise in Sicht", meinte er und mahnte Strukturreformen ein, um Kosten im Gesundheitssystem zu sparen. Wurm kritisierte, dass der Gesundheitsreformfonds von den Pensionistinnen und Pensionisten finanziert werde, diese sich bei der Versorgung aber weiterhin "hinter Asylanten anstellen" müssten.
Grüne: Durch den Fonds wird sich nichts ändern
Als "potemkinsches Dorf" qualifizierte Grünen-Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner den Fonds: "Eine schöne Fassade und dahinter ist nichts", resümierte er. Der Fonds werde nichts zur Verbesserung des Gesundheitssystems beitragen. Schließlich würde er im ersten Jahr 90 % und im zweiten Jahr 80 % der Mittel im Voraus auszahlen. Und am Ende würden die Kassen das Geld sowieso bekommen, unabhängig davon, welche Zielvorgaben es gebe und ob diese erreicht würden. Auch die Zusammensetzung des Beirats, der noch dazu nur Empfehlungen abgeben könne, wurde von Schallmeiner hinterfragt.
Das Gesundheitswesen sei bereits stark zersplittert, nun würden drei weitere Finanzierungsströme dazukommen, bemängelte neben Schallmeiner auch sein Fraktionskollege Markus Koza. Mit dem Fonds konterkariert die Regierung seiner Ansicht nach ihr eigenes Ziel, das Gesundheitssystem aus einer Hand zu finanzieren. "Am Ende bleibt alles, wie es ist", so Kozas Conclusio.
Koalition will Mittel zielgerichtet einsetzen
Für die Koalitionsparteien ist die Kritik der Opposition allerdings nicht nachvollziehbar. Mit den Mitteln des Fonds wolle man bewusst in Bereiche des Gesundheitswesens investieren, wo es großen Bedarf gebe, sagte etwa Michael Hammer (ÖVP). Es gehe darum, den niedergelassenen Bereich zu stärken, vor allem auch im ländlichen Raum. Im Sinne des Grundsatzes "digital vor ambulant vor stationär" soll ihm zufolge außerdem die Patientenlenkung verbessert werden. Elisabeth Scheucher-Pichler (ÖVP) wies überdies auf die Bedeutung der Prävention und den notwendigen Ausbau der Versorgung im Bereich der psychischen Gesundheit hin: Hier wolle man wichtige Impulse und Schritte setzen. Es sei wichtig, Maßnahmen zu setzen, damit Pflegebedürftigkeit im Alter später eintrete.
NEOS-Abgeordneter Christoph Pramhofer sieht den Gesundheitsreformfonds als ersten Baustein für eine große Gesundheitsreform. Seine Partei habe sich dafür eingesetzt, dass die zusätzlichen 500 Mio. Ꞓ nicht einfach im Gesundheitssystem "versickern", sondern für nachhaltige Reformen genutzt würden, bekräftigte er. Es brauche eine bessere Gesundheitsversorgung am Land auch an Abenden und Wochenenden, kürzere Wartezeiten auf Arzttermine, einen stärkeren Fokus auf psychische Gesundheit und mehr Prävention für mehr gesunde Lebensjahre. Jeder Euro, den man in die Prävention investiere, spare auf Dauer Geld, sagte er. Auch seine Parteikollegin Martina von Künsberg Sarre sieht den Fonds nur als ersten Schritt für eine große Gesundheitsreform.
SPÖ: FPÖ hat Gesundheitssystem "heruntergewirtschaftet"
Seitens der SPÖ hoben Rudolf Silvan, Josef Muchitsch und Philip Kucher hervor, dass die SPÖ in den vergangenen sieben Jahren nicht in der Regierung gewesen sei. In dieser Zeit habe sich die Situation im Gesundheitsbereich deutlich verschlechtert, meinten sie. Das Gesundheitssystem funktioniere nicht mehr so, wie es früher funktioniert habe, sagte etwa Muchitsch. Dafür tragen seiner Meinung nach FPÖ und Grüne Mitverantwortung, wobei er der Sozialversicherungsreform unter der "schwarz-blauen Regierung" im Jahr 2018 die Hauptschuld für die Entwicklung gibt. Auch Kucher ist der Meinung, dass es vor allem die FPÖ gewesen ist, die das Gesundheitssystem "heruntergewirtschaftet" habe. Nun müsse die SPÖ "den Scherbenhaufen" wieder zusammenräumen", was aber, so Muchitsch, nicht von heute auf morgen gehe. Silvan zufolge hatten die neun Gebietskrankenkassen vor der Zusammenlegung 1 Mrd. Ꞓ an Rücklagen, diese seien nun "fast weg" und die Kassen tief im Minus. Laut Kucher geht es unter dem Motto "E-Card statt Kreditkarte" nun darum, die Wegleitung des Geldes hin zu den Privaten wieder umzukehren und die "Zwei-Klassen-Medizin" Schritt für Schritt zu beseitigen.
Mit ihren Wortmeldungen lösten die SPÖ-Abgeordneten heftige Reaktionen aus. So meinte etwa FPÖ-Abgeordneter Wurm, dass die Hauptschuld an der derzeitigen Situation im Gesundheitsbereich darin liege, dass "zwei Millionen Leute nach Österreich hineingelassen wurden, die nichts ins System einzahlen, aber davon profitieren". Zudem machte er die Corona-Politik mitverantwortlich. Ohne eine Zusammenlegung der Kassen wären die Krankenkassen seiner Ansicht nach nicht mit einer Milliarde, sondern mit zwei Milliarden im Minus. Sein Fraktionskollege Kaniak ist überzeugt, dass die versprochene "Patientenmilliarde" erlöst werden hätte können, hätten die Sozialversicherungen die Reform mitgetragen und das Geld "nicht in der Verwaltung verbraten".
Zur Verteidigung der Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister der vergangenen Jahre rückte auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger aus. Alle Regierungen hätten sich bemüht, das Gesundheitssystem zu verbessern, wandte er sich gegen "Schuldzuweisungen". Auch er ist überzeugt, dass man ohne Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger heute über ganz andere Probleme diskutieren würde. Zudem verwies er auf wesentliche Weichenstellungen im Finanzausgleich und die umfangreichen Pflegepakete der vergangenen Jahre. Was die geplante gemeinsame Steuerung und Planung im Gesundheitsbereich betrifft, setzt Wöginger große Hoffnung in die "Reformpartnerschaft" mit den Ländern.
Schumann will Vertrauen in Gesundheitssystem wieder stärken
Sozialministerin Korinna Schumann ist es ein besonders Anliegen, dass die Menschen wieder Vertrauen in das Gesundheitssystem gewinnen. Mit dem Gesundheitsreformfonds verfolgt sie insbesondere zwei Ziele: die Fortführung "des Erfolgsmodells Primärversorgungseinheiten" sowie die Stärkung der Gesundheitsvorsorge und der Prävention. Viele Primärversorgungseinheiten seien durch EU-Mittel finanziert worden, den weiteren Ausbau soll jetzt der Gesundheitsreformfonds übernehmen. Das sei auch wichtig, um die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum zu verbessern.
Zudem will Schumann durch eine Stärkung der Prävention erreichen, dass die Menschen in Österreich länger gesund leben, wobei sie insbesondere drei Zielgruppen im Fokus hat. So sollen Kinder und Jugendliche lernen, wie man gesund lebt und dass Bewegung dabei eine wichtige Rolle spiele. Für Personen mittleren Alters strebt Schumann eine Weiterentwicklung der Vorsorgeuntersuchung an. Zudem will sie bei älteren Menschen "hinschauen", um deren Selbstständigkeit länger zu erhalten.
Detailänderungen im Sozialversicherungsrecht
Mit der gegen die Stimmen der FPÖ beschlossenen Sozialversicherungsnovelle werden unter anderem kleinere Nachbesserungen bei der Teilpension vorgenommen, die - bei Erfüllen bestimmter Voraussetzungen - ab 2026 in Anspruch genommen werden kann. So soll es etwa nicht nötig sein, die mit dem Dienstgeber vereinbarte Arbeitszeitreduktion auf ganze Arbeitsstunden zu runden. Zudem wird Personen die Mitversicherung einer Lebensgefährtin bzw. eines Lebensgefährten in der Krankenversicherung im Falle der Erziehung eines Kindes erleichtert.
Peter Wurm (FPÖ) begründete die Ablehnung der Novelle durch seine Fraktion trotz einiger positiver Punkte vor allem damit, dass die Einführung der Teilpension mit massiven Verschlechterungen bei der Altersteilzeit verbunden sei. Zudem sieht er nicht ein, warum die Video-Teilnahme stimmberechtigter Funktionärinnen und Funktionäre an Sitzungen der Sozialversicherungen künftig erleichtert wird. Wurm nutzte die Debatte überdies dazu, um einmal mehr auf die Wiedereinführung der abschlagsfreien Frühpension bei 45 Arbeitsjahren zu pochen.
Ausdrücklich begrüßt wurde die Novelle hingegen von Reinhold Binder (SPÖ) und Heike Eder (ÖVP). Es gehe um zeitgemäße Änderungen sowie um mehr Verlässlichkeit bei einem Wechsel in die Teilpension, sagte Binder. Laut Eder wird zudem eine Gesetzeslücke für Familien geschlossen. Ein Dorn im Auge ist Eder, dass "viel zu wenig" Männer in Karenz gehen. Hier braucht es ihrer Meinung nach ein gesellschaftliches Umdenken. Kinderbetreuung müsse eine partnerschaftliche Aufgabe sein.
Pensionsnachkauf und Pflegegeld für Überlebende des Holocaust
Derzeit können Personen, die während des "Ständestaates" bzw. der NS-Herrschaft in Österreich politisch verfolgt wurden oder aus religiösen Gründen bzw. wegen ihrer Abstammung ihre Heimat verlassen mussten, für einen begrenzten Zeitraum (limitiert mit 31. März 1959) begünstigt Pensionsversicherungszeiten nachkaufen, wenn sie bis Ende 1949 aus Österreich ausgewandert sind. Nun wird der dafür maßgebliche Stichtag auf den 15. Mai 1955 verlegt. Auch für den Anspruch von NS-Opfern auf Pflegegeld ohne Wohnsitz in Österreich wird dieser Stichtag künftig gelten.
Im Rahmen der Debatte sprach Dagmar Belakowitsch (FPÖ) von einem wichtigen Symbol, auch wenn man damals verursachtes Leid nicht wieder gut machen könne. Man schließe eine Lücke und setze ein längst fälliges Zeichen des Respekts und der Anerkennung erlittenen Unrechts gegenüber Spätmigrantinnen und Spätmigranten, hielt Verena Nussbaum (SPÖ) fest. Viele Verfolgte seien nach dem Krieg zunächst nach Österreich zurückgekommen, um Angehörige zu suchen, sich ein Bild von der Lage zu machen oder Restitutionsansprüche geltend zu machen, schilderte Markus Koza (Grüne). Aufgrund verschiedener Ursachen hätten sie sich in weiterer Folge aber häufig dazu entschlossen, das Land wieder zu verlassen. Die geltende Frist für den Nachkauf von Versicherungszeiten sei zu kurz, sagte Koza, nun werde ein wichtiger Schritt zur besseren sozialen Absicherung der Betroffenen gesetzt. Es werde "ein Stück Gerechtigkeit nachgeholt", betonte auch Ernst Gödl (ÖVP). Fiona Fiedler (NEOS) wies darauf hin, dass die Betroffenen fern der Heimat ihr Leben neu aufbauen hätten müssen. Laut Koza ist der betroffene Personenkreis "leider sehr klein", Österreich habe sich zu lange Zeit gelassen.
Angenommen wurde die Gesetzesnovelle unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags: Angesichts des Alters der betroffenen Personen sieht er vor, neu entstandene bzw. höhere Pensionsansprüche rückwirkend ab 1. Jänner 2025 zu gewähren, wenn der Antrag auf Nachkauf von Versicherungszeiten bis zum 31. Dezember 2026 gestellt wird. (Fortsetzung Nationalrat) gs
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