• 26.11.2025, 09:00:37
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Freihandel mit der Türkei brächte Vorteile für Österreich und die EU

Vertiefte Zollunion zwischen EU und Türkei als Win-win-Situation; große Chancen für Österreich, vor allem bei Maschinen und Fahrzeugen; Verhandlungen als Hebel gegenüber Ankara

Wien (OTS) - 

Österreich und die anderen EU-Mitglieder schöpfen das wirtschaftliche Potenzial im Handel mit der Türkei bei Weitem nicht aus. Eine Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen über mehr Freihandel mit dem großen Nachbarn im Südosten böte der Union aber nicht nur wirtschaftliche Impulse, sondern auch einen stärkeren Hebel zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen – Stichwort Migration, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Ankaras Rolle im Nahen Osten. Das sind die wesentlichen Ergebnisse einer neuen Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, Energie und Tourismus.

Die Untersuchung plädiert daher für eine Vertiefung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei, die seit 1996 besteht und als Vorstufe zum EU-Beitritt Ankaras gedacht war. Seither ist der Handel zwischen beiden Wirtschaftsblöcken zwar massiv gestiegen, in den letzten 15 Jahren haben Österreich und die meisten EU-Staaten in Westeuropa mit Ausnahme Spaniens aber Federn lassen müssen und Marktanteile vor allem an China und Russland verloren. Österreich exportiert derzeit weniger als die Hälfte des möglichen Volumens in die Türkei. Besonders bei Maschinen und Fahrzeugen hätte die heimische Wirtschaft noch großes Potenzial. Rechnet man die Impulse durch den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse sowie eine Ausweitung auf den Dienstleistungsbereich dazu, vergrößern sich die möglichen wirtschaftlichen Vorteile noch weiter.

„Wien und Brüssel sollten deshalb aus reinem Eigeninteresse alles daransetzen, den Handel und die Wirtschaftsbeziehungen mit Ankara über eine Vertiefung und Ausweitung der bestehenden Zollunion zu intensivieren“, sagt Meryem Gökten, Türkei-Expertin am wiiw und Co-Autorin der Studie. „Durch die positiven wirtschaftlichen Effekte ließe sich zumindest auch ein Teil der negativen Auswirkungen der US-Zölle auf Europa kompensieren. Die Aussicht auf eine vertiefte Wirtschaftskooperation mit der Türkei könnte der EU zudem neue Verhandlungsmacht gegenüber Ankara geben und die Rivalen Russland und China auf Distanz halten“, argumentiert Gökten.

Vier Szenarien

Konkret beleuchtet die Studie die ökonomischen Auswirkungen einer weiteren Handelsliberalisierung zwischen der EU und der Türkei auf die EU, die Türkei und Österreich. Dabei werden vier mögliche Szenarien betrachtet.

Szenario 1 (S1) fungiert als Ausgangsszenario und inkludiert alle bis zum 31. August 2025 in Kraft gesetzten Zölle, also auch das Zollabkommen zwischen der Trump-Administration und der EU mit einem generellen Zollsatz von 15 Prozent auf EU-Exporte in die USA. Szenario 2 (S2) geht von einer Vertiefung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei aus. Dabei entfallen alle bisher noch erhobenen Zölle auf Produkte in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Lebensmittel und Getränke, Kohle, Stahl und Chemie. In Szenario 3 (S3) würden zusätzlich auch noch alle nichttarifären Handelshemmnisse zwischen der EU und der Türkei fallen. In Szenario 4 (S4) simulieren die Autoren einen möglichen Handelskrieg zwischen der EU und den USA und seine Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen zwischen den EU-Staaten und der Türkei.

Hauptprofiteur Türkei

Fazit: Vor allem bei einer tiefgreifenden Modernisierung der Zollunion (S3) nähmen die Handelsströme zwischen der Türkei und der EU deutlich zu, wobei die EU-Exporte (+7,1 Prozent) stärker stiegen als die türkischen (+6,2 Prozent).

Insgesamt wäre allerdings eindeutig die Türkei die Hauptnutznießerin einer vertieften Handelsbeziehung, da die Wohlstandseffekte für sie mit 0,24 bis 0,267 Prozent des BIP klar positiv wären. Die EU-Staaten profitierten von der Vertiefung der Zollunion mit der Türkei dagegen nur minimal (BIP-Plus S2 gegenüber S1: 0,002 Prozent; und BIP-Plus S3 gegenüber S2: 0,001 Prozent) und hätten insgesamt aufgrund von Trumps Zöllen leichte Wohlstandsverluste (S1 bis S3: 0,025 bis 0,028 Prozent des BIP) zu verzeichnen. Im Falle eines Handelskrieges mit den USA könnten sich die Wohlstandverluste für die EU auf 0,059 Prozent des BIP verdoppeln, während der Effekt für die Türkei aufgrund der Umlenkung von Handelsströmen in diesem Fall sogar leicht positiv wäre.

„Eine vertiefte Zollunion mit der Türkei würde Österreich und der EU also dabei helfen, die negativen Effekte von Trumps Zöllen zumindest etwas abzufedern. Österreich könnte seine Exporte in die Türkei in diesem Fall mindestens um rund 6 Prozent steigern“, rechnet Oliver Reiter, Handelsökonom am wiiw und Co-Autor der Studie, vor. „Weitere rasche Handelsabkommen mit anderen Partnern wie etwa den Mercosur-Staaten könnten die negativen Folgen der Trump-Zölle weiter abschwächen.“

Politischer Hebel gegenüber Ankara

Der wesentliche Vorteil von intensivierten Handelsbeziehungen wäre laut dem Papier aber eine stärkere politische Anbindung der Türkei an Europa. Russland und China haben dort massiv an Einfluss gewonnen und Präsident Erdogan kümmern die Interessen der Europäer bekanntermaßen nur insofern, als er davon ökonomisch profitiert.

„Gerade weil die Türkei bei einer Vertiefung der Zollunion mit der EU wirtschaftlich am meisten zu gewinnen hätte, gäbe das den Europäern gegenüber Ankara im Verhandlungsprozess einen sehr starken Anreiz für politische Zugeständnisse in die Hand“, resümiert Meryem Gökten.

Die gesamte Studie steht hier zum Download zur Verfügung.

Download der gesamten Studie

Rückfragen & Kontakt

Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)
Mag. Andreas Knapp
Telefon: +43 680 1342 785
E-Mail: knapp@wiiw.ac.at

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