- 24.11.2025, 16:39:02
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Gewalt beginnt im Kopf
BÖP: Tief verwurzelte Geschlechterbilder belasten die psychische Gesundheit nachhaltig
Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles Schicksal, sondern ein tief in unserer Gesellschaft verwurzeltes Problem. Ihre gravierenden psychischen Folgen werden jedoch häufig übersehen oder unterschätzt. Darauf weist der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP) im Rahmen der internationalen Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ hin, die jährlich vom 25. November bis 10. Dezember auf die weltweite Gewalt an Frauen aufmerksam macht.
Gewalt gegen Frauen ist Ausdruck von Machtmissbrauch und patriarchalen Strukturen. Noch immer prägen soziale Netzwerke, Streaming-Plattformen und mediale Vorbilder ein Frauenbild, das Abhängigkeit, Anpassung und Objektifizierung normalisiert“, erklärt BÖP-Präsidentin a.o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger. „Diese Stereotype prägen das Verhalten Heranwachsender, formen Beziehungen und fördern Respektlosigkeit bis hin zu Gewalt. Wenn junge Menschen tagtäglich mit Bildern von Dominanz, Kontrolle und sexualisierter Darstellung konfrontiert sind, werden diese Muster unbewusst als „normal“ abgespeichert – und genau dort beginnt psychische Gewalt.“
Ein Blick zurück zeigt, dass Gleichberechtigung in Österreich historisch gesehen jung ist. Erst 1918 erhielten Frauen das allgemeine Wahlrecht. Bis 1975 galt häusliche Gewalt nicht als automatischer Scheidungsgrund, und Misshandlung in der Ehe wurde häufig als „Privatsache“ abgetan. Das erste Frauenhaus öffnete 1978 in Wien – initiiert durch die Frauenbewegung, nicht durch staatliche Stellen. Erst 1989 wurde Vergewaltigung in der Ehe strafbar, und mit dem Gewaltschutzgesetz von 1997 erhielt die Polizei die Befugnis, Täter häuslicher Gewalt aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen.
Diese späten Fortschritte verdeutlichen, wie tief das vermeintliche „Recht des Mannes“ über den Körper einer Frau in unserer Kulturgeschichte verwurzelt war – und teilweise noch ist. Frauen mussten in Österreich bis in die 1990er-Jahre um rechtlichen Schutz im eigenen Zuhause kämpfen. Diese Vergangenheit wirkt bis heute fort: in Denkweisen, in Sprache, in gesellschaftlichen Erwartungen. Solche Muster verschwinden nicht mit einem Gesetz. Sie prägen Haltungen, Beziehungen und die psychische Gesundheit nachfolgender Generationen – und genau deshalb ist ihre Aufarbeitung so entscheidend.
Psychische Gewalt: die oft übersehene Form der Machtausübung. Gewalt gegen Frauen zeigt sich nicht nur körperlich. Viele erleben emotionale Kontrolle, Erniedrigung oder soziale Isolation – Formen psychischer Gewalt, die tiefe seelische Wunden hinterlassen können. Intensive Ängste, massiver Selbstwertverlust, starke Gefühle von Schuld, Scham und Selbstverachtung etc. sind häufige Folgen, ebenso psychische Störungen wie Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder Substanzabhängigkeiten. Die Zahlen unterstreichen das Ausmaß der Belastung: Frauen entwickeln etwa doppelt so häufig Depressionen wie Männer – ein deutliches Zeichen dafür, wie sehr Gewalt und Benachteiligung die seelische Gesundheit beeinträchtigen.
Zahlreiche Studien belegen, dass auch Kinder, die häusliche Gewalt miterleben müssen, psychisch stark betroffen sind. Gewalt wirkt damit nicht nur unmittelbar, sondern auch strukturell: Sie hinterlässt Spuren in Familien, Beziehungen und gesellschaftlichen Haltungen.
Trotz alarmierender Zahlen bleibt echter Wandel aus. Bis November 2025 wurden in Österreich 14 Frauen ermordet – getötet, weil sie Frauen waren. Weitere 32 Frauen überlebten Mordversuche oder wurden Opfer schwerer Gewalt. Hinter diesen Zahlen stehen reale Schicksale und ein gesellschaftliches Klima, das Gewalt gegen Frauen nach wie vor ermöglicht.
Internationale Vergleiche zeigen: Wo Gleichstellung gelebt wird, sinkt die Toleranz gegenüber Gewalt. In den skandinavischen Ländern ist Gleichstellungspolitik eng mit Gewaltprävention verknüpft. Gewaltprävention beginnt dort bereits in der Schule – Kinder und Jugendliche lernen früh, was Respekt, Konsens und Gleichberechtigung bedeuten. In Schweden sind Unterrichtseinheiten zu sexueller Integrität und Gleichstellung seit 2015 fixer Bestandteil des Lehrplans.
Auch die Zusammenarbeit von Polizei, Gesundheitsdiensten, Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen ist in Nordeuropa eng vernetzt, um Gewaltfälle rasch und systematisch zu behandeln. Psychologische Unterstützung für Betroffene ist flächendeckend, niedrigschwellig und entstigmatisierend vorhanden.
Das zeigt: Länder mit geringeren Einkommensunterschieden und stärker gelebter Gleichstellung zwischen den Geschlechtern fördern nicht nur wirtschaftliche Unabhängigkeit, sondern auch psychische Sicherheit. Gewalt gegen Frauen wird dort gesellschaftlich nicht geduldet, sondern es werden von Anfang an Alternativen gelernt: Gleichstellung, gewaltfreie Kommunikation, kooperatives und solidarisches Verhalten, gegenseitiger Respekt etc..
Aufklärung, Verantwortung, Solidarität. Der BÖP fordert eine tiefgreifende psychologische Prävention: Sensibilisierung für Geschlechterrollen und Gleichberechtigung bereits im Kindes- und Jugendalter, Medienverantwortung bei der Darstellung von Beziehungen und Körperbildern sowie flächendeckende psychologische Unterstützung für Gewaltbetroffene und deren Familien.
„Jede Form von Gewalt beginnt im Kopf – und kann auch dort beendet werden. Solange patriarchale Strukturen fortbestehen, wird sich an den Zahlen wenig ändern. Es braucht eine kollektive Bewusstseinsarbeit – bereits im Kindergarten, in Schulen, in den Medien, in der Politik und in den Familien“, so a.o. Univ.-Prof.in Dr.in Wimmer-Puchinger abschließend.
Da Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, wird ihre systematische Prävention und strategische Verankerung im Regierungsprogramm 2025-2029 der österreichischen Bundesregierung ausdrücklich festgehalten – ein Auftrag, der Hoffnung macht und langfristig zu mehr Sicherheit und Gleichberechtigung führen soll.
Rückfragen & Kontakt
Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP)
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