- 21.11.2025, 09:10:03
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Von der Diktatur zur Demokratie: Die Weichenstellung durch die Nationalratswahl am 25. November 1945
Wie es in Österreich vor 80 Jahren zu den ersten freien Wahlen nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen ist
Vor 80 Jahren - am 25. November 1945 - waren die Österreicherinnen und Österreicher erstmals nach 15 Jahren aufgerufen, ihren Nationalrat zu wählen. Österreich kehrte damit nach der Diktatur unter Engelbert Dollfuß und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum politischen System der parlamentarischen Demokratie zurück. Neben dem Nationalrat wurden an diesem Tag auch die Landtage gewählt, welche die Mitglieder des Bundesrats entsandten. Als Siegerin der Nationalratswahl ging die ÖVP, gefolgt von der SPÖ hervor. Weit abgeschlagen landeten die Kommunisten. Diese drei Parteien bildeten, wie schon in den Monaten seit der Befreiung Österreichs durch die Alliierten davor, bis 1947 eine Proporzregierung.
Zum 80-jährigen Jubiläum dieses Meilensteins der österreichischen Demokratiegeschichte hat die Parlamentskorrespondenz im Rahmen des Jahresschwerpunkts 80 70 30 mit Günther Schefbeck, in der Parlamentsdirektion für vertiefte Parlamentarismusforschung zuständig, über die entscheidenden Schritte, Hürden und das Ergebnis der Nationalratswahl im Jahr 1945 gesprochen.
Die Weichen für die parlamentarisch-demokratische Entwicklung Österreichs werden gestellt
Noch während der nationalsozialistischen Herrschaft waren sich alle politischen Gruppen weitgehend darin einig, Österreich als selbständigen Staat wiederherzustellen. Die Vertreterinnen und Vertreter der beiden großen politischen Lager - Sozialdemokraten und Christlichsoziale - bekannten sich zur staatlichen Selbständigkeit Österreichs als Ziel für die Zeit nach Kriegsende. Nicht einmal einen Monat, nachdem der erste alliierte Soldat am 29. März 1945 österreichischen Boden betreten hatte, war die Republik Österreich bereits wieder als unabhängiger Staat konstituiert, eine provisorische österreichische Regierung unter Staatskanzler Karl Renner im Amt und die Weichen in Richtung einer parlamentarisch-demokratischen Entwicklung des österreichischen Staatenwesens gestellt.
Laut Günther Schefbeck waren dafür die handelnden Personen, wie etwa Karl Renner oder der spätere Bundeskanzler Leopold Figl, von großer Bedeutung. Renner habe es gut verstanden, in Verhandlungen mit der sowjetischen Besatzungsmacht, die in Ostösterreich zunächst allein maßgeblich war, die Zustimmung für die Etablierung der provisorischen Staatsregierung zu erhalten. Im Gegensatz zu anderen besetzten Gebieten habe die Rote Armee dieses Vorgehen in Wien nicht verhindert. Als zweiten wichtigen Faktor und "organisatorisches Rückgrat" für den Wiederaufbau staatlicher Strukturen nennt Schefbeck die Wiedererrichtung der drei politischen Parteien ÖVP, SPÖ und die KPÖ.
Im Gegensatz zu Deutschland war es zwar das Ziel der Alliierten, möglichst bald eine österreichische Zentralverwaltung - unter der Aufsicht der Siegermächte - einzusetzen, die Westalliierten weigerten sich jedoch zunächst, die in Wien unter sowjetischer Besatzung errichtete provisorische Staatsregierung anzuerkennen. Sie befürchteten laut Günther Schefbeck eine "Marionettenregierung der Sowjetunion", um Österreich zu einem kommunistisch beherrschten Land zu machen. Eine zweifelsfrei demokratisch legitimierte österreichische Zentralverwaltung konnte jedoch nur durch allgemeine Wahlen geschaffen werden. Diese aber wiederum konnten nur von einer bereits allgemein anerkannten Zentralverwaltung organisiert und durchgeführt werden.
Den Durchbruch brachte schließlich Karl Renners Plan zur Abhaltung gesamtösterreichischer Länderkonferenzen im September und im Oktober 1945, die der Herstellung eines Konsenses mit den westlichen Bundesländern und den dort stationierten Alliierten, insbesondere im Hinblick auf die Vorbereitung der allgemeinen Wahlen am 25. November, dienen sollten.
Das Wahlgesetz vom 19. Oktober 1945
Die Basis für die Abhaltung der Nationalrats- und Landtagswahlen bildete die von der provisorischen Staatsregierung am 27. April veröffentlichte Unabhängigkeitserklärung sowie das am 19. Oktober 1945 beschlossene Wahlgesetz. Als Anlassfallgesetz hatte es ausschließlich für die erste Nationalratswahl nach dem Zweiten Weltkrieg Geltung. Insbesondere für die Einteilung der 25 Wahlkreise im Bundesgebiet sowie für die Mandatsermittlung hatte man sich an der Nationalrats-Wahlordnung 1923 orientiert.
Die bei weitem wichtigste anlassbezogene Regelung im Vergleich zu anderen Wahlgesetzen habe den Ausschluss aller ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten vom aktiven als auch vom passiven Wahlrecht betroffen, betont Schefbeck. Diese verhältnismäßig weitreichende Maßnahme sei auch von den Besatzungsmächten erwartet worden. Im Vorfeld der Wahl mussten alle Männer und Frauen ab Vollendung des 21. Lebensjahres mittels sogenannter Wähleranlageblätter Angaben über eine ehemalige NSDAP-Mitgliedschaft machen. Falsche Angaben wurden durch das Wahlgesetz mit bis zu fünf Jahren Haft streng bestraft.
Als unmittelbare Kriegsfolge war der besonders hohe Frauenanteil an der Gesamtheit der Wahlberechtigten (64,3 %) eine weitere Besonderheit dieser Wahl, die das Ergebnis maßgeblich beeinflusst hat. Ausschlaggebend dafür waren laut Schefbeck die sich noch in Gefangenschaft befindlichen oder getöteten Soldaten sowie die hohe Zahl an ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden, die nicht am Urnengang teilnehmen konnten. Insgesamt waren 1945 3.449.605 Personen wahlberechtigt. Bei den Wahlen 1930 waren es mit 4.121.282 Personen noch rund 700.000 mehr gewesen.
ÖVP, SPÖ und KPÖ treten zur Wahl an
Zur Wahl am 25. November 1945 traten österreichweit drei Parteien an, die bereits seit April die provisorische Staatsregierung bildeten. Während SPÖ und ÖVP nicht direkt an ihre Vorgängerparteien in der Ersten Republik anknüpften - sie gründeten sich im April 1945 neu - schloss die KPÖ bei ihrer Wiedererrichtung direkt an ihre Strukturen der Zwischenkriegszeit an.
Der Wahlkampf war vom Einsatz traditioneller Instrumente und Medien geprägt. Einerseits von Veranstaltungen der Parteien, andererseits durch Papiermedien wie Plakate, Wandzeitungen und Flugblätter. Hinzu kamen die Parteizeitungen, die seit dem 5. August wieder erschienen. In der Plakatwerbung wurde in Ostösterreich die Begünstigung der KPÖ durch die überproportionalen Papierzuteilungen der sowjetischen Besatzungsmacht spürbar. Das offensichtliche Naheverhältnis zu den Sowjets dürfte den Kommunisten jedoch mehr geschadet als geholfen haben. Letztendlich seien "die österreichischen Wählerinnen und Wähler nicht so dumm gewesen, sich von solchen Beeinflussungsmaßnahmen tatsächlich in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen zu lassen", hält Schefbeck fest. Waren die sowjetischen Soldaten im April 1945 zunächst noch vielerorts als Befreier begrüßt worden, so hätten sie sich durch Übergriffe bald verhasst gemacht.
Der Wahltag: Die Wahlbeteiligung erreicht 94,3 %
Am 25. November 1945 erstmal nach 15 Jahren wieder zu den Urnen gerufen, zeigten die Österreicherinnen und Österreicher großes Interesse an der Stimmabgabe. Die Wahlbeteiligung lag bei bis dahin nie erreichten 94,3 %. Die Erlebnisse der Jahre 1934 bis 1945 hätten den Wählerinnen und Wählern bewusst gemacht, wie wichtig parlamentarische Demokratie ist, so die Analyse Schefbecks. Die hohe Beteiligung habe zudem die staatlichen Strukturen in Österreich, auch gegenüber den Besatzungsmächten, gestärkt.
Dass die ÖVP mit 49,8 % als klare Wahlsiegerin hervorging, bezeichnet Schefbeck als größte Überraschung des Wahltags. Ihr dürfte der kriegsbedingte besonders hohe Frauenanteil an der Gesamtheit der Wahlberechtigten zugutegekommen sein. Die Volkspartei stellte damit 85 Abgeordnete, was die absolute Mandatsmehrheit im Nationalrat bedeutete. An zweiter Stelle lag die SPÖ. Sie erreichte 44,6 % bzw. 76 Mandate. Trotz ihrer überproportional großen Ressourcen blieb die KPÖ weit abgeschlagen und klar hinter den Erwartungen. Sie erzielte 5,4 %, was insgesamt 4 Mandate im Nationalrat bedeutete. Obwohl die Frauen nahezu zwei Drittel des Wahlvolks stellten, lag deren Anteil am damals 165-köpfigen neu gewählten Nationalrat lediglich bei 5,45 %. Somit waren nur 9 Frauen in diesem Gremium vertreten.
Trotz des unerwarteten Ausgangs - der deutliche Sieg der ÖVP und das unter den Erwartungen gebliebene Abschneiden der Kommunisten - zeigt das Wahlergebnis laut Günther Schefbeck insgesamt eine strukturelle Kontinuität im Wahlverhalten, ungeachtet der seit der Nationalratswahl von 1930 eingetretenen demographischen Verschiebungen. Österreich sei 1945 noch ein stark agrarisch geprägtes Land gewesen, zudem habe es in der städtischen Bevölkerung einen handwerklich-gewerblichen Bevölkerungsanteil gegeben, der auch zur ÖVP tendierte, analysiert Schefbeck. Die bürgerliche Mehrheit, die also in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Struktur Österreichs fußte, blieb erhalten. Die SPÖ hatte trotz der Konkurrenz der KPÖ ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Ersten Republik vermehren können. Ohne das wegen seiner NS-Nähe vorübergehend ausgeschlossene "Dritte Lager" stellte sich die österreichische politische Landschaft als ein Zweiparteiensystem dar.
Bei den gleichzeitig durchgeführten Landtagswahlen war die ÖVP nicht minder erfolgreich. In sieben von neun Bundesländern erreichte sie den ersten Platz und stellte den Landeshauptmann. Lediglich in Wien und Kärnten setzte sich die SPÖ durch. Somit erreichte die Volkspartei mit 27 Mandaten, gegenüber den 23 der SPÖ, auch im Bundesrat die absolute Mehrheit.
Die Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie
Die demokratischen Wahlen vom 25. November 1945 hatten den Weg frei gemacht für die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung der parlamentarischen Demokratie. Am 19. Dezember traten sowohl der National- als auch der Bundesrat zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Der 19. Dezember 1945 gilt auch als (neuerliches) Inkrafttretensdatum des Bundes-Verfassungsgesetzes.
Am 20. Dezember wählte die Bundesversammlung Karl Renner zum Präsidenten der Republik Österreich. Dieser ernannte am selben Tag Leopold Figl zum ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik. Die Bildung einer Koalitionsregierung war schon im Vorfeld der Wahl zwischen ÖVP und SPÖ vereinbart worden, und auch der KPÖ war eine Regierungsbeteiligung in Aussicht gestellt. Aufgrund des bescheidenen Abschneidens wurde den Kommunisten nur ein verhältnismäßig unbedeutendes Ressort überlassen, das sie schon im November 1947 aufgeben sollten. Damit nahm die Regierung - bis dahin formal noch eine Konzentrationsregierung aus allen im Parlament vertretenen Parteien - endgültig den Charakter einer Großen Koalition an, die Österreich in den kommenden Jahrzehnten prägen sollte. Die Handlungssouveränität der Regierung war allerdings bis 1955 durch die zwischen den alliierten Mächten abgeschlossenen Kontrollabkommen eingeschränkt.
Die Unterschiede zwischen 1918 und 1945
Angesprochen auf die entscheidenden Unterschiede zwischen der Republiksgründung 1918 und der Wiedererrichtung 1945, ortet Günther Schefbeck eine mangelnde Überzeugung von der Lebensfähigkeit Österreichs in der Ersten Republik. Nach dem Ende der Monarchie habe der Wunsch bestanden, wieder in einer großen staatlichen Gemeinschaft - konkret als Teil Deutschlands - aufzugehen. Nach den Erlebnissen des Nationalsozialismus seien die Österreicherinnen und Österreicher hingegen "heil froh gewesen, aus Deutschland wieder rauszukommen" und "sich als Kleinstaat neu zu definieren". Das österreichische Nationalbewusstsein habe sich aber erst in den kommenden Jahrzehnten weiterentwickelt.
Der zweite wichtige Faktor ist für Schefbeck die unterschiedliche Fähigkeit und der Wille zur Zusammenarbeit zwischen den politischen Parteien gewesen. Nur in der Gründungsphase der Ersten Republik - konkret bis 1920 - habe es die Zusammenarbeit zwischen den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten gegeben. Die ideologischen und sozialstrukturellen Gegensätze hätten sich in der Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie 1933 und im Bürgerkrieg von 1934 entladen. Nach 1945 seien die maßgeblichen Politiker auf Seiten der ÖVP und der SPÖ bestrebt gewesen, diese Hürden zu überwinden, so Günther Schefbeck. Dies habe die von 1945 bis 1966 andauernde Zusammenarbeit zwischen ÖVP und SPÖ - bis 1947 auch mit der KPÖ - zum Ausdruck gebracht, was laut Schefbeck ausgereicht haben dürfte, um einen gemeinsamen Grundkonsens, über diese Zeit hinweg, abzuleiten.
Publikation zur "Wiedergeburt einer parlamentarischen Demokratie"
Einen vertiefenden Einblick in die Ereignisse im Jahr 1945 gibt eine von der Parlamentsdirektion herausgegebene Publikation mit dem Titel "Wiedergeburt einer parlamentarischen Demokratie". Sie erklärt in kompakter Form die Hintergründe und politischen Perspektiven dieser Monate - zwischen der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus und der ersehnten Rückkehr zur Demokratie - und ist ab sofort im Parlamentsshop erhältlich. (Schluss) med
HINWEIS: Das Parlament beleuchtet 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt.
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