• 13.11.2025, 14:09:33
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Daten gemeinschaftlich nutzen, um seltene Erkrankungen sichtbar zu machen

Expertinnen und Experten fordern mehr Tempo bei Datenintegration und Digitalisierung, um Forschung und Versorgung bei seltenen Erkrankungen zu verbessern.

Wien (OTS) - 

Seltene Erkrankungen betreffen in Österreich rund 400.000 Menschen und doch gibt es bei deren Versorgung große Herausforderungen, ebenso in der Forschung. Eine verlässliche Datenbasis, die nicht nur das Vorkommen dieser Erkrankungen dokumentiert, sondern auch deren systematische Nutzung für Versorgung und Forschung ermöglicht, könnte Abhilfe schaffen. Dies wurde beim 18. Rare Diseases Dialog der PHARMIG ACADEMY in der Wiener Urania thematisiert. Erläutert wurde dabei unter anderem, wie ein Register, in dem entsprechende Daten zusammengeführt werden, umgesetzt werden kann, welche Rolle die Codierung mit sogenannten ORPHACodes spielt, wie die technische Verknüpfung mit europäischen Datenräumen möglich wäre und Patient:innen von Anfang an aktiv eingebunden werden könnten.

„Grundlage für den Aufbau eines Registers für seltene Erkrankungen ist meiner Erfahrung nach eine sehr klare Vision, was mit der Datensammlung und nachfolgenden Analysen aus den Daten langfristig erreicht werden soll“, erklärte Univ.-Doz. Dr. Ansgar Weltermann vom Tumorzentrum Oberösterreich in seiner Keynote. Ob sich dafür eine Finanzierung durch öffentliche oder projektbezogene Fördermittel eigne, hänge laut Weltermann maßgeblich davon ab, ob das Register auch in der unmittelbaren klinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten eingesetzt werden kann, etwa zur Durchführung von Fallbesprechungen auf Basis der erfassten Daten. In solchen Fällen lasse sich eine langfristige Finanzierung bereits zum Start des Registers eher sichern als bei einem rein wissenschaftlich ausgerichteten Register, dessen Daten nicht direkt in die Versorgung einfließen. „Elementar ist eine von Beginn an hochqualitative Erfassung der Daten anhand der definierten Parameter“, so Weltermann.

Aufbau und Finanzierung eines Registers sind das eine, doch ebenso wichtig ist die Frage, wie seltene Erkrankungen überhaupt systematisch erfasst und klassifiziert werden können. Angesichts von mehr als 8.000 bekannten seltenen Erkrankungen ist eine international gültige und verständliche Kategorisierung für deren Erforschung, Diagnose und Behandlung von zentraler Bedeutung. Dabei spielen die sogenannten ORPHACodes eine wichtige Rolle: Sie ermöglichen es, die unterschiedlichen Krankheitsbilder systematisch zu erfassen, medizinische Leistungen gezielter zu planen und die Versorgung betroffener Patientengruppen zu verbessern. So könnte beispielsweise erstmals eine belastbare Übersicht darüber geschaffen werden, welche seltenen Erkrankungen in Österreich auftreten, wie viele Patient:innen betroffen sind und wo sie versorgt werden.

„Die verpflichtende Anwendung der ORPHACodes mit Anfang 2026 an den österreichischen Expertisezentren ist ein Meilenstein. Sie muss jedoch in eine langfristige Strategie eingebettet sein, die auch die Nutzung der Daten für Planung und Versorgung ermöglicht“, stellte Mag. Dr. Christina Dietscher vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMASGPK) klar. Neben der ORPHACodierung seien, so Dietscher, bundesweite strategische Vorgaben für Register sowie die Berücksichtigung internationaler Anforderungen wichtig, etwa aus den Europäischen Referenznetzwerken, also den länderübergreifenden Netzwerken spezialisierter Zentren, die sich auf die Diagnose und Behandlung seltener Erkrankungen konzentrieren, und dem Europäischen Gesundheitsdatenraum.

Neben der strategischen Ausrichtung rückt auch die praktische Umsetzung in den Fokus: Wie können Register im Spitalsalltag tatsächlich funktionieren? Ao. Univ.-Prof. Dr. Gabriele Hartmann plädierte für praktikable Lösungen: „Wir brauchen eine Abstimmung der minimal erforderlichen Datensätze mit internationalen Standards sowie die Möglichkeit, nationale Register mit europäischen Strukturen zu verknüpfen.“ Zudem müsse klar sein, dass pseudonymisierte Daten für epidemiologische Zwecke genutzt werden können, und zwar ohne zusätzliche Informationsblätter und Einverständniserklärungen. „Die Vielzahl an Formularen ist im klinischen Alltag nicht mehr zumutbar“, so Hartmann. Sie sprach sich für zentral verwaltete, digitale Informations- und Einwilligungserklärungen sowie für ausreichend geschultes Verwaltungspersonal aus.

Benjamin Riedl, MSc, vom Wiener Gesundheitsverbund, bekräftigte die Anbindung der Register an europäische Netzwerke und fügte hinzu: „Ein erfolgreiches nationales Register für seltene Erkrankungen braucht klare Verantwortlichkeiten, gemeinsame Standards und Vertrauen in die Qualität der Daten. Zugleich müssen Register spezifisch und kollaborativ ausgerichtet sein, um den unterschiedlichen Anforderungen von Forschung und Versorgung zu genügen.“ Damit Register langfristig tragfähig seien, sollte ihre Führung, so Riedl, „als Teil der medizinischen Leistungen anerkannt und abrechenbar sein. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Dokumentation und Nutzung wertvoller Gesundheitsdaten nicht als unbezahlte Zusatzaufgabe, sondern als integraler Bestandteil qualitätsgesicherter Versorgung verstanden wird.“

Auch die Koordination eines Registers im Rahmen bestehender Ressourcen spielt eine zentrale Rolle. „Strukturierte Daten zu seltenen Erkrankungen sind ein großer Gewinn, nicht nur für Versorgung, Planung und Forschung, sondern vor allem für die betroffenen Patientinnen und Patienten. Österreich hat mit seiner eHealth-Strategie eine gute Basis geschaffen. Nationale Anstrengungen zur Datenerfassung und -verfügbarkeit können bereits im Hinblick auf die Möglichkeiten des Europäischen Gesundheitsdatenraums gestaltet werden. Standardisierte Diagnosedaten in der Europäischen Patientenkurzakte und bessere Möglichkeiten der sicheren Datennutzung stärken Public Health, Forschung und Innovation gleichermaßen“, erklärte Mag. Dr. Alexander Degelsegger-Márquez von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG).

Die Perspektive der Patient:innen müsse von Anfang an mitgedacht werden, betonte Claas Röhl, Obmann von Neurofibromatose Kinder, NF Patients United sowie Vorstandsmitglied von ProRare und der Allianz der onkologischen Patient:innenorganisationen: „Seltene Erkrankungen sind oft komplexe, multisystemische Erkrankungen, welche die betroffenen Familien, aber auch alle Stakeholder des Gesundheitssystems vor große Herausforderungen stellen. Eine landesweite systematische Erfassung der Gesundheitsdaten von Menschen mit seltenen Erkrankungen ist unbedingt notwendig, um diese Indikationen besser zu verstehen, die gesundheitliche Versorgung der Betroffenen zu verbessern und die Forschung vorantreiben zu können.“

Internationale Erfahrungen liefern wertvolle Impulse für den Aufbau nationaler Register. „Man kann nur steuern, was man flexibel messen und planen kann. Das gilt besonders für seltene Erkrankungen, die oft noch als Waisenkinder der Medizin gelten, aber nach und nach zu einem der Hauptthemen der Spitzenmedizin werden. Wir benötigen ein übergreifendes medizinisches Register oder registerkonvergente Strukturen mit klar benannten Nutzungsdimensionen. Dabei ist sowohl bei einer zentralen Einrichtung als auch bei der proaktiven, gemeinsamen Mehrfachnutzung föderierter Komponenten auf Nutzen, Kosten und Qualität zu achten“, bekräftigte Dr. Josef Schepers, der sich über viele Jahre in Deutschland in Digitalisierungsprojekten der Universitätsmedizin für Menschen mit seltenen Erkrankungen engagierte und seit dem 1. November an der University of Southern Denmark in Odense tätig ist.

Die Veranstaltung selbst war mit über 200 Teilnehmenden ein wichtiger Impuls, um das Thema der seltenen Erkrankungen verstärkt in den Diskurs zu bringen. Die Reihe der „Rare Diseases Dialoge“ der PHARMIG ACADEMY existiert bereits seit dem Jahr 2017 und beinhaltet unter anderem Diskussionsveranstaltungen als auch thematisch pointierte Videos, die die Forschung und Versorgung bei seltenen Erkrankungen zum Inhalt haben. Letztere sind hier zu finden.

Abbildungen der Veranstaltung sind im Newsroom der PHARMIG ACADEMY abrufbar.

Über die PHARMIG ACADEMY: Die PHARMIG ACADEMY ist das Aus- und Weiterbildungsinstitut der PHARMIG, des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs. Sie bietet Seminare, Lehrgänge und Trainings zu allen Themen des Gesundheitswesens. Das Angebot orientiert sich an aktuellen Entwicklungen und richtet sich an alle, die Interesse am Gesundheitsbereich haben bzw. darin tätig sind. Das Format des Rare Diseases Dialog bietet allen Betroffenen, Interessierten und relevanten Akteuren eine offene Diskussionsplattform zu aktuellen Themen im Bereich der seltenen Erkrankungen.

Über die PHARMIG: Die PHARMIG ist die freiwillige Interessenvertretung der österreichischen Pharmaindustrie. Derzeit hat der Verband ca. 120 Mitglieder (Stand November 2025), die den Medikamenten-Markt zu gut 95 Prozent abdecken. Die PHARMIG und ihre Mitgliedsfirmen stehen für eine bestmögliche Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln im Gesundheitswesen und sichern durch Qualität und Innovation den gesellschaftlichen und medizinischen Fortschritt.

Rückfragen & Kontakt

PHARMIG - Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs
Peter Richter, BA MA MBA
Head of Communications & PR
+43 664 8860 5264
peter.richter@pharmig.at
www.pharmig.at

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