• 24.10.2025, 11:00:03
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  • OTS0058

Detaillierter Bericht über strafbare und beschämende Misshandlungen von Kindern verstößt gegen Ehrenkodex

Wien (OTS) - 

Nach Auffassung des Senats 1 des Presserats verstößt der Artikel „„[...] Horrormutter wurde zu 7 Jahren Haft verurteilt“, erschienen auf „meinbezirk.at“, gegen die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Im Beitrag wird berichtet, dass eine Mutter nicht rechtskräftig zu sieben Jahren Haft verurteilt worden sei, weil sie ihre Kinder gequält und körperlich misshandelt habe. Die Verfasserin des Artikels zitiert aus den Einvernahmeprotokollen der Kinder – dabei werden zahlreiche Details zu den Misshandlungen, brutalen Übergriffen und auch weitere beschämende Handlungen der Mutter beschrieben, die teilweise keine strafrechtlichen Konsequenzen gehabt hätten. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts waren die drei Betroffenen weiterhin minderjährig.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft NÖ kritisiert, dass durch den Bericht die Kinderrechte verletzt worden seien; die detaillierten Beschreibungen im Artikel würden nachhaltige Scham und schlimmstenfalls eine Retraumatisierung der Kinder zur Folge haben.

Die Medieninhaberin hielt im Verfahren fest, dass die betroffenen Kinder nicht identifizierbar wären. Der Beitrag sei sachlich und neutral gehalten. Auch lege der Beitrag keine unnötigen Details offen, sondern gebe nur sachlich Umstände und Vorgänge wieder, die den Gegenstand des Strafverfahrens gebildet haben.

Der Senat hält zunächst fest, dass die Themen „Missbrauch von Kindern“ und „Gewalt gegen Kinder“ sowie Berichte über Straftaten in diesem Bereich für die Öffentlichkeit relevant sind und Medien hier einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Bewusstseinsbildung leisten können. Bei Berichten über konkrete Missbrauchsfälle bzw. Gewalttaten ist allerdings stets auf die Würde und Intimsphäre der Opfer zu achten. Das Leid, das die betroffenen Kinder und ihre Angehörigen erfahren, darf durch die Berichterstattung nicht vergrößert werden, etwa durch herabwürdigende oder überschießende Formulierungen zur Tat.

Darüber hinaus ist im konkreten Fall auch zu berücksichtigen, dass Kinder aus medienethischer Sicht besonders schutzwürdig sind; gerade bei der Berichterstattung über Fälle, welche die Existenz von Kindern nachteilig beeinflussen können, ist große Zurückhaltung geboten (vgl. die Punkte 6.2 und 6.5 des Ehrenkodex).

Mit dem Alter der Kinder und der Mutter, der Anzahl der Kinder sowie der Verortung in einem Teil Niederösterreichs sind relativ wenige Informationen veröffentlicht worden, die zu einer tatsächlichen Identifizierung der Betroffenen führen könnten. Für eine Identifizierung ist jedoch nicht die Nennung des vollständigen Namens oder die Veröffentlichung eines Fotos notwendig; sie kann sich vielmehr auch aus den Begleitumständen ergeben.

Der Entscheidungspraxis der Senate zufolge kann ein Bericht aber selbst bei kompletter Anonymisierung eine Persönlichkeitsverletzung darstellen: Bei besonders drastischen und herausragenden Ereignissen wie beispielsweise bei grausamen Tötungen oder schweren Unfällen kann das unmittelbare Umfeld des Opfers im Regelfall das Ereignis dem Opfer zuordnen.

Im konkreten Artikel wird unter Berufung auf die Anklage geschildert, dass der Alltag der Kinder von ständiger Gewalt geprägt gewesen sei, wobei zahlreiche Details zu den Misshandlungen und brutalen Übergriffen der Mutter ausführlich geschildert werden, so der Senat.

Darüber hinaus werden aber auch weitere, sehr beschämende Handlungen der Mutter im Zusammenhang mit dem Hygieneverhalten der Kinder geschildert, die jedenfalls in die Intimsphäre der Betroffenen eingreifen.

Der Senat stimmt mit der Medieninhaberin grundsätzlich darin überein, dass es bei der Berichterstattung über Straftaten notwendig und von öffentlichem Interesse ist, auch die verübten Taten selbst zu benennen bzw. zu beschreiben. Allerdings bedeutet das nicht, dass alle Fakten und Details zu Straftaten, die in einer Anklage vorgebracht oder in einer Gerichtsverhandlung erörtert werden, auch ungefiltert in den Medien ausgebreitet werden dürfen. Die Gerichtsöffentlichkeit ist mit der Medienöffentlichkeit nicht gleichzusetzen. Darüber hinaus sind nach Meinung des Senats nicht alle im Artikel gebrachten Details erforderlich, um den Leserinnen und Lesern das Thema Gewalt in der Familie bewusst zu machen.

Im konkreten Fall sind die geschilderten Taten der Mutter sehr entwürdigend und beschämend für die betroffenen Kinder, betont der Senat. Die Schilderung greift in die Intimsphäre der Betroffenen ein (Punkt 6 des Ehrenkodex).

Es ist auch nicht auszuschließen, dass selbst nahe Angehörige nicht über die Vorfälle – zumindest in dieser Detailliertheit – Bescheid gewusst haben und sie und möglicherweise weitere Personen erst durch die Berichterstattung davon Kenntnis erlangt haben. Das ist nach Auffassung des Senats zweifellos eine weitere große Belastung für die betroffenen Kinder.

Der Senat stellt daher einen Verstoß gegen die Punkt 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex fest und fordert die Medieninhaberin auf, die Entscheidung freiwillig im betroffenen Medium zu veröffentlichen oder bekanntzugeben.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINER LESERIN

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 1 des Presserats aufgrund einer Mitteilung einer Leserin ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht.
Die Medieninhaberin von „meinbezirk.at“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, Gebrauch gemacht.

Die Medieninhaberin der „Bezirksblätter Niederösterreich“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

Rückfragen & Kontakt

Österreichischer Presserat, Sprecherin des Senats 1
Dr.in Tessa Prager
Telefon: 01/2369984-11
E-Mail: info@presserat.at

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