- 22.10.2025, 09:20:32
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Herbstprognose: Osteuropa wächst robust, aber langsamer
Strukturwandel in CEE; Ukraine im Abwartssog des Krieges; Russland vor Stagnation; schwächere Wachstumsimpulse für Österreich, aber auch neue Chancen
Trotz des schwierigen internationalen Umfelds und geopolitischer Risiken präsentiert sich die Konjunktur in den Volkswirtschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas vergleichsweise robust. In Rumänien, der Slowakei und Ungarn drücken aber hohe Budgetdefizite, die industrielle Schwäche Deutschlands und hausgemachte Probleme auf das Wachstum. Bei den Kriegsgegnern Russland und der Ukraine fällt es ebenfalls schwach aus. Das zeigt die neue Herbstprognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) für 23 Länder der Region.
In den östlichen EU-Staaten verschiebt sich die Basis der wirtschaftlichen Dynamik: „Während bisher der private Konsum der Haupttreiber des Wachstums in den EU-Mitgliedern Ostmitteleuropas war, gehen wir davon aus, dass angesichts eines abkühlenden Reallohnwachstums die Investitionen privater Firmen und der öffentlichen Hand an Bedeutung gewinnen
“, sagt Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des wiiw und Hauptautor der Herbstprognose.
Auch die stark steigenden Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten in der Region stützen das Wachstum. So rechnet das wiiw damit, dass diese Länder in den kommenden Jahren daraus im Jahresdurchschnitt einen zusätzlichen Wachstumseffekt von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten des BIP erzielen dürften – Länder wie Polen und die baltischen Staaten unter Umständen sogar noch mehr. „Von der Wiederbewaffnung Europas werden auch die Osteuropäer wirtschaftlich profitieren, weil sie traditionell über eine starke Rüstungsindustrie verfügen. Das könnte ihnen dabei helfen, ihre industrielle Basis zu modernisieren und die notwendige Transformation in Richtung eines innovationsbasierten Wachstumsmodells erfolgreich zu meistern
“, erklärt Grieveson.
Unterm Strich prognostiziert das wiiw den EU-Mitgliedern der Region für 2025 ein Wachstum von durchschnittlich 2,2%, eine minimale Revision nach unten um 0,1 Prozentpunkte gegenüber dem Sommer. 2026 sollte es auf 2,6% anziehen, ebenfalls eine leichte Revision nach unten um 0,2 Prozentpunkte. Damit dürften diese Länder sowohl heuer als auch im nächsten Jahr ihren wirtschaftlichen Aufholprozess fortsetzen und erneut deutlich schneller wachsen als die Eurozone (2025: 0,9%; 2026: 1,4%).
Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sowie Slowenien werden 2025 im Durchschnitt um 2,5% expandieren und ihr Wachstum 2026 auf 2,9% beschleunigen können. Spitzenreiter unter den östlichen EU-Mitgliedern ist und bleibt Polen mit einem Wirtschaftswachstum von 3,5% – sowohl 2025 als auch 2026. Es folgen Kroatien und Bulgarien mit jeweils rund 3% Wachstum im heurigen und im kommenden Jahr, während sich die Aussichten für Rumänien eingetrübt haben (2025: 0,8%; 2026: 1,2%). Immer noch gut läuft es hingegen bei den sechs Staaten am Westbalkan, die 2025 im Schnitt um 2,5% und 2026 um 3,4% zulegen sollten, auch wenn Serbien 2025 einen Wachstumseinbruch verzeichnet. Die Türkei wächst heuer und im nächsten Jahr wieder relativ stark (2025: 3,4%; 2026: 3,9%).
Für die vom Krieg gezeichnete Ukraine verdüstern sich die Aussichten dagegen zusehends: 2025 dürfte sie nur noch um 2% wachsen und 2026 um 3%, wobei sehr viel vom weiteren Kriegsverlauf abhängt. Aggressor Russland steuert aufgrund der restriktiven Geldpolitik der Zentralbank und niedrigerer Ölpreise auf eine Beinahe-Stagnation zu (2025: 1,2% BIP-Wachstum; 2026: 1,4%).
Hohe Budgetdefizite und Russlands hybrider Krieg als Risiken
Es gibt zwei große Risiken für die Prognose: Da wären zum einen die hohen Budgetdefizite in einigen Staaten der Region – vor allem in Rumänien, Ungarn, Polen und der Slowakei. Steigende Zinsen auf ihre Staatsanleihen und die EU-Fiskalregeln zwingen die betroffenen Regierungen zum Sparen, was sich negativ auf das Wachstum auswirken könnte. Zum anderen destabilisiert Russland mit hybriden Angriffen und Sabotageakten im Windschatten seines Ukraine-Feldzugs die Länder in der unmittelbaren Nachbarschaft. „Drohnenüberflüge, Cyberattacken und Anschläge in den EU- und NATO-Mitgliedsstaaten Osteuropas sorgen für Verunsicherung und schrecken Investoren natürlich ab. Für die Stimmung ist das desaströs. In Wahrheit befinden sich diese Länder bereits in einem unsichtbaren Krieg mit Russland, was früher oder später auch negative Auswirkungen auf ihre Wirtschaft haben könnte
“, meint Richard Grieveson.
Ukraine im Abwärtssog des Krieges
Hauptleidtragende der russischen Aggression ist aber nach wie vor die Ukraine. Das wiiw prognostiziert dem Land für 2025 ein Wirtschaftswachstum von 2%, eine Revision nach unten um 0,5 Prozentpunkte gegenüber dem Sommer. Hauptverantwortlich dafür sind neben dem eskalierenden Krieg die geringeren Agrarexporte, die in Folge einer schlechten Ernte im letzten Jahr zwischen Jänner und Juli 2025 in US-Dollar gerechnet um rund 9% sanken, wobei sich die Situation bei den Exporten durch eine bessere Ernte im heurigen Jahr wieder aufhellen dürfte. 2026 soll die Wirtschaft dann um 3% wachsen, eine Reduktion der Prognose um einen ganzen Prozentpunkt. Das wiiw geht dabei davon aus, dass sich der Krieg mit seinen negativen ökonomischen Auswirkungen noch bis 2027 hinziehen wird – wesentlich länger als bisher angenommen.
„Die immer größeren Zerstörungen an der Infrastruktur durch die schweren russischen Luftangriffe und der grassierende Arbeitskräftemangel aufgrund von Mobilisierung und Flucht dämpfen die Wachstumsaussichten der ukrainischen Wirtschaft
“, sagt Olga Pindyuk, Ukraine-Expertin des wiiw. Dazu kommen die düsteren Perspektiven für den bevorstehenden Winter. „Sollte es Russland gelingen, in der Ukraine flächendeckende Ausfälle der Strom- und Gasversorgung herbeizuführen, wird das zu einer weiteren Auswanderungswelle führen, mit wiederum negativen Folgen für die Wirtschaft
“, so Pindyuk.
Russlands Wirtschaft vor Stagnation
Aggressor Russland steuert nach zwei guten Jahren auf eine Beinahe-Stagnation zu. Im heurigen Jahr dürfte die Wirtschaft nur noch um 1,2% wachsen (2024: 4,3%), eine Revision nach unten um 0,8 Prozentpunkte gegenüber dem Sommer. Für 2026 rechnet das wiiw mit einer leichten Beschleunigung auf 1,4%. Im ersten und zweiten Quartal des laufenden Jahres konnte eine technische Rezession (ein Negativwachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen) nur knapp vermieden werden. Die Industrieproduktion wuchs mit 0,8% in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres praktisch nur mehr infolge der immer noch boomenden Rüstungsproduktion.
„Der Hauptgrund für den Wachstumseinbruch ist die zu restriktive Geldpolitik der russischen Zentralbank. Sie hat zwar die Inflation deutlich gesenkt, aber gleichzeitig die Wirtschaft abgewürgt, weil damit Kredite unerschwinglich wurden
“, sagt Vasily Astrov, Russland-Experte des wiiw. Die Teuerung ist mittlerweile auf annualisiert rund 4% gesunken, was die Notenbank dazu veranlasst hat, die Leitzinsen neuerlich leicht zu senken. Allerdings befinden sich diese mit 17% immer noch auf einem sehr hohen Niveau, auch wenn weitere Zinssenkungen absehbar sind.
Dazu kommen gesunkene Einnahmen aus dem Erdölexport aufgrund gesunkener Preise und der Umstand, dass die russische Wirtschaft in vielen Bereichen an ihrer Kapazitätsgrenze operiert. „Für neues Wachstum bräuchte man Investitionen in mehr Produktivität. Diese stagnieren aber. So haben sich die Investitionen in neue Maschinen und Ausrüstungen, die normalerweise der größte Treiber von Modernisierung und Produktivitätsgewinnen sind, gerade einmal auf dem relativ niedrigen Vorkriegsniveau von 2021 stabilisiert
“, analysiert Astrov.
Eine Rolle spielt auch der Sparkurs der Regierung, die ein für russische Verhältnisse hohes Budgetdefizit eindämmen muss. Russland wird mit einem Fehlbetrag von 2,5% des BIP heuer das größte Budgetdefizit seit der COVID-19-Pandemie verbuchen und kann sich nur im Inland verschulden. Da die Zinsen hoch sind, muss die Regierung sparen und die Einnahmen erhöhen. Das führte bereits zur Erhöhung der Steuern auf private Einkommen und Unternehmensgewinne. 2026 wird auch die Mehrwertsteuer steigen, außerdem sollen die Militärausgaben um 6 Milliarden Euro oder 0,3 Prozentpunkte des BIP gekürzt werden. „Sinkende Staatsausgaben und Steuererhöhungen werden das Wachstum natürlich ebenfalls bremsen
“, so Astrov.
Schwächere Wachstumsimpulse für Österreichs Wirtschaft, aber auch neue Chancen
Trotz einiger Wachstumsrevisionen nach unten kann Österreich im Großen und Ganzen immer noch optimistisch auf die Wirtschaftsentwicklung in Osteuropa blicken. Das spiegelt sich auch in den Exporten in die Region wider, die im ersten Halbjahr um 0,7% expandierten, während sie insgesamt um 3% sanken. Die Entwicklung verläuft aber zweigeteilt: Während die für Österreich relevanten Länder Polen und Tschechien sowie das kleinere Kroatien sowohl 2025 als auch 2026 robust wachsen dürften, werden sich die wichtigen Handelspartner Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Slowenien heuer – und mit Ausnahme Sloweniens auch im kommenden Jahr – voraussichtlich schwächer als die Eurozone entwickeln. Von ihnen sind also kaum Wachstumsimpulse zu erwarten.
Insgesamt werden die 23 Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa 2025 aber einen positiven Beitrag zum österreichischen BIP-Wachstum von 0,11% Prozentpunkten leisten. „Durch den in der Region stattfindenden Strukturwandel weg vom Modell ‚verlängerte Werkbank’, das auf niedrigen Lohnkosten basierte, hin zu einem Wachstum, das mehr auf Investitionen und privatem Konsum beruht, werden österreichische Unternehmen, die in der Region produzieren, unter dem Verlust von Wettbewerbsfähigkeit durch die steigenden Lohnkosten leiden
”, sagt Doris Hanzl-Weiß, Expertin für Österreichs Wirtschaftsbeziehungen mit Mittel-, Ost- und Südosteuropa am wiiw.
Auf der anderen Seite könnten österreichische Unternehmen, die in der Region Konsumgüter und Dienstleistungen verkaufen, neue Geschäftsmöglichkeiten finden, da die Verbraucher schon seit einiger Zeit mehr Geld zur Verfügung haben. Und: „Österreichische Unternehmen dürften auch davon profitieren, dass durch die höheren Arbeitskosten und den Arbeitskräftemangel die Notwendigkeit von Investitionen in die Automatisierung der Fertigung steigt
”, so Hanzl-Weiß.
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