- 15.10.2025, 09:20:35
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Hilfsorganisationen warnen vor Einsamkeitsepidemie und deren gesundheitlichen Folgen
Zweiter Round Table zum Thema Einsamkeit der Hilfsorganisationen zeigt auf: Situation hat sich durch Krisen, verstärkte Armut und Mobilitätsprobleme weiter verschärft.

Einsamkeit ist ein wachsendes gesellschaftliches Problem, das alle Generationen betrifft – von Jugendlichen bis zu älteren Menschen. Laut WHO ist jeder sechste Mensch weltweit von Einsamkeit betroffen, was zu 871.000 Todesfällen beiträgt, in der EU fühlen sich etwa 13 % der Befragten, etwa 50 Millionen Menschen, meistens oder ständig einsam (Loneliness Report der EU). Allein in Österreich sind lt. Caritas-Studie rund 600.000 Menschen mehr als die Hälfte der Zeit einsam, jede/r Vierte wünscht sich mehr soziale Kontakte. Um auf die Gefahren von Einsamkeit und Isolation aufmerksam zu machen und neue Wege zu finden, Betroffenen zu helfen, lud der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) vor kurzem gemeinsam mit den wichtigsten Hilfsorganisationen des Landes zum zweiten Round Table unter dem Titel „Einsamkeit geht uns alle an – JETZT gemeinsam handeln!“.
Der BÖP und seine Studierendenvertretung BÖP-S haben dabei gemeinsam mit der Plattform gegen Einsamkeit, der Caritas Österreich, der Diakonie Österreich, dem Österreichischen Roten Kreuz, pro mente Austria, dem Österreichischen Hilfswerk, der Armutskonferenz, der Österreichischen Krebshilfe sowie der Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen die Forderungen eines 10-Punkte-Maßnahmenpakets erneuert, um gemeinsam gegen die psychosozialen und gesellschaftlichen Folgen von Einsamkeit vorzugehen. Denn Depressionen, Angstzustände, Langzeitstress, Demenz, andere psychische Erkrankungen oder auch Suizid können zu den Folgen von Einsamkeit zählen – aber auch das Risiko, an Schlaganfällen, Herzinfarkten oder Diabetes zu erkranken, ist durch Einsamkeit erhöht.
Nationaler Aktionsplan dringend notwendig
In einem waren sich die Hilfsorganisationen einig – ein nationaler Aktionsplan ist dringend notwendig: Bund, Länder, Gesundheitswesen, Gemeinden und Zivilgesellschaft müssen gemeinsam handeln, um Einsamkeit bestmöglich vorbeugen zu können und Betroffene zu unterstützen. Insbesondere der Ausbau von niedrigschwelligen, barriere- und diskriminierungsfreien Angeboten ist hier wichtig, genauso wie die Förderung der Beteiligung, z.B. von Freiwilligenarbeit oder generationenübergreifenden Projekten.
Gesundheitssystem hat Schlüsselrolle
Der gemeinsame Tenor der Organisationen beim Round Table war, dass bei der Bekämpfung von Einsamkeit das Gesundheitssystem eine Schlüsselrolle spielt: ÄrztInnen, Gesundheitspersonal, PsychologInnen und Pflegekräfte sind erste Anlaufstellen bei Problemen, können Betroffene identifizieren und auf Unterstützungsangebote hinweisen – die Sensibilisierung von MitarbeiterInnen in Gesundheits- und Sozialberufen wäre hilfreich. Und auch die Stärkung der Forschung in diesem Bereich ist notwendig, um eine bessere Datenlage zu erhalten, genauso wie die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation bereits laufender Projekte und Maßnahmen.
Die 10 Forderungen der Hilfsorganisationen gegen Einsamkeit sind:
Ende der Tabuisierung und Stigmatisierung von Einsamkeit
Recht auf bevölkerungsspezifische und mehrsprachige Angebote
Fokus auf vulnerable Gruppen
Ausbau der der kostenfreien, psychologischen Versorgung
Appell an soziales Miteinander – Unterstützung von sozialer Teilhabe und Selbstermächtigung
Sensibilisierung im Gesundheitssystem, um Einsamkeit zu identifizieren
Bezifferung der volkswirtschaftlichen Kosten von Einsamkeit
Nationaler Aktionsplan
Weiterführung und Stärkung der Koordinationsstelle gegen Einsamkeit
Recht auf analoge Angebote und Sichern der Mobilität für ältere Menschen
Ausführliche Erläuterungen zum 10-Punkte-Forderungskatalog finden Sie hier.
Im Rahmen der Diskussionsrunde wurden auch Einblicke in die Perspektiven der verschiedenen Organisationen und ihre Sicht auf die psychosozialen und gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit und wichtige Maßnahmen gegeben – ihre Statements dazu hier:
a.o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP)
„Einsamkeit ist kein individuelles Versagen, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgabe für unser soziales Miteinander und eine ernsthafte Gesundheitsgefahr, die insbesondere die Psyche belasten und Angststörungen, Depressionen und andere psychische Erkrankungen nach sich ziehen kann. Genau hier wollen wir mit unserer Initiative gemeinsam mit allen relevanten Institutionen ansetzen, um den Folgen entgegenzuwirken und aufzuzeigen, dass hier gezielte Maßnahmen und vielfältige Unterstützungsangebote unbedingt erforderlich sind.“
Emil Diaconu, Initiator der Plattform gegen Einsamkeit und Geschäftsführer der Social City Wien, sowie Ao. Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos, Fachärztin für Psychiatrie & Neurologie und Mitinitiatorin der Plattform gegen Einsamkeit
„Armut, Migration, Alleinerziehen oder chronische Erkrankungen sind bekannte Risikofaktoren für Einsamkeit. Hält sie an, macht sie krank – psychisch wie körperlich und kann die Teilnahme an demokratischen Prozessen reduzieren. Einsamkeit ist daher kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Mit der Plattform gegen Einsamkeit haben wir mit Unterstützung des Sozialministeriums seit 2021 die österreichweite Anlaufstelle und das zentrale nationale Kompetenznetzwerk geschaffen. Wir vernetzen Organisationen, stärken das öffentliche Bewusstsein und entwickeln konkrete Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Etablierung von Begegnungsräumen.“
Gregor Jakob-Feiks, Leitung Engagement & Sozialräumliche Entwicklung, Caritas Österreich (in Vertretung von Caritas Österreich-Generalsekretärin Anna Parr)
„Das Thema Einsamkeit hat es ins Regierungsprogramm geschafft – das ist erfreulich. Allerdings stehen dort lediglich ältere Menschen im Fokus. Einsamkeit ist aber ein generationenübergreifendes Thema, das junge Menschen ebenso stark betrifft. Wir als Caritas möchten daher vermehrt auch diese junge Zielgruppe mit Angeboten stärken. Einsamkeit ist ein schmerzhaftes Gefühl, das jeden treffen kann, ganz unabhängig von Alter, Wohnort oder Lebensphase. Deswegen brauchen wir einen Nationalen Aktionsplan – das Thema muss als gesamtgesellschaftliche Herausforderung über alle Ressorts hinweg als politischer Handlungsauftrag adressiert und ernstgenommen werden!“
Dr.in Maria Katharina Moser, Direktorin Diakonie Österreich
"Die Diakonie arbeitet in Gemeinwesen-Projekten mit Nachbarschafts-Koordinator:innen, deren Aufgabe es ist, das Gemeinwesen im Blick zu haben und vorhandene Ressourcen in der Nachbarschaft zu aktivieren. Die Koordinator:in schaut, dass die Menschen zusammenkommen und sich gegenseitig unterstützen. Was wir brauchen, sind mehr und nachhaltige Investitionen in Grätzlarbeit, Nachbarschaftshilfe und Gemeinwesenprojekte, aber auch mehr Mittel für Community-Arbeit in der Pflege, Familienhilfe oder in der Begleitung von Menschen mit Behinderungen.“
ao. Univ.-Prof.in Dr.in Barbara Juen, Fachliche Leiterin der Psychosozialen Dienste, Österreichisches Rotes Kreuz
„Eine Gruppe, die beim Problem der Einsamkeit oft übersehen wird, sind Kinder und Jugendliche. Sie dürfen mit ihren Sorgen und Ängsten nicht allein gelassen werden und benötigen die Möglichkeit, sich mit anderen dazu auszutauschen. Psychische Erste Hilfe nach dem Prinzip ‚Look, Listen, Link‘ ist eine wesentliche Unterstützung. Zur Hilfe in psychosozialen Notlagen gibt es die Ö3 Kummernummer oder Angebote des Österreichischen Roten Kreuzes wie die Peer-to-Peer-Beratung via Whatsapp (‚time4friends‘), die Individuelle Spontanhilfe, die Sozialbegleitung und die Team Österreich Tafel.“
PDoz. Dr. Günter Klug, Präsident von pro mente Austria
„Ich kann mit hunderten Likes genauso einsam sein wie mit vielen Freunden, wenn wir alle nicht mehr mobil sind. Einsamkeit ist also ein breites Feld. Wie Hunger und Durst zeigt sie uns an, dass uns etwas Lebensnotwendiges fehlt. In diesem Fall ist es Kontakt, Beziehung, Wärme und Nähe. In der heutigen Zeit ist es wichtig auf diese Grundbedürfnisse nicht zu vergessen, denn die langfristigen Folgen sind Rückzug, und zunehmende psychische, aber auch körperliche Probleme. Wenn wir alle am Zusammenhalt in unserer Gesellschaft arbeiten, verbessern wir die Möglichkeiten jedes Einzelnen für sich einen Weg zu einem erfüllten Leben zu finden.“
Mag.a (FH) Angelika Kuhn, Leiterin des Fachreferats Pflege und Pflegepolitik, Österreichisches Hilfswerk
„Einsamkeit im Alter ist kein rein ‚individuelles Problem‘, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Gerade aus Sicht der Pflege- und Betreuungskräfte in der mobilen und stationären Langzeitpflege gilt es, aufmerksam und sensibilisiert für mögliche Folgen zu sein. Empathische Handeln und konkrete Unterstützungsmaßnahmen sind entscheidend, um Lebensqualität, Gesundheit und Teilhabe von Betroffenen nachhaltig zu sichern. Das Hilfswerk bietet psychosoziale Beratung, Tagesstrukturzentren und Alltagsbegleitung an.“
Mag. Martin Schenk, Mitinitiator der Armutskonferenz und Psychologe
„Was bei Einsamkeit oft übersehen wird: die Entfremdung; das Gefühl, sich selbst und der Welt fremd zu werden. Entfremdung verweist auf Bedingungen, unter denen Menschen sich selbst und ihre Welt nicht mehr als sinnhaft, gestaltbar oder zugehörig erfahren. Einsamkeit ist kein individuelles Schicksal, sondern geht uns alle an. Wer etwas gegen Einsamkeit tut, tut auch etwas für sozialen Zusammenhalt, Gesundheit und Demokratie.“
Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen Krebshilfe
„Eine Krebserkrankung greift auch tief in das seelische und soziale Leben der Betroffenen ein. Viele Patient:innen erleben im Zuge ihrer Diagnose das Gefühl von Einsamkeit: Freunde und Angehörige ziehen sich zurück, Gespräche bleiben an der Oberfläche, die Last der Diagnose wird oft alleine getragen. Gerade deshalb ist die psychoonkologische Betreuung so wichtig. Sie bietet einen geschützten Raum, in dem Ängste, Sorgen und Isolation ernst genommen werden. Diese professionelle Begleitung trägt entscheidend dazu bei, den Umgang mit der Diagnose zu verbessern und Lebensqualität zu erhalten. Daher sind der Ausbau und die Finanzierung der psychoonkologischen Versorgung in ganz Österreich so wichtig. Niemand soll mit der Diagnose Krebs alleine gelassen werden.“
Anita Kienesberger, Obfrau der Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen
„Leider sind nach wie vor KrebspatientInnen sehr häufig von Einsamkeit betroffen. Gerade wenn das engere soziale Netzwerk wie Familie oder Freundeskreis nicht vorhanden ist, oder aus welchen Gründen auch immer wegbricht, fehlen wichtige Bezugspersonen. Das wird besonders nach der Therapie auffällig: Viele PatientInnen fallen dann sprichwörtlich in ein tiefes Loch, weil sie sich nach dem Krankenhausaufenthalt und guter medizinischer Versorgung nicht nur alleine gelassen fühlen, sondern tatsächlich vollkommen auf sich alleine gestellt sind. Es fehlt hier eine Versorgung nach der Therapie, wie psychologische Angebote, soziale Vernetzung und professionelle Begleitpersonen, die die PatientInnen unterstützen. Das ist uns ein großes Anliegen!“
David Berghold, Leiter der Studierendenvertretung des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP-S)
„Gerade junge Menschen sind von Stigmata im Zusammenhang mit Einsamkeit betroffen: In einem Lebensabschnitt, der oftmals stark mit Geselligkeit assoziiert wird, stellen Schamgefühle und ein verminderter Selbstwert aufgrund von Einsamkeitsgefühlen eine große Belastung dar. Diese Stigmata gilt es sichtbar zu machen und gezielt abzubauen. Im Forschungsbereich zeigen aktuelle Übersichtsarbeiten, dass es wirksame Interventionen zur Einsamkeitsreduktion bei jungen Menschen gibt. Allerdings werden die zugrunde liegenden Programme oft nur unzureichend beschrieben, was ihre praktische Umsetzung erschwert. Wir empfehlen deshalb bei zukünftigen Forschungsarbeiten ein besonderes Augenmerk auf eine detaillierte Darstellung zu legen.“
Rückfragen & Kontakt
Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP)
Mag. (FH) Karin Göls
Telefon: 0670 40 10 338
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