• 10.10.2025, 11:50:32
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Mental Health Day: Sozialhilfe - „Wir erleben die Demontage des untersten sozialen Netzes“

Armutskonferenz, VertretungsNetz & „Lichterkette“ schlagen Alarm: Menschen mit Behinderungen wird selbstbestimmtes Leben verweigert

Wien (OTS) - 

Auf „die vergessenen und verschwiegenem Probleme in der Sozialhilfe“ machte heute die Armutskonferenz gemeinsam mit dem Erwachsenenschutzverein VertretungsNetz und der Interessenvertretung für Menschen mit psychischer Erkrankung „Lichterkette“ aufmerksam „Zehntausende in der Sozialhilfe sind Menschen mit Behinderungen oder Personen mit psychischen Erkrankungen. In der öffentlichen Debatte kommen sie jedoch nicht vor“, betont Sozialexperte Martin Schenk von der Armutskonferenz wie wichtig es ist, genau hinzusehen: „Menschen mit Behinderungen wird ein selbstbestimmtes Leben verweigert, die Soforthilfe funktioniert nicht, die Wohnkosten sind nicht tragbar, Härtefallregeln fehlen, Entscheidungsfristen am Amt sind zu lange und es treten große Mängel im Vollzug auf. Wer von einer Reform der Sozialhilfe spricht, darf zu diesen Missständen in den Bundesländern nicht schweigen“, so Schenk.

„Wir erleben die Demontage des untersten sozialen Netzes. Die Gesetze werden immer restriktiver und gleichzeitig immer weniger wirksam, wenn es darum geht, Armut zu verhindern und ein menschenwürdiges Leben zu sichern“, ergänzt Gerlinde Heim, Geschäftsführerin von VertretungsNetz.

Bedrohung der Existenz macht krank

„Wer „nicht selbsterhaltungsfähig“ ist, kann auch als Erwachsene:r gezwungen werden, bei den Eltern Unterhalt gerichtlich einzuklagen. Damit bleibt man ein Leben lang von der Familie abhängig. Das beschämt und belastet – und widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention. Es braucht hier endlich eine bundesgesetzliche Änderung“, fordert Gerlinde Heim. „Du lebst mit einer Behinderung, sie lassen Dich aber nicht selbständig leben“, ergänzt Martin Schenk. „Darüber wird geschwiegen.

Brigitte Heller weiß, wie Menschen mit psychischen Erkrankungen an den vielen Barrieren in der Sozialhilfe scheitern. „Existenzsicherung ist essentiell für die Genesung und für die Stabilität. Wenn Menschen aber noch weiter belastet und ihr letztes Netz eingerissen wird, dann verschlechtert sich ihre seelische Situation noch mehr. Die Bedrohung der Existenz macht krank. Das führt zu schierer Verzweiflung bis hin zu suizidalen Gedanken“, warnt die Vorsitzende der Lichterkette, der Interessensvertretung für Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Fehlende Härtefallhilfe und untragbare Wohnkosten

Ein großes Problem ist die fehlende Härtefallhilfe. Eine kaputte Waschmaschine oder eine dringende Zahnbehandlung wird so zum unlösbaren Problem – insbesondere wenn die Miete einen Großteil der Sozialhilfe für den Lebensbedarf auffrisst. „Durch die Kürzungen der letzten Jahre wird es immer schwieriger, den Lebensunterhalt abzusichern. Die Richtsätze für das Wohnen sind viel zu niedrig, bei gleichzeitig explodierenden Wohnkosten“, erläutert Norbert Krammer, Bereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz.

Auch der vorgesehene Zuschlag für Menschen mit Behinderungen zur Sozialhilfe kommt oft nicht bei den Betroffenen an, weil er mit Betreuungsleistungen des Landes gegengerechnet werden kann. Sozialexperte Schenk ergänzt: „Du musst das Wenige, das Du noch hast, fürs Wohnen ausgeben. Darüber redet niemand: Dass die Wohnkosten untragbar sind, die Behörden aber die Wohnbeihilfe, die entlasten würde, einkassieren. Du musst Hungern für die Miete.“

Behördenwillkür Tür und Tor geöffnet

„Die neuen restriktiven Sozialhilfegesetze der Länder, etwa in OÖ und der Steiermark, sind so unklar formuliert, dass sie der Behördenwillkür Tür und Tor öffnen“ berichtet Norbert Krammer. Problematisch sind die sogenannten „Bemühungspflichten“. Nicht näher definierte „Pflichtverstöße“ führen zu sofortigen Kürzungen, auch wenn ein Versäumnis unverschuldet ist, z.B. wegen einer Erkrankung. In OÖ müssen sich Sozialhilfe-Empfänger:innen künftig um eine Vollzeitbeschäftigung „bemühen“, Ausnahmen für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen sind nicht vorgesehen. „Zwischen den Bundesländern ist ein gefährlicher Wettlauf entstanden: Wer zahlt am wenigsten und schließt am effizientesten Menschen aus? Statt Armut zu bekämpfen, wächst die Bürokratie und die Menschen werden beschämt und schikaniert.“

Das bundesweite Sozialhilfegrundsatzgesetz wird nun novelliert. Die Armutskonferenz appelliert gemeinsam mit VertretungsNetz und „Lichterkette“, ein Gesetz vorzulegen, in dem die Hürden für Menschen mit Behinderungen nicht vergessen, sondern überwunden werden: Die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber Kindern mit Behinderungen mit dem 25. Lebensjahr begrenzen, 1-monatige Entscheidungsfrist einführen, Mindestabsicherung statt Höchstsätze etablieren, unkomplizierte Soforthilfe in Härtefällen garantieren, bürgerfreundliches Amt und barrierefreie Antragstellung umsetzen. Und ganz wichtig: Armutsbekämpfung und Existenzsicherung müssen wieder als zentrales Ziel im Gesetz verankert werden.

Rückfragen & Kontakt

Die Armutskonferenz.
www.armutskonferenz.at
01/4026944 oder 0664/5445554

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