• 22.09.2025, 10:18:33
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80 70 30: Warum der Bundesrat als Europakammer bezeichnet wird

Der Beitritt zur Europäischen Union erweiterte das Aufgabenfeld des Bundesrats

Wien (PK) - 

Mit dem österreichischen EU-Beitritt vor 30 Jahren musste auch der Bundesrat Gesetzgebungskompetenzen abgeben. Die EU-Mitgliedschaft führte aber schrittweise zu einer Erweiterung seines Aufgabenfelds: Die zweite Kammer des Parlaments ist dafür zuständig, regionale Bezugspunkte in die europäischen Entscheidungsprozesse einzubringen. Daher wird der Bundesrat auch als "Europakammer" bezeichnet. Was dies in der Praxis bedeutet, wie die Mitwirkung des Bundesrats an der EU-Gesetzgebung funktioniert und welche Themen dabei bisher die größte Bedeutung hatten, beleuchtet diese Ausgabe der Parlamentskorrespondenz anlässlich des Jubiläumsjahres 2025.

EU-Beitritt 1995: Sorge vor Einschränkungen der Länder und Gemeinden

Zeitgleich mit dem EU-Beitritt am 1. Jänner 1995 übernahm Vorarlberg den Vorsitz im Bundesrat. In der Bundesratssitzung vom 23. Jänner 1995 ging der damals neue Bundesratspräsident Jürgen Weiss in seiner Antrittsrede auf den EU-Beitritt und eine geplante Bundesstaatsreform ein, wie in den Stenographischen Protokollen nachzulesen ist. Er drückte Sorge vor "weiteren Einschränkungen der Länder und Gemeinden" aus, da diese "von der Gesetzgebungskompetenz der Europäischen Union wesentlich stärker als der Bund eingeschränkt" sein würden. Er rief auf, darauf zu achten, dass "die Mehrheitsbildung in der Bundesgesetzgebung nicht gegen, sondern mit den Bundesländern und mit dem Bundesrat" erfolgt und forderte Zusammenhalt: "Denn Miteinander statt Gegeneinander, das die Europäische Union prägt und das eine wesentliche Ursache für die Überzeugungskraft der Befürwortung unserer Beitritts war, soll für die Länder und Gemeinden auch innerstaatlich stärker wirksam werden."

Im EU-Begleit-Bundesverfassungsgesetz bekam der Bundesrat anlässlich des EU-Beitritts 1995 die gleichen Informations- und Stellungnahmerechte wie der Nationalrat. Die Bindungswirkung der Stellungnahmen des Bundesrats an die Bundesregierung ist jedoch anders ausgestaltet, denn sie kann nur dann eintreten, wenn es durch den geplanten EU-Rechtsakt zu Einschränkungen der Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung kommt. In einem im Jahr 2019 erschienenen Fachbeitrag im Sammelband "Europapolitische Koordination in Österreich" beschreibt Bundesratsdirektorin Susanne Bachmann die "Dynamisierung des österreichischen Bundesrats in der EU-Politik". Darin heißt es, dass der Bundesrat zunächst bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags am 1. Dezember 2009 kein besonderer Akteur in EU-Angelegenheiten blieb, auch wenn immer wieder Sitzungen des EU-Ausschusses des Bundesrats stattfanden. Eine entscheidende Änderung brachte der Vertrag von Lissabon.

Subsidiaritätskontrolle prüft "europäischen Mehrwert"

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die sogenannte Subsidiaritätskontrolle festgelegt, die vom Bundesrat in der Regel durch seinen EU-Ausschuss wahrgenommen wird. Das Subsidiaritätsprinzip betrifft die Regelung der Ausübung der nicht ausschließlichen Zuständigkeiten der Union. Im Sinne der Bürgernähe soll sichergestellt werden, dass die EU nur dort reguliert, wo es tatsächlich europäischen Mehrwert gibt und wo die mitgliedsstaatliche, regionale oder lokale Ebene ein Ziel nicht ausreichend gut selbst erreichen kann.

Somit kann der EU-Ausschuss des Bundesrats seither in Wahrnehmung des Subsidiaritätsprinzips mittels "Begründeter Stellungnahmen" zu EU-Gesetzgebungsvorhaben - beispielsweise zu geplanten Richtlinien und Verordnungen - Einspruch erheben, wenn er der Auffassung ist, dass die Ziele der Regelung besser auf österreichischer als auf EU-Ebene verwirklichbar sind. Die Subsidiaritätskontrolle - sowie auch die Möglichkeit, per Mitteilungen politische Anliegen direkt an die EU-Institutionen zu richten - ergänzen seit dem Vertrag von Lissabon die bereits seit dem EU-Beitritt bestehende Möglichkeit, die österreichische Position zu einem EU-Vorhaben mittels Stellungnahmen mitzugestalten.

Durch das letztgenannte Instrument hat auch der Bundesrat die Möglichkeit, bei wichtigen EU-Themen in der Phase der Verhandlungen im Rat der EU und im Europäischen Rat dem zuständigen Regierungsmitglied eine Verhandlungsposition und sogar eine Abstimmungsposition mitzugeben. Eine solche Stellungnahme kann über die politische Wirkung hinaus unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich verbindlich sein.

Ganz bewusst kam der EU-Ausschuss des Bundesrats daher am Tag des Inkrafttretens des Lissabonner Vertrags zu einer Sitzung zusammen. Auf der Tagesordnung stand unter anderem eine Aussprache mit dem damaligen Wissenschaftsminister und bereits nominierten EU-Kommissar Johannes Hahn. Dieser ging in der Aussprache auf die Bedeutung des Subsidiaritätsprüfungsverfahrens ein, wie in der auszugsweisen Darstellung des Ausschusses festgehalten ist. Das Subsidiaritätsprüfungsverfahren würde zu einer Veränderung der Arbeitsweise der Europäischen Kommission führen, indem diese in Zukunft die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten noch enger gestalten müsse, so Hahn.

Stärkung der Vernetzung

Der EU-Beitritt führte aber vor allem auch innerösterreichisch zu neuen Formen und einer stärkeren Vernetzung zwischen Bundes- und Länderebene. Innerstaatlich nimmt die Bedeutung des raschen Informationsaustausches und der Vernetzung in EU-Angelegenheiten seit dem EU-Beitritt immer mehr zu, wobei dem Bundesrat eine Schlüsselstellung im Hinblick auf die Koordinierung mit den Bundesländern zukommt: So hat der Bundesrat entsprechend den Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes die Landtage über alle Entwürfe für EU-Gesetzgebungsakte zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Abgabe von Stellungnahmen zu geben. Diese Stellungnahmen der Landtage hat der Bundesrat bei der Beschlussfassung von begründeten Stellungnahmen im Subsidiaritätskontrollverfahren zu berücksichtigen.

Darüber hinaus werden in der Praxis aber auch gemeinsame bzw. einheitliche Länderstellungnahmen gemäß Art. 23d B-VG zu konkreten EU-Vorlagen in der Regel vom Bundesrat aufgegriffen und etwa bei der Erstellung der Tagesordnungen des EU-Ausschusses berücksichtigt. Das Instrument der Länderstellungnahmen sieht vor, dass wenn sich alle neun Bundesländer zu einer einheitlichen Stellungnahme entschließen, der Bund bei den Verhandlungen und Abstimmungen auf EU-Ebene an diese Stellungnahme gebunden sein kann. Zuletzt spielte dies bei den Verhandlungen über das sogenannte Renaturierungsgesetz eine zentrale Rolle.

EU-Ausschuss des Bundesrats tagt einmal pro Monat

Seit dem EU-Beitritt 1995 trat der EU-Ausschuss des Bundesrats bisher zu insgesamt 228 Sitzungen zusammen. Im November 2007 wurde in der Präsidialkonferenz des Bundesrats vereinbart, dass der Ausschuss zumindest einmal pro Monat tagen soll. Die Sitzungen des EU-Ausschusses des Bundesrats sind öffentlich und die Inhalte der Sitzungen in auszugsweisen Darstellungen auf der Website des Parlaments nachzulesen.

In den vergangenen 30 Jahren wirkte der EU-Ausschuss des Bundesrats mit 18 (bindenden) Stellungnahmen, 71 Mitteilungen und 34 Subsidiaritätsrügen am EU-Gesetzgebungsverfahren mit. Das Themenfeld, zu dem Subsidiaritätsrügen beschlossen wurden, ist breit. Betroffen waren unter anderem EU-Pläne zum europäischen Kaufrecht, eine Trinkwasserrichtlinie, eine Saatgut- sowie eine Statistikverordnung, EU-Pläne für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zum Europäischen Klimagesetz. Zuletzt schickte der EU-Ausschuss des Bundesrats im Jahr 2020 eine Subsidiaritätsrüge nach Brüssel.

Derzeit setzt sich der EU-Ausschuss des Bundesrats aus 13 Mitgliedern zusammen. Jedes Ausschussmitglied kann während der Debatte Anträge einbringen, über die abgestimmt wird. Die in Österreich gewählten Mitglieder des Europäischen Parlaments haben in den Ausschussverhandlungen ein Rederecht. Seit der Geschäftsordnungsnovelle im Frühjahr 2015 können sich in Österreich gewählte Mitglieder des Europäischen Parlaments auch an den Plenarsitzungen des Bundesrats mit beratender Stimme beteiligen, wenn EU-Themen erörtert werden und ihnen die:der Präsident:in des Bundesrats nach Beratung in der Präsidialkonferenz ein Rederecht eingeräumt hat.

Im EU-Ausschuss des Bundesrats erörtert werden auch allgemein-europapolitische Angelegenheiten. So lädt der Ausschuss beispielsweise jedes Halbjahr den oder die jeweilige:n Botschafter:in des aktuellen EU-Ratsvorsitzlandes zu einer Aussprache über die geplanten Schwerpunkte ein. Ebenfalls langjährige Praxis ist eine jährliche Aussprache mit der österreichischen Vertreter:in im EU-Rechnungshof. Zudem absolviert der EU-Ausschuss regelmäßig Besuche bei EU-Institutionen in Brüssel und Luxemburg, führt Delegationsreisen zu europapolitisch relevanten Institutionen durch und tauscht sich in bilateralen Treffen im In- und Ausland mit anderen EU-Ausschüssen aus.

Bundesrat zählt EU-weit zu den aktivsten Kammern

EU-weit zählt der Bundesrat über einen längeren Betrachtungszeitraum zu den aktivsten Kammern. Bei einer Festveranstaltung im Jahr 2020 anlässlich des Jubiläums "100 Jahre Bundesrat" wies die ehemalige Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein laut Parlamentskorrespondenz in einer Festrede darauf hin, dass der Bundesrat vor allem in Angelegenheiten der EU "im EU-Ausschuss nachhaltige Aktivitäten entfaltet" habe. Die Relevanz des Bundesrats im Subsidiaritätsprüfungsverfahren könne als beispielgebend bezeichnet werden, sagte Bierlein. In der öffentlichen Wahrnehmung wohl zu wenig beachtet, habe der Bundesrat durch Abgabe zahlreicher Stellungnahmen zu Gesetzgebungsvorschlägen der Kommission an Ansehen und in der Europapolitik an Gewicht gewonnen. Zudem habe der Bundesrat Persönlichkeiten hervorgebracht, die als Bundespräsidenten, Nationalratspräsidenten oder an der Spitze von Bundes- und Landesregierungen Geschichte geschrieben haben, so Bierlein. 2024 wurde mit Magnus Brunner ein ehemaliger Bundesratsmandatar Mitglied der Europäischen Kommission.

Ausschuss der Regionen

Für regionale und lokale Gebietskörperschaften in Europa gibt es aber noch weitere Möglichkeiten, um auf EU-Ebene auf ihre Themen aufmerksam zu machen. Denn sie werden auch durch den Ausschuss der Regionen (AdR) eingebunden, der bis zu sechs Mal im Jahr zu Plenartagungen in Brüssel zusammenkommt. Als beratende Einrichtung bringt der AdR die Standpunkte der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften - wie Bundesländer oder Gemeinden - zu Gesetzesvorhaben der EU ein. Er zählt derzeit 329 Mitglieder und ebenso viele Stellvertreter:innen aus allen 27 EU-Ländern. Österreich ist mit je zwölf Mitgliedern und Stellvertreter:innen vertreten. (Schluss) bea

HINWEIS: Das Parlament beleuchtet 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt .

Archivfotos zur Mitwirkung des Bundesrats an EU-Angelegenheiten finden Sie im Webportal des Parlaments.


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