- 10.09.2025, 10:44:33
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80 70 30: Was steckt hinter hartnäckigen Mythen über die EU?
Wie fehlende Informationen und gezielte Desinformation die Wahrnehmung prägen
Auch 30 Jahre nach dem EU-Beitritt Österreichs halten sich manche Mythen rund um die Europäische Union hartnäckig. Sie reichen von der Abschaffung von Weihnachten bis hin zum vielzitierten "Ederer-Tausender". Dabei sind Mythen nicht nur harmlose Missverständnisse, sondern prägen das Bild der Europäischen Union oft stark. Sie beeinflussen die öffentliche Meinung und können die Wahrnehmung der EU als Institution verzerren. Patrick Lobis, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, und Sophie Velberg, Leiterin der Verbindungsstelle der Parlamentsdirektion in Brüssel, beleuchten, wie solche Mythen entstehen, warum sie wirksam sind und wie ihnen begegnet werden kann.
Warum kuriose Geschichten das Bild der EU verzerren und die Realität oft komplexer ist
Mythen sind vielfältig und halten sich hartnäckig. Velberg begegnet in ihrer täglichen Arbeit neben langjährigen Mythen wie der Gurkenkrümmung auch der von vielen empfundenen "Regelungswut der EU". Diese Narrative seien von großer Relevanz, da sie das Bild der EU prägen und Vertrauen oder Misstrauen in die europäische Zusammenarbeit beeinflussen können, erklärt die Verbindungsbeamtin. Lobis wird wiederum oft mit Vorstellung vieler Menschen konfrontiert, dass in Brüssel über die Köpfe der Bürger:innen hinweg entschieden wird. Diese Vorstellung treffe ganz und gar nicht zu, sagt Lobis, zumal keine einzige Rechtsnorm auf EU-Ebene zustande komme, ohne dass die Mitgliedstaaten entscheiden und die direkt gewählten EU-Parlamentarierinnen und Parlamentarier involviert seien.
Wie Mythen entstehen: Von fehlenden Informationen bis zu gezielter Desinformation
Aus Sicht von Velberg sind Mythen häufig vereinfachte Erzählungen, die komplexe Politik vermeintlich greifbarer machen. "Dies geschieht manchmal zugespitzt, manchmal verzerrt und oft basierend auf verkürzten Informationen, die man durch Medien erhält oder, weil man sich nicht ausreichend Zeit nimmt, tiefer in Sachverhalte einzudringen." Die Expertin betont auch die Komplexität der Themen, da sie oft schwierig auf wenige Sätze, wie sie oft in Sozialen Medien vorkommen, herunterzubrechen seien. Manchmal sei es auch Kalkül, wenn die EU als "Sündenbock" herhalten müsse oder Dinge bewusst aus dem Zusammenhang gerissen werden, so Velberg. Mythen über die EU entstehen demnach oft aus einer Kombination verschiedener Faktoren, die daher rühren, dass komplexe Sachverhalte vereinfacht, zugespitzt oder gar verfälscht dargestellt werden.
Die Ursprünge von Mythen können aus Sicht von Lobis aus fehlenden Informationen entstehen, wenn Menschen sich dann "einen Reim daraus" machen. Andererseits gebe es aber auch den Bereich der gezielt gestreuten und gesetzten Desinformationen. Solche Falschinformationen werden willentlich und gezielt verbreitet, um zu destabilisieren und ein Gefühl der Unsicherheit und des Misstrauens zu säen. Wichtig sei, dies abzugrenzen von legitimer Meinungsäußerung oder bloßer Unkenntnis, so Lobis.
Die Rolle von Zivilgesellschaft und Bildung im Kampf gegen EU-Mythen
Die Europäische Union begegnet diesen Mythen durch umfassende Informationsarbeit, Aufklärungskampagnen und den Versuch, Transparenz zu schaffen. Es wird aktiv auf Mythen reagiert, um ein verzerrtes Bild mit Fakten klarzustellen. Dies geschieht über klassische Medien, aber auch Online und in Social Media, wo gezielt in Communities gegangen wird, um Mythen direkt anzusprechen und mit Fakten zu widerlegen, sagt Lobis. Eine bedeutende Rolle schreibt er der Zivilgesellschaft zu. Unabhängige Dritte spielen ihm zufolge eine zentrale Rolle, indem sie den konstruktiven öffentlichen Diskurs fördern und genau prüfen, was Fakt und was Fiktion ist. Hinzu komme Basisarbeit und politische Bildung. Dies könne durch die Förderung von Medienkompetenz und politischer Bildung erfolgen, um - insbesondere bei jungen Menschen - ein Bewusstsein für Desinformation und Missinformation zu schaffen.
Im Internet gibt es eine Fülle an Material und Angeboten zur Aufklärung, betont auch Velberg. Allerdings könne die Informationslandschaft der EU für den Einzelnen oder die Einzelne auch unübersichtlich sein. "Da kann man sich darin leicht verlieren." Velberg hebt dabei hervor, dass die Komplexität der Themen und die oft sehr technische Sprache der EU es erschweren, Inhalte verständlich zu vermitteln. Zudem nehmen sich viele Menschen nicht mehr die Zeit, tiefer in Sachverhalte einzudringen.
Für Lobis besteht die Herausforderung darin, in der Faktenkommunikation eine konkrete Verbindung zur Lebensrealität der Bürger:innen herzustellen. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind die EU-Budgetkosten, die Lobis mit weniger als einer Tasse Kaffee pro Tag und Bürger:in beziffert, um die Größenordnung greifbar zu machen.
Wo ist der "Ederer-Tausender" geblieben?
Oft wird argumentiert, dass Österreich mehr in die EU einzahlt, als es zurückbekommt. Der "Ederer-Tausender" bezeichnet jenen Betrag, den sich die Österreicher:innen durch den EU-Beitritt im Jahr 1995 sparen sollten. 1994 hieß es, eine durchschnittliche vierköpfige Familie würde rund 1.000 Schilling pro Monat durch sinkende Lebenshaltungskosten vom EU-Beitritt profitieren. Viele Bürger:innen empfanden diese Einsparungen jedoch als nicht realisiert.
Lobis erklärt das Ironische daran: Ederer selbst soll diese Aussage nie so getroffen haben; sie sei im Nachgang einer Paneldiskussion entstanden, als ein anderer Teilnehmer den "Tausender" ins Spiel brachte. Denn ein Mythos lebe nicht nur von Falschinformationen, sondern auch von Emotionen, Erwartungen und gefühlten Verlusten. Aktuelle Zahlen widerlegen die Annahme, dass die Erwartungen enttäuscht wurden: Lobis verweist auf eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) aus dem Jahr 2024, die den finanziellen Vorteil der EU-Mitgliedschaft pro Österreicher:in auf über 3.000 Ꞓ im Jahr beziffert. Zieht man nun den Vergleich zum in Schilling genannten "Edererer-Tausender", dann handelt es sich dabei um eine "sehr konservative Schätzung". Am Ende bleibt mehr Geld in der Tasche, so Lobis.
Defizitverfahren: Regeln, die Österreich selbst mitgestaltet hat
Auch die Wahrnehmung, dass "Brüssel über uns bestimmt", ist ein Narrativ, das sich in Österreich und anderen Mitgliedstaaten hartnäckig hält. Das EU-Defizitverfahren, bei dem sich manche Menschen in Österreich "besachwaltert" fühlen, ist ein Beispiel dafür, wie eng Emotion und Politik hier zusammenhängen. Es geht mit dem Mythos einher, dass die EU alles zentral steuert.
Velberg erklärt, dass ein Defizitverfahren verstärkte Berichtspflichten bedeutet, aber keine Besachwalterung darstellt. Die beiden EU-Experten rücken dabei in den Vordergrund, dass nicht die EU von oben herab diktiere, sondern die Mitgliedstaaten diese Regeln gemeinsam beschlossen haben. Österreich sei selbst maßgeblich daran beteiligt gewesen, diese Regeln zu etablieren, so Lobis. Denn ein übermäßiges Defizit von über 3 % sei langfristig schädlich für die nationale Wirtschaft und die gesamte Gemeinschaft. Das Defizitverfahren bedeute verstärkte Berichtspflichten, nicht den Entzug von Kompetenzen durch die Kommission. Zudem sei Österreich nicht das einzige Land mit einem Defizitverfahren, mehrere Mitgliedstaaten seien aktuell betroffen, erklärt Velberg. Lobis sieht Österreich im "Driving Seat" bei dem Verfahren. Denn die österreichische Bundesregierung erarbeite den Plan zur Reduzierung des Defizits selbst. Die Kommission spiele eine unterstützende Rolle, informiere andere Mitgliedstaaten und biete technische Expertise, aber die Verantwortung und Federführung lägen bei Österreich selbst, betont Lobis. Es ist nicht die EU, die von oben herab diktiert, sondern ein gemeinsames Interesse an Stabilität und Haushaltsdisziplin habe, um die Wirtschaft im besten Interesse der Bürger:innen auf einem gesunden Niveau zu halten. (Schluss) gla
HINWEIS: Das Parlament beleuchtet 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt .
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