- 09.09.2025, 11:18:03
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Verzögerungen als Problem bei Krebs-Patient:innen
Österreichisches Onkologie Forum zeigt auf

Vor allem langes Warten auf Diagnose-Verfahren wie MRT mit bis zu 12 Wochen erweist sich als Problem
Verzögerungen im Abklärungsprozess erhöhen laut Studie die Mortalität
ÖOF-Expert:innen empfehlen deshalb ein Instrument der „onkologischen Dringlichkeit“ für das heimische Gesundheitssystem
Best practices aus anderen Ländern zeigen: Strukturierte Versorgungspfade bringen durch reine Umorganisation merkliche Verbesserungen ohne wesentliche Mehrkosten
Umfassende Analyse der Versorgungssituation in vier tiefgehenden Workshops – ÖOF-Fachleute führen konstruktiven Dialog und legen Lösungsmodelle vor
Die Behandlung von Krebserkrankungen macht enorme Fortschritte, und viele Krebsformen sind dank innovativer Therapieansätze gut behandelbar, sodass Erkrankte selbst in fortgeschrittenen Stadien oft lange damit leben können. Dementsprechend nimmt auch die Sterblichkeit von Krebs-Patient:innen seit Anfang der 1990er Jahre kontinuierlich ab. Bei Männern ist die Mortalität in Österreich um 36 Prozent zurückgegangen, bei Frauen um 31 Prozent.[i]
Gleichzeitig steigt aber die Prävalenz onkologischer Erkrankungen. Das heißt, immer mehr Menschen leben mit Krebs. Aktuell sind das rund 419.000 Personen, Tendenz steigend.
„Das stellt das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen“, sagt Dr. Florian Trauner, MSc, Public Health Experte mit Schwerpunkt Gesundheitsökonomie und -systemanalyse bei Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). „Onkologische Patient:innen haben grundsätzlich häufig Arzttermine. Je mehr Therapielinien zum Einsatz kommen, desto öfter finden Arztbesuche statt, und je länger die jeweilige Erkrankung dauert, desto mehr Spitalsbesuche sind notwendig.“ So sind die Zahlen der Krebs-Patient:innen, die eine Bestrahlung bzw. eine medikamentöse Therapie erhalten, allein zwischen 2017 und 2024 jeweils um 33 Prozent gestiegen. Bei der Anzahl der Spitalskontakte mit medikamentösen Therapien ist der Anstieg mit 46 Prozent sogar noch höher. „Dieser Trend wird sich in Zukunft voraussichtlich noch verstärken“, vermutet Trauner, „und darauf müssen wir uns angesichts einer älter werdenden Gesellschaft vorbereiten.“
Österreichisches Onkologie Forum erhebt strukturiert Versorgungssituation
Die Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO) hat deshalb vor rund einem Jahr das Österreichische Onkologie Forum ins Leben gerufen und die Versorgungssituation bei Krebs unter die Lupe genommen. „Wir verstehen das Forum als interdisziplinäres Dialog- und Denkformat, in dem Behandler:innen aus ganz Österreich ihre Erfahrungen in der onkologischen Versorgung aus erster Hand einbringen“, erklärt OeGHO-Präsident Univ.-Prof. Dr. Ewald Wöll die Ziele des OÖF. „Dabei analysieren wir im Rahmen von Workshops die Versorgungslage strukturiert anhand anerkannter Qualitätsindikatoren, identifizieren relevante Defizite und publizieren im Anschluss eine Versorgungsmatrix.“ Vier solcher Workshops zu den Schwerpunkten Brustkrebs, Lungenkrebs, Darmkrebs und Blasen-/Nierenkrebs haben bereits stattgefunden, weitere sind geplant.
„Die verdichteten Ergebnisse dieser umfassenden Erhebung präsentieren wir beim Jahresmeeting des ÖOF am 9. September 2025“, so Wöll, „und wir wollen damit eine fundierte Diskussions-, Steuerungs- und Entscheidungsgrundlage für die Verantwortlichen der Gesundheitspolitik bieten.“
Bei diagnostischen Untersuchungen bestehen Wartezeiten von bis zu 12 Wochen
„Das Österreichische Onkologie Forum ist durch einen sehr konstruktiven Dialog zwischen onkologischen Behandler:innen und Entscheidungsträger:innen gekennzeichnet“, konstatiert Priv.-Doz.in Dr.in Kathrin Strasser-Weippl, MBA, Medizinische Leiterin der OeGHO und Oberärztin am Zentrum für Onkologie und Hämatologie an der Klinik Ottakring, zunächst. Die Befundaufnahme machte aber auch Engpässe in der vermeintlich guten onkologischen Versorgung in Österreich sichtbar. „Jeder kennt die Schlagzeilen über Wartezeiten auf Arzttermine. Doch die meisten gehen davon aus, dass bei Verdacht auf Krebs aufgrund der Dringlichkeit alles ‚wie am Schnürchen‘ läuft. Doch das ist nicht immer so einfach“, betont Strasser-Weippl. Bei wichtigen diagnostischen Untersuchungen wie der Magnetresonanztomographie beträgt die Wartezeit zeitweise bis zu 12 Wochen, bei Computertomographien 3-4 Wochen, durchaus mit großen regionalen Schwankungen.
Verzögerungen im Abklärungsprozess führen laut Studie zu erhöhter Mortalität bei Krebs
„Aktuell haben wir als betreuende Onkolog:innen wenig Handhabe, diesen Prozess zu beschleunigen“, sagt Strasser-Weippl, „denn – im Gegensatz zu anderen Ländern – ist im österreichischen Gesundheitssystem keine eigene ‚Dringlichkeit‘ für Krebspatient:innen im Abklärungsprozess vorgesehen.“ Onkologische Behandler:innen aus ganz Österreich berichteten im ÖOF, dass es oft nur mit persönlichem Engagement, Termineinschüben, Nutzen persönlicher Kontakte oder Ausweichen auf den Spitals- oder den teuren Privatbereich gelingt, die zeitkritische Abklärung von Krebserkrankungen zu gewährleisten.
„Internationale Studien legen nahe, dass Verzögerungen im Abklärungsprozess ungünstige Folgen haben können“, so die OeGHO-Expertin. Laut einer international publizierten Meta-Studie[ii] erhöht eine Verzögerung bei Krebsoperationen um 4 Wochen die Mortalität um 6-8 Prozent, bei Strahlen- oder medikamentöser Therapie um 9-13 Prozent. „In Zukunft werden wir bei steigenden Fallzahlen kluge Lösungen brauchen, um auf den Anstieg der Patient:innenzahlen zu reagieren. Ansonsten riskieren wir, die Verbesserungen im Überleben, die wir mühsam erkämpft haben, wieder durch Defizite auf der Versorgungsebene zu verlieren.“
„Die Verantwortlichen anderer Gesundheitssysteme haben das erkannt und Maßnahmen ergriffen“, weiß Kathrin Strasser-Weippl. „Das britische NHS hat beispielsweise maximale Fristen für die Abklärung eines Krebsverdachts definiert.“ Mit dem „Urgent Cancer Referral“ werden klare Diagnosepfade vorgegeben, die je nach Risikoeinschätzung rasche Termine sicherstellen.
Andere europäische Länder haben wirkungsvolle Programme
Daran knüpft Dr. Thomas Czypionka, Leiter der Forschungsgruppe Gesundheitsökonomie und -politik am Institut für höhere Studien (IHS), mit einer Analyse der Lösungsmöglichkeiten an: „Derzeit haben wir de facto keine Priorisierung bei der Diagnostik. Das führt dazu, dass ein hoher Anteil an nicht evidenzbasierten Diagnoseschritten – etwa bei Rücken- oder Knieschmerzen – das System gewissermaßen ‚verstopfen‘. Daher gilt es“, so Czypionka, „nicht notwendige Inanspruchnahme zu reduzieren und vor allem mit strukturierten Fast-Track-Diagnoseprogrammen die Effizienz zu steigern. Einige europäische Länder haben bereits sehr wirkungsvolle Programme etabliert.“
Mit dem dänischen ‚Cancer Patient Pathways Program‘, das seit 2008 läuft, gelang es etwa, die Wartezeiten auf Diagnose bei allen Krebsformen zu senken und so das Drei-Jahres-Überleben von 45 Prozent auf 54 Prozent zu steigern[iii]. Ähnlich dazu konnte ein Lungenkrebs-Fast-Track-Programm in Italien die Zeit bis zur Diagnose von 43 auf 25 Tage drücken[iv]. Und in Spanien wurde durch ein Darmkrebs-Fast-Track-Programm die Wartezeit von 68 auf 26 Tage verringert. „In vielen Fällen bedeutet das nicht einmal, dass zusätzliche Ressourcen nötig wären“, betont IHS-Experte Czypionka, „ sondern dass allein durch smarte Lösungen und Umorganisationen merkbare Effekte erzielt werden können.“
OeGHO empfiehlt Einführung der „onkologischen Dringlichkeit“ im Abklärungsprozess
„Obwohl es große Bemühungen und konstruktive Initiativen gibt, um die Versorgung von Krebspatienten zu beschleunigen, haben wir in Österreich derzeit kein flächendeckendes Instrument, um diese notwendige Steuerung zu gewährleisten“, resümiert OeGHO-Präsident Wöll. „Wir empfehlen daher, das Instrument der ‚onkologischen Dringlichkeit‘ im österreichischen Gesundheitssystem, einzuführen. Das würde uns Onkolog:innen die Möglichkeit geben, die Patient:innen – abhängig von der medizinischen Einschätzung – zu priorisieren und im Abklärungsprozess rasch durchs System zu lotsen.“
Weiterführende Infos unter https://www.oesterreichisches-onkologie-forum.at/
[i]ÖsterreichischesNationales Krebsregister (geführt von Statistik Austria) https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/gesundheit/krebserkrankungen
[ii] Mortality due to cancer treatment delay: systematic review and meta-analysis, October 2020, https://www.bmj.com/content/371/bmj.m4087
[iii] Jensen/Tørring/Vedsted 2017
[iv] Scanagatta et al. 2025
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Rückfragen & Kontakt
Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie
Walter Voitl-Bliem, MBA
Telefon: +43 664 4053646
E-Mail: walter.voitl-bliem@oegho.at
Website: https://www.oegho.at
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