- 08.09.2025, 09:43:32
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Kindstötung und Schütteltrauma: Kinderschutz-Expertinnen fordern Aufklärung, Prävention und verantwortungsvollen Umgang der Medien
"die möwe Kinderschutz" bietet Begriffserklärungen und Hintergrundinformation für mehr Bewusstheit für einen sensiblen Umgang mit dem Thema.
In Österreich wurden laut Statistik Austria im Jahr 2024 drei Kinder unter einem Jahr als Opfer von Mord oder tätlichen Angriffen registriert (insgesamt 9 Kinder unter 14 Jahren). Doch Fachleute gehen auch von einer gewissen Dunkelziffer aus – insbesondere bei Neonatiziden, die manchmal als solche unerkannt bleiben. Anlässlich des Prozesses am 9.9.2025 am Wiener Landesgericht gegen jene Eltern, denen Mordversuch in Folge eines Schütteltraumas an ihrer damals wenige Wochen alten Tochter vorgeworfen wird, betonen die Expertinnen von die möwe Kinderschutz einmal mehr die Bedeutung von Aufklärung und Prävention. Sie wünschen sich einen sensiblen Umgang der Medien mit diesem Thema. Begriffsdefinitionen und Hintergrundinformationen können hier hilfreich sein.
Begriffe und Definitionen
Unter Neonatizid versteht man die Tötung eines Neugeborenen innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt, entweder aktiv oder durch Nichtversorgung durch ihre Mütter, wenn sie ihr Kind nach einer verdrängten Schwangerschaft alleine ohne Hilfe zur Welt bringen.
Von Infantizid spricht man, wenn ein Kind im ersten Lebensjahr von den Eltern getötet wird.
Filizid ist der Begriff für die Tötung eines Kindes über einem Jahr durch die Mutter und/oder den Vater.
Beim Schütteltrauma werden durch heftiges Schütteln Gehirn und Blutgefäße von Babys geschädigt. Zwischen 10 und 30 Prozent der betroffenen Kinder sterben an den Folgen, die meisten Überlebenden behalten lebenslange Schäden.
Ursachen
Häufige Ursache für Neonatizide sind ein Negieren der Realität der Schwangerschaft und ein Ignorieren der herannahenden Geburt, meist aufgrund schwieriger Lebensumstände und der Angst der Frauen vor der Ablehnung durch nahestehende Personen ihres Umfelds. Fehlende materielle und psychische Bewältigungskräfte sowie fehlendes Vertrauen in die soziale Umwelt in Hinblick auf Unterstützung kommen hinzu. Als Hauptauslöser für Schütteltrauma gelten Überforderung und Kontrollverlust der Eltern bei anhaltendem intensivem Babyschreien.
„Viele Kindstötungen geschehen nicht aus „bösem Willen“, sondern in psychischen Ausnahmesituationen. Verdrängte Schwangerschaften, Überforderung, psychische Erkrankungen oder fehlende soziale Unterstützung sind zentrale Risikofaktoren
“, sagt Mag.a Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin die möwe Kinderschutz.
Zahlen und Dunkelziffern
Kopfverletzungen infolge von Misshandlungen, vor allem das Schütteltrauma, sind die häufigste nicht natürliche Todesursache bei Säuglingen und Kleinkindern. In Deutschland werden jährlich zwischen 100 und 200 Kinder wegen Schütteltraumata in Kliniken behandelt. Fachpersonen gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl weit höher liegt, da viele betroffene Säuglinge und Kleinkinder nicht medizinisch behandelt werden.
Obwohl internationale Studien zeigen, dass die Zahl der Kindstötungen in vielen Ländern rückläufig ist, sterben Säuglinge weiterhin am häufigsten durch Gewalt im engsten familiären Umfeld. Das Risiko, getötet zu werden, sinkt bei Kindern mit dem Alter.
Trotz klarer Misshandlungen als Todesursache ist eine Verurteilung häufig schwierig. „Auch wenn klar ist, dass das Kind durch Misshandlung gestorben ist, ist nicht immer klar, durch wen die Tat begangen wurde
“, so Mag.a Johanna Zimmerl, Leiterin des Kinderschutzzentrums die möwe Wien. Misshandelte Kinder sowie hinterbliebene Geschwisterkinder sind im Rahmen der Prozessbegleitung über die Kinderschutzzentren auch juristisch vertreten, um ihre Rechte und Ansprüche im Verfahren geltend zu machen.
Forderungen an Justiz und Gesellschaft
Priv.-Doz.in Dr.in Claudia Klier, ehem. Leitung der pädiatrischen Psychosomatik am AKH Wien, fordert eine Begutachtung von Täterinnen durch Gutachter*innen mit fundierten Kenntnissen von peripartalen Störungen und sehr spezifischen Phänomenen wie der nichtwahrgenommenen Schwangerschaft, Mutter-Kind-Beziehungsstörungen, bei denen die Ablehnung des Kindes zu Gewalt oder Tötungen führen kann, sowie für Neonatizid-Täter*innen eine Weisung zur psychiatrischen Behandlung als Präventivmaßnahme zur Verringerung der Rückfallquote und zur Bewältigung der hohen psychischen Belastung.
Meist lassen sich bei gewalttätigen Eltern in einer diagnostischen Abklärung selbst Traumatisierungen und dissoziative Symptome erheben. „Das Durchbrechen der transgenerationalen Weitergabe von Gewalt ist somit eine wichtige Aufgabe in der psychosozialen Versorgung. Ebenso wichtig ist es, unerwünschte Schwangerschaften zu verhindern
“, sagt Klier.
Prävention und Hilfsangebote
Österreich hat mit der anonymen Geburt seit 2001 eine Möglichkeit geschaffen, ungewollt Schwangere zu entlasten. Seither sind die polizeilich gemeldeten Neonatizide zurückgegangen. Ergänzend dazu sind Adoptionslösungen wichtige Angebote, die die Gesundheit von Mutter und Kind durch medizinische Betreuung und soziale Beratung sichern sollen.
„Zur Prävention von Schütteltrauma sind Aufklärung und Unterstützung ab der Schwangerschaft entscheidend, damit Eltern und Bezugspersonen in Krisensituationen handlungsfähig bleiben
“ betont MMag.a Birgit Wenty, Zentrale Leitung Frühe Hilfen Wien. Österreichweit verfügbare Angebote wie die Frühen Hilfen leisten dabei einen wesentlichen Beitrag: Sie begleiten belastete Eltern, stärken das soziale Umfeld, fördern die Eltern-Kind-Bindung, vermitteln zu spezialisierten Versorgungsangeboten und schaffen Entlastung – oftmals schon vor der Geburt.
Rolle der Medien
Wie über Fälle von Gewalt an Kindern und Kindstötung berichtet wird, beeinflusst die öffentliche Wahrnehmung und den Umgang mit Betroffenen. „Eine konstruktive Berichterstattung kann Stigmatisierung verringern und Familien ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen“, erklärt Wölfl. Wichtig seien sachliche Sprache, der Verzicht auf reißerische Bilder und Hinweise auf spezifische kindorientierte Hilfsangebote wie Frühe Hilfen, Kinder- und Jugendhilfe und Kinderschutzzentren.
Fazit
Kindstötungen und Schütteltraumata sind ein seltenes, aber hochdramatisches gesellschaftliches Problem. Prävention beginnt bei Aufklärung, frühzeitiger Unterstützung von Familien und einem offenen Umgang mit Krisen. Angebote wie Frühe Hilfen, anonyme Geburt oder Kinderschutzzentren sind dabei unverzichtbar. Nur durch ein Zusammenspiel von Justiz, Medizin, Prävention, Medien und Gesellschaft lassen sich Kinder wirksam schützen.
Wichtige Hilfsangebote:
die möwe Kinderschutz: www.die-moewe.at
Frühe Hilfen: www.fruehehilfen.at
Broschüre „Wenn Babys weinen“: https://fruehehilfen.at/sites/fruehehilfen.at/files/2024-02/WennBabysweinen_NZFHat_deutsch.pdf
Österreichische Kinderschutzzentren: www.kinderschuetzen.at
Anonyme Geburt: www.anonymegeburt.at
Kostenlose Prozessbegleitung: www.pb-fachstelle.at
Die regional zuständige Kinder-und Jugendhilfe ist in der nächstgelegenen Bezirksverwaltungsbehörde oder im Magistrat erreichbar.
Rückfragen & Kontakt
die möwe Kinderschutz
Mag.a Hedwig Wölfl
Telefon: +43 699 19680049
E-Mail: woelfl@die-moewe.at
Website: https://www.die-moewe.at
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