• 04.09.2025, 10:30:06
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Wiener Patient*innenanwalt Jelinek: „Wer bereit ist zu zahlen, kommt im Gesundheitssystem schneller zu Leistungen“

Patient*innenanwalt Jelinek präsentiert den Bericht der Wiener Pflege- und Patient*innenanwaltschaft 2024 und erläutert Verbesserungen und Dauerbaustellen im Gesundheitssystem

Wien (OTS) - 

„Wer bereit ist, privat zuzuzahlen oder eine Zusatzversicherung hat, bekommt raschere Termine für OPs, für radiologische Untersuchungen und Untersuchungen bei Wahl- und Privatärzt*innen. Das ist kein Ruhmesblatt für ein solidarisches, öffentlich finanziertes Gesundheitssystem“, kritisiert der Wiener Patient*innenanwalt, Dr. Gerhard Jelinek, bei der heutigen Präsentation des WPPA-Tätigkeitsberichts 2024 und beschreibt damit ein Grundsatzproblem, das aus den zahlreichen Beschwerden der Patient*innen bei der WPPA im Vorjahr, aber auch 2025 hervorgeht.

Hintergrund: Aufgrund der im heurigen Frühjahr noch andauernden Regierungsbildung musste die Veröffentlichung des WPPA-Berichts 2024 in den Herbst verschoben werden. Die WPPA nahm diese zeitliche Verzögerung zum Anlass, um aktuell herauszuarbeiten, was sich seit der Fertigstellung des Tätigkeitsberichts im Wiener Gesundheitssystem getan hat.

Lange Wartezeiten für Kassenpatient*innen wegen Personalknappheit

„Das Hauptthema im Berichtsjahr war und ist die Personalknappheit“, stellt Jelinek fest, „sowohl was die ärztlichen Kapazitäten wie auch die sonstigen Mitarbeiter*innen wie Assistenzen und Pflegekräfte betrifft.“ Dieses Problem bestehe sowohl im Spitalsbereich wie auch bei niedergelassenen Ärzt*innen und führe zu den Folgeproblemen lange Wartezeiten und Mehrklassenmedizin. Der Patient*innenanwalt weiter: „Vor allem bei den planbaren, aber deswegen nicht minder notwendigen Eingriffen wurden der WPPA in einzelnen Fachrichtungen Wartezeiten von mehr als einem Jahr geschildert. Oft dauert es schon bis zum Erstgespräch in der Ambulanz trotz abgeschlossener Voruntersuchung mehr als ein halbes Jahr.“ Ein einfaches Konzept zur Behebung dieser Engpässe gäbe es nicht. Die Hoffnung, durch gezielte Patient*innenlenkung und Digitalisierung effizienter zu werden, sei sicherlich berechtigt, werde aber noch länger bis zur Verwirklichung brauchen. „Angesichts der steigenden Bevölkerungszahl und Lebenserwartung, der baldigen Pensionierungswelle vieler Ärzt*innen und Pflegekräfte und der Reduzierung der Dienstzeiten scheint aber auch eine Vermehrung der Köpfe unvermeidlich“, so Jelinek.

Kapazitätsmängel ziehen sich durchs ganze Gesundheitssystem

Erhebliche personelle Engpässe existierten auch im Bereich der Psychiatrie, insbesondere auch für Kinder und Jugendliche, und der kassenfinanzierten Psychotherapie. „Im Bereich der Kindermedizin fehlen Kinderärzt*innen mit Kassenvertrag und auch bei der Logopädie, Physio- und Ergotherapie, im Bereich der Entwicklungsdiagnostik und der Behandlung von Kindern im Autismusspektrum sehen wir eine deutliche Unterversorgung“, zeigt sich der Patient*innenanwalt beunruhigt.

Starrer Föderalismus zum Nachteil von Patient*innen

Die Anzahl der Beschwerden sogenannter „Gastpatient*innen“ sei seit Ende 2024 anhaltend hoch. Patient*innenanwalt Jelinek: „Es braucht für die Ostregion Österreichs eine einheitliche Planung der Versorgung und Finanzierung. Der derzeit praktizierte starre Föderalismus sorgt für größtes Unverständnis bei den Betroffenen, die ja teilweise sogar für die Stadt Wien arbeiten und Steuern zahlen, oft weit über ein Jahr auf eine Operation warten, aber wegen ihres Wohnsitzes nicht mehr vom Wiener Gesundheitssystem profitieren können.“ Selbst beim Wechsel von einem Pflegeheim in das Pflegeheim eines anderen Bundeslandes, um näher bei Angehörigen zu sein, hänge die öffentliche Kostenübernahme noch immer vom „good will“ des neuen Bundeslandes ab, wie Beschwerden zeigen.

Erfreuliche Entwicklungen bei Prävention

Gegenüber den Vorjahren habe es heuer erstmals einen Rückgang bei Beschwerden zu Wartezeiten auf radiologische Untersuchungen gegeben, was mit einer kleinen Erhöhung der Zahl der kassenfinanzierten MRT-Geräte zusammenhängen dürfte. „Welche Auswirkungen die von der ÖGK angekündigte verschärfte Genehmigungspraxis radiologischer Untersuchungen zum Jahresende haben wird, bleibt allerdings sorgenvoll abzuwarten“, so Jelinek.

„Eine ebenfalls erfreuliche Entwicklung ist im Bereich der Prävention, speziell im Impfbereich, festzustellen. So ist die Ankündigung des Bundesministeriums, ab 2026 die von der WPPA schon länger geforderte Kostenfreiheit der Herpes Zoster-Impfung zumindest für Risikogruppen sicherzustellen, absolut positiv und wird sich letztlich auszahlen“, ist der Patient*innenanwalt überzeugt.

Rückschritte bei Versorgung von Long-Covid/ME/CFS-Patient*innen

Tragisch sei hingegen weiterhin die unzureichende Versorgung von Long-Covid/ME-CFS-Patient*innen, auch wenn durch die Errichtung und Planung von Kompetenz- und Referenzzentren zumindest der Eindruck entstehe, das Problem würde ernst genommen. Aber: „Als medizinische Anlaufstelle für Patient*innen wird ein Zentrum erst in einigen Jahren fungieren. Bis dahin bleibt sowohl die Versorgung im niedergelassenen Bereich wie auch die stationäre Versorgung – hier wurden sogar interdisziplinäre Ambulanzen geschlossen – unzureichend“, kritisiert Jelinek und ergänzt: „Dazu gesellt sich eine weiterhin unverständlich starre und ablehnende Haltung der PVA, was die unvoreingenommene Prüfung sozialrechtlicher Ansprüche von Patient*innen mit Long-Covid/ME/CFS betrifft.“

Auch die mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten war und ist ein häufig geschildertes Problem. Besonders betroffen waren hiervon Antibiotika und Diabetes-Medikamente, auch in Verwendung als „Abnehmspritze“.

Zeitgemäße Rahmenbedingungen für Kassenärzt*innen

Sehr ungeduldig verfolge die WPPA die wechselseitigen Schuldzuweisungen der Ärztekammern und der ÖGK, was die Verzögerungen beim Abschluss eines neuen Gesamtvertrages betrifft. Jelinek dazu: „Es ist klar, dass der aktuelle Leistungskatalog nicht mehr geeignet ist, ausreichende Anreize für die Übernahme einer Kassenordination zu bieten. Auch die Notwendigkeit der Einigung mit neun Länderkammern ist – wie zuletzt vom Rechnungshof kritisiert – schwer einzusehen. Daneben werden auch flexiblere Rahmenbedingungen für Kassenordinationen, etwa im Bereich der Öffnungszeiten, notwendig sein, um nicht noch mehr Zuwachs des Standes der Wahlärzt*innen zu bewirken.“

9.000 Kontaktaufnahmen - Mehr Transparenz bei Beschwerden von Patient*innen

Anlässlich der kürzlich öffentlich gewordenen Vorwürfe gegenüber einem Wiener Kassengynäkologen bezweifelt der Patient*innenanwalt, dass die Errichtung einer weiteren Beschwerdestelle im Bundesministerium eine Verbesserung für Patient*innen bringe. „Denn“, so Jelinek: „es gibt ja ohnehin schon neun Patientenanwaltschaften, bei denen alle diese Beschwerden eingebracht werden können. Die Menschen wollen aber verständlicherweise gerne wissen, was mit diesen Beschwerden passiert und ob sie zu einer Qualitätskontrolle und Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen.“ Hier müssten zukünftig die Patientenanwaltschaften von der Ärztekammer zumindest in Grundzügen über die Ergebnisse allfälliger Disziplinaruntersuchungen informiert werden.

Insgesamt sei die WPPA jedenfalls eine wichtige und unabhängige Institution zur Wahrung der Patient*inneninteressen. Dies würden u.a. die gut 9.000 Kontakte des Vorjahres, überwiegend telefonisch, zeigen. Neben den schon eingangs geschilderten Beschwerdegründen hätten knapp 900 Beschwerden Behandlungsfehler zum Gegenstand. „In rund 140 Fällen, zum Teil auch aus dem Vorjahr, stellte die WPPA Behandlungsfehler fest und erwirkte für die Betroffenen außergerichtlich Schadenersatzzahlungen. Wo kein Behandlungsfehler nachweisbar war, es aber zu erheblichen und seltenen Komplikationen gekommen war, erhielten Patient*innen in 86 Fällen Entschädigungen aus dem Patientenentschädigungsfonds. Insgesamt ergab dies Schadenersatzzahlungen von 3,25 Mio. EUR an geschädigte Patient*innen“, fasst Jelinek zusammen. Damit werde erfolgreich das Ziel erreicht, riskante und kostenintensive Zivilprozesse für Patient*innen zu vermeiden, die keine eindeutigen Behandlungsfehler nachweisen können. Dennoch sieht er einen Wermutstropfen: „Der Fonds wird ausschließlich von stationär aufgenommenen Patient*innen der Gemeinde- und Ordensspitäler durch Selbstbehalte finanziert und diese Selbstbehalte wurden seit 25 Jahren nicht valorisiert. Dies führt dazu, dass eine volle Entschädigung undenkbar ist. Aber auch dazu, dass durch Komplikationen in Privatspitälern oder bei niedergelassenen Ärzt*innen geschädigte Patient*innen keine Chance auf diese Art der Entschädigung haben.“

Neu: Errichtung von Sterbeverfügungen

2024 wurden 570 verbindliche Patientenverfügungen bei der WPPA errichtet, was einer Steigerung von fast 20 Prozent entspricht. Seit kurzem steht die WPPA auch für die kostenlose Errichtung von Sterbeverfügungen zur Verfügung. Schließlich befindet sich auch die ELGA-Ombudsstelle und die Wiener Heimkommission im Organisationsverbund der WPPA.

Den vollständigen Tätigkeitsbericht 2024 der Wiener Pflege- und Patient*innenanwaltschaft finden Sie unter: www.patientenanwaltschaft.wien.at

Rückfragen & Kontakt

Mag.ª Dominique Stiefsohn, MA
Wiener Pflege- und Patient*innenanwaltschaft
Telefon: 01 5871204-82520
dominique.stiefsohn@wien.gv.at
www.patientenanwaltschaft.wien.at

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