- 07.08.2025, 08:00:32
- /
- OTS0004
Novelle seit zwei Jahren in Kraft: mehr Rechte für Psychiatrie-Patient:innen
VertretungsNetz – Patientenanwaltschaft mit Daten zu psychiatrischen Unterbringungen
770 Patient:innen sind tagtäglich an psychiatrischen Stationen gegen oder ohne ihren Willen untergebracht. Grund dafür ist die ärztliche Einschätzung, dass eine Gefahr für die Betroffenen selbst oder für andere Menschen besteht. Die Patientenanwaltschaft von VertretungsNetz vertritt und unterstützt diese Patient:innen, solange sie das Krankenhaus nicht verlassen dürfen, direkt vor Ort.
2024 wurden knapp über 25.000 Unterbringungen an VertretungsNetz gemeldet. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, gegen oder ohne eigenen Willen an einer psychiatrischen Station aufgenommen zu werden, in Tirol oder der Steiermark fast doppelt so hoch wie in Niederösterreich oder Wien. Auch die Dauer des zwangsweisen Aufenthalts variiert von durchschnittlich ca. 8 Tagen in Salzburg bis zu fast 14 Tagen in Wien.
Prekär bleibt die Lage im Kinder- und Jugendbereich: Seit der Pandemie 2020 ist die Zahl der untergebrachten Kinder und Jugendlichen sprunghaft angestiegen und auf hohem Niveau verblieben. Fast 2.700 Minderjährige waren 2024 betroffen. Besonders besorgniserregend: Immer mehr Kinder und Jugendliche werden fünfmal oder öfter in einem Jahr untergebracht. „Der Anteil dieser mehrfach untergebrachten Patient:innen ist bei Kindern und Jugendlichen dreimal so hoch wie unter Erwachsenen. Mehr wiederholte Unterbringungen lassen befürchten, dass die jungen Menschen aufgrund des Bettendrucks zu rasch und damit unzureichend stabilisiert entlassen werden“
, zeigt Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter Patientenanwaltschaft, auf.
Unterschiedliche Zugänge zum Thema Zwang
Zusätzlich zu einer Unterbringung sind sogenannte „weitergehende Beschränkungen“ möglich. Zum Beispiel dürfen Patient:innen ein Zimmer nicht verlassen, oder sedierende Medikamente und Gurtsysteme am Bett kommen zum Einsatz. Das ist nicht selten: „Etwa ein Drittel der Patient:innen wird in akuten Situationen auf einen oder innerhalb eines Raumes beschränkt, rund ein Viertel mit Gurten am Bett fixiert“
.
Auch bei Fixierungen gibt es große regionale Unterschiede: In Kärnten und Tirol werden Fixierungen bei einem viel höheren Anteil der Unterbringungen angewendet als in Niederösterreich oder dem Burgenland. Wie schafft man es in manchen Spitälern, mit weniger Zwang auszukommen? Das sollten die Kliniken im fachlichen Austausch miteinander eruieren, sagt Rappert. „Ziel muss es sein, Zwangsmaßnahmen durch ausreichenden Personaleinsatz, professionelle Deeskalation und bauliche Strukturen so weit wie möglich zu vermeiden“
.
Kommt die UbG-Novelle im Klinikalltag an?
Seit zwei Jahren ist die Novelle des Unterbringungsgesetzes (UbG) nun in Kraft. Ziel war und ist es, die Selbstbestimmung der Patient:innen zu stärken. An vielen Stationen wird etwa das neue Behandlungsrecht schon gelebt: Patient:innen (und auch Ärzt:innen) können z.B. eine medizinische Behandlung vorab von einem Gericht überprüfen lassen.
Über 600mal wurde das 2024 bereits gemacht. Die meisten Behandlungen wurden genehmigt. Trotzdem: „Es fühlt sich für Patient:innen anders an, wenn sie ihre Anliegen auf Augenhöhe äußern können und nicht einfach über ihren Kopf hinweg entschieden wird. Behandlungen werden besser angenommen und sind damit nachhaltiger. Wir erleben auch, dass Ärzt:innen genauer überlegen, ob eine bestimmte Behandlung wirklich notwendig ist oder ob nicht eine Vereinbarung mit den Patient:innen geschlossen werden kann, welche diese besser akzeptieren können. Das alles führt dazu, dass mehr mit und weniger über die Patient:innen gesprochen wird“
, erklärt Rappert.
Erstmals hat ein Gericht 2024 auch entschieden, dass die Unterbringung in einem 6-Bett-Zimmer die Intimsphäre und damit die Menschenwürde verletzt. Im Anlassfall hatte sich eine Patientin mit schweren Depressionen bei einem Suizidversuch den Fuß gebrochen. Sie litt sehr unter der mangelnden Rückzugsmöglichkeit in einem Zimmer, das sie sich zwei Monate lang mit sechs anderen schwer erkrankten Patientinnen teilen musste. Bei der Patientenanwaltschaft begrüßt man die Entscheidung als klares Signal für bessere Standards in der stationären psychiatrischen Versorgung.
Rückfragen & Kontakt
VertretungsNetz - Öffentlichkeitsarbeit
Mag.a Karina Lokosek, BA
Telefon: 0676 833 08 8173
E-Mail: karina.lokosek@vertretungsnetz.at
Website: https://www.vertretungsnetz.at
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | VTZ