• 30.07.2025, 08:47:02
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Freiheitsbeschränkungen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen erneut auf Höchststand

VertretungsNetz – Bewohnervertretung: Personalmangel führt zu mehr Eingriffen in Grundrechte und Lebensqualität betreuter Menschen.

Wien (OTS) - 

Seitenteile am Bett, versperrte Räume, Festhalten gegen körperlichen Widerstand, Gurte am Rollstuhl oder sedierende Medikamente: Solche beschränkenden Maßnahmen an Bewohner:innen von Wohn- oder Pflegeeinrichtungen dürfen nur dann zum Einsatz kommen, wenn eine ernstliche und erhebliche Gefährdung droht und keine Alternative oder gelindere Maßnahme möglich ist. Denn das Grundrecht auf persönliche Freiheit gilt selbstverständlich auch für Menschen, die institutionell betreut oder gepflegt werden.

Die Bewohnervertretung überprüft solche Freiheitsbeschränkungen auf Basis des Heimaufenthaltsgesetzes im Auftrag des Justizministeriums. Seit einigen Jahren steigt die Zahl der gemeldeten Maßnahmen und die der betroffenen Menschen kontinuierlich an. 2024 wurde erneut ein Höchststand verzeichnet.

Die Einrichtungen haben 2024 rund 60.200 Freiheitsbeschränkungen neu an uns gemeldet, fast 22.100 Personen waren von einer oder mehrerer Maßnahmen betroffen, sagt Grainne Nebois-Zeman, Fachbereichsleiterin der Bewohnervertretung bei VertretungsNetz. Im Vergleich zum Vorjahr wurden um 5 % mehr Meldungen verzeichnet, im Dreijahresvergleich war es sogar ein Plus von 32 % – eine alarmierende Entwicklung.

Gefahr der Immobilisierung für ältere Menschen

Insbesondere der anhaltende Personalmangel in den Einrichtungen wirkt sich negativ aus. Durch hohes persönliches Engagement der Betreuungs- und Pflegepersonen gelingt es vielerorts zwar, die Versorgung sicherzustellen. Dennoch führen der Druck und die hohe Fluktuation in vielen Einrichtungen dazu, dass Bewohner:innen weniger oft mobilisiert werden. Wir sehen als Folge mehr Einschränkungen bei Lebensqualität und Grundrechten, so Nebois-Zeman.

Besonders besorgniserregend ist die Situation in Alten- und Pflegeheimen, aus welchen rund die Hälfte aller Meldungen kommt. Rund 30.400 neu angeordnete Maßnahmen hat man bei der Bewohnervertretung verzeichnet, 71 % aller Beschränkungen entfallen auf sedierende Medikamente gegen Unruhe und Bewegungsdrang. Aber auch Bett-Seitenteile und Gurtsysteme im Rollstuhl kommen in den letzten Jahren wieder häufiger zum Einsatz. Pflegekräften bleibt im stressigen Arbeitsalltag zu wenig Zeit, über Alternativen nachzudenken und damit individuelle und schonendere Lösungen für Bewohner:innen zu finden.

Die Einnahme von Psychopharmaka erhöht das Sturzrisiko. Zum Schutz werden daher häufig zusätzliche Maßnahmen wie Gurtsysteme oder Seitenteile eingesetzt. Diese schränken jedoch die Bewegungsfreiheit weiter ein und können langfristig zur Immobilisierung von Bewohner:innen beitragen. Die Bewohnervertretung beobachtet mit Sorge, dass die Zahl der Personen mit mehrfachen Freiheitsbeschränkungen im vergangenen Jahr deutlich gestiegen ist

Erstmals seit der Covid-Pandemie wurden 2024 auch wieder mehr Maßnahmen gemeldet, die verhindern sollen, dass Bewohner:innen einen Bereich verlassen. Ein Grund: Manche Pflegewohnhäuser werden mit komplexen Türöffnungs- und Schließsystemen ausgestattet, die von Personen im Rollstuhl oder mit Rollator schwer oder gar nicht zu öffnen sind. In einem Fall brauchte es neben einem Gerichtsbeschluss, dass das System unzulässig ist, weitere Interventionen der Bewohnervertretung beim Einrichtungsträger, damit nun endlich ein automatischer Türöffnungsmechanismus den Bewohner:innen – und den Pflegekräften – das Leben erleichtert.

Grundrecht auf Freiheit gilt auch für Kinder

Die Bewohnervertretung überprüft auch Freiheitsbeschränkungen an Kindern und Jugendlichen, wenn sie in Einrichtungen wohnen oder eine Sonderschule besuchen. 2024 wurden rund 6.800 neue Maßnahmen an VertretungsNetz gemeldet und überprüft. Rund 60 % entfielen auf Wohneinrichtungen, 40 % auf den Schulbereich. Insgesamt waren 2.123 Kinder und Jugendliche von einer oder mehreren Freiheitsbeschränkungen betroffen.

Meldungen aus Wohneinrichtungen erfolgen z.B., wenn Betreuer:innen Kindern Psychopharmaka geben oder sie während Impulsdurchbrüchen körperlich festhalten oder fixieren. In den letzten Jahren nimmt die Bewohnervertretung wahr, dass die Betreuung von Minderjährigen sehr schwierig geworden ist, vor allem im städtischen Bereich. Hochtraumatisierte Kinder zeigen besonders herausfordernde oder sogar gewalttätige Verhaltensweisen, viele eingriffsintensive Beschränkungen sind die Folge.

Nebois-Zeman: Wir sehen, wie enorm gefordert die Betreuer:innen sind, der Druck ist hoch. Dennoch: Zwangsmaßnahmen an Kindern und Jugendlichen hinterfragen wir immer besonders genau, ob sie wirklich notwendig sind. Denn die erlebte Gewalt kann die jungen Menschen erneut traumatisieren, und Entwicklungschancen können damit vergeben werden.

Sie appelliert an Einrichtungsträger und Bundesländer, mehr Ressourcen und bessere Arbeitsbedingungen für Pflege- und Betreuungspersonal in allen Einrichtungen bereitzustellen. Denn nur dann erhalten Kinder und Erwachsene, die in Einrichtungen leben, die notwendige bedürfnisgerechte Pflege und Betreuung.

Link: Jahresbericht VertretungsNetz 2024

Rückfragen & Kontakt

VertretungsNetz - Öffentlichkeitsarbeit
Mag.a Karina Lokosek, BA
Telefon: 0676 833 08 8173
E-Mail: karina.lokosek@vertretungsnetz.at
Website: https://www.vertretungsnetz.at

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