• 29.07.2025, 08:00:32
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BÖP rückt lang ignorierte Erkrankung ins Licht

ME/CFS verdient mehr Bewusstsein im Gesundheitssystem

Wien (OTS) - 

Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere chronische Erkrankung, die tief in das Leben der Betroffenen eingreift – körperlich, sozial und psychisch. Der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP) macht auf die oft übersehene Belastung aufmerksam und betont: Psychologische Unterstützung ist ein wesentlicher Bestandteil der Versorgung.

Veränderte Lebensrealität für Betroffene und Angehörige

ME/CFS verursacht eine Vielzahl schwerer Symptome – darunter Fatigue, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme und neurokognitive Einschränkungen. Zentrales Leitsymptom ist die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM), eine massive Zustandsverschlechterung nach bereits geringer körperlicher oder mentaler Anstrengung. Diese kann Stunden bis Wochen andauern, oder gar bleibend sein, und führt oft zu einem völligen Verlust der Belastbarkeit. Beruf, Schule oder soziale Teilhabe sind kaum noch möglich. Isolation, Hilflosigkeit und psychische Belastungen wie Frustration, Angst, Scham oder Hoffnungslosigkeit sind häufige Folgen. Mehr als die Hälfte der Betroffenen ist im Alltag erheblich eingeschränkt, rund ein Viertel kann aufgrund der Schmerzen dauerhaft nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen oder ist auf das häusliche Umfeld beschränkt.

In Österreich leben laut Schätzungen zwischen 26.000 und 80.000 Menschen mit ME/CFS – rund zwei Drittel davon sind Frauen. Besonders häufig tritt die Erkrankung in jungen Jahren auf, mit Erkrankungsgipfeln zwischen 10–19 und 30–39 Jahren.

Pandemie als Verstärker: Zahl der Betroffenen stark gestiegen

ME/CFS entwickelt sich oft im Anschluss an Virusinfektionen – darunter auch SARS-CoV-2. Fachleute gehen davon aus, dass sich die Zahl der Betroffenen durch die Pandemie mindestens verdoppelt hat. Viele Long Covid-Betroffene erfüllen mittlerweile die ME/CFS-Diagnosekriterien, eine adäquate Versorgung fehlt jedoch nach wie vor.

Psychologische Begleitung als Teil der Versorgung

Wichtig ist: ME/CFS ist keine psychosomatische Erkrankung – dennoch ist psychologische Begleitung zentral. Klinische PsychologInnen leisten einen wichtigen Beitrag in der Diagnostik, etwa durch die Erstellung von Befunden, mit denen psychische Erkrankungen als Ursache ausgeschlossen oder kognitive Einschränkungen objektiv erfasst werden können. Auch komorbid auftretende psychische Erkrankungen lassen sich auf diese Weise erkennen und angemessen berücksichtigen. Im beruflichen Kontext unterstützt die klinisch-psychologische Diagnostik dabei, individuelle Belastungsgrenzen zu bestimmen und geeignete Arbeits- oder Rehabilitationsfelder zu identifizieren.

Neben der Diagnostik unterstützen Klinische PsychologInnen PatientInnen bei der Verarbeitung der Erkrankung – etwa mit Strategien zur Krankheitsbewältigung, zur Emotionsregulation sowie zur Stärkung von Selbstwirksamkeit und psychischer Resilienz. Die klinisch-psychologische Behandlung ist ein wesentlicher Bestandteil der Versorgung, insbesondere bei psychischen Belastungen oder Auffälligkeiten im Zusammenhang mit ME/CFS. Neuropsychologische Verfahren leisten darüber hinaus einen wichtigen Beitrag – etwa bei der differenzierten Erfassung und Interpretation kognitiver Einschränkungen, die bei ME/CFS häufig auftreten. Sie ermöglichen eine fundierte Diagnostik und die Entwicklung individueller Kompensationsstrategien für den Alltag. Impulse für Gesundheitsförderung und Lebensstilinterventionen kommen zudem aus der Gesundheitspsychologie – wie durch Maßnahmen zur Stabilisierung gesundheitsbezogener Verhaltensweisen und zur Unterstützung eines ressourcenschonenden Umgangs mit der Erkrankung im Alltag.

Appell an Politik, Forschung und Gesundheitswesen

Laut einer deutschen Studie (Charité, 2022) verfügen über 60 Prozent der ÄrztInnen über keine ausreichenden Kenntnisse zu ME/CFS. Auch in Österreich fehlt es an Bewusstsein – die Erkrankung wird häufig nicht erkannt, falsch eingeordnet oder bagatellisiert. Ursache ist unter anderem, dass ME/CFS in medizinischer und psychologischer Grundausbildung kaum vorkommt.

Um Betroffene nicht länger allein zu lassen, braucht es ein entschlossenes Handeln auf mehreren Ebenen: mehr Bewusstsein durch Aufklärungskampagnen für Fachpersonal und Gesellschaft, eine fundierte Aus- und Weiterbildung für Gesundheitsberufe, interdisziplinäre Versorgungszentren mit medizinischer, psychologischer und sozialer Kompetenz, eine stärkere Berücksichtigung psychologischer Perspektiven in der Forschung – und nicht zuletzt die finanzielle Absicherung notwendiger Behandlungsformen.

„Es braucht ein Umdenken – in Gesellschaft und Gesundheitssystem“

„ME/CFS betrifft nicht nur Körper und Alltag – es greift tief in die Biografien und Lebensentwürfe der Betroffenen ein“, so BÖP-Präsidentin a.o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger. „Viele erleben nicht nur den Verlust ihrer Gesundheit, sondern auch das Gefühl, übersehen und unverstanden zu sein. Es braucht ein Umdenken – in der Gesellschaft wie im Gesundheitssystem.“

Grundlage jeder wirksamen Unterstützung ist dabei die Anerkennung von ME/CFS als schwere körperliche Erkrankung. „Gerade in solchen Momenten brauchen Menschen ein Gegenüber, das zuhört, validiert und Halt gibt“, betont a.o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger. „PsychologInnen bringen genau das mit: Fachwissen, Empathie und das Verständnis für individuelle Lebenssituationen.“

PsychologInnen verschiedener Fachrichtungen – darunter die Klinische Psychologie, Neuropsychologie und Gesundheitspsychologie – tragen maßgeblich zur Verbesserung der Lebensqualität und zur psychischen Stabilisierung von ME/CFS-Betroffenen bei.

Rückfragen & Kontakt

Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP)
Christina Lenhard, BA
Telefon: 0670/35 41 296
E-Mail: presse@boep.at

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