- 10.07.2025, 01:42:05
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- OTS0003
"ÖVP-Machtmissbrauchs-Untersuchungsausschuss" kommt vorläufig nicht
Geschäftsordnungsausschuss wertet von FPÖ vorgeschlagenen Themenmix als unzulässig
Der von der FPÖ angestrebte ÖVP-Machtmissbrauchs-Untersuchungsausschuss kommt vorerst nicht. Der Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrats hat in seiner heutigen Sitzung mit Koalitionsmehrheit entschieden, das Verlangen der Freiheitlichen als "zur Gänze unzulässig" zurückzuweisen. Das Verlangen entspreche nicht der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass der Untersuchungsgegenstand ein "bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes" sein müsse, begründete Andreas Hanger (ÖVP) die Entscheidung. Kai Jan Krainer (SPÖ) stößt sich vor allem an der Vermengung zweier völlig unterschiedlicher Themen. Zudem wird im von ÖVP, SPÖ und NEOS gemeinsam vorgelegten sechsseitigen "Bestreitungsantrag" auf weitere Unzulänglichkeiten hingewiesen, die das Verlangen aus Sicht der Koalitionsparteien hat, wobei Nikolaus Scherak (NEOS) im Ausschuss meinte, dass er die Sachlage nicht so eindeutig wie Hanger und Krainer sehe. "Einige Formalfehler" im Antrag orten auch die Grünen, ihre Partei räume dem Recht auf Kontrolle aber Vorrang ein, erklärte Nina Tomaselli.
Die FPÖ hat nun die Möglichkeit, die Entscheidung des Geschäftsordnungsausschusses innerhalb von 14 Tagen beim Verfassungsgerichtshof anzufechten oder ein neues Verlangen einzubringen, wobei die vierzehntägige Frist erst am Freitag - mit Beginn der Debatte über den Ausschussbericht im Plenum - zu laufen beginnt. Wie sich die FPÖ entscheiden wird, erklärte sie im Ausschuss nicht, Abgeordneter Norbert Nemeth meldete sich nur kurz zu Wort und verwies angesichts der späten Stunde auf die Plenardebatte.
Mit dem "ÖVP-Machtmissbrauchs-Untersuchungsausschuss" will die FPÖ zum einen die Ermittlungen rund um den Tod des ehemaligen Spitzenbeamten im Justizministerium Christian Pilnacek und zum anderen den behördlichen Umgang mit Corona-Demonstrationen und "regierungs- und maßnahmenkritischen Bürgern" durchleuchten. In beiden Fällen orten die Freiheitlichen unzulässige politische Einflussnahmen, wobei sie vor allem die ÖVP im Visier haben. So werfen sie ihr etwa die Einschüchterung von Kritiker:innen vor.
Koalition hält U-Ausschuss-Verlangen in mehrfacher Hinsicht für verfassungswidrig
Nach Meinung der Koalitionsparteien entspricht das Verlangen aber in mehrfacher Hinsicht nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. So könne man mit einem Untersuchungsausschuss nicht mehrere, unterschiedliche Vorgänge untersuchen, die keinen inhaltlichen, personellen oder zeitlichen Zusammenhang hätten, halten sie im "Bestreitungsantrag" fest. Eine "substantiierte, nachvollziehbare" Begründung, was die Corona-Maßnahmen mit dem Fall Pilnacek zu tun haben sollen, ist ihnen zufolge dem Verlangen nicht zu entnehmen. Zudem vermissen sie einen Plan, welchen konkreten Missständen der Untersuchungsausschuss überhaupt nachgehen soll, zumal die behauptete "systematische Unterdrückung von Kritik an Regierungshandeln" von der FPÖ nicht näher ausgeführt werde. Ein "hinreichend bestimmter" Untersuchungsgegenstand sei aber allein schon für die Frage von Aktenanforderungen wichtig.
Darüber hinaus stoßen sich die Einbringer des "Bestreitungsantrags" - Andreas Hanger für die ÖVP, Kai Jan Krainer für die SPÖ und Nikolaus Scherak für die NEOS - an unbestimmten Begriffen und einem ihrer Ansicht nach überschießenden Untersuchungsgegenstand. Die verfassungsgesetzlichen Vorgaben würden eine Überprüfung der Rechtsprechung durch einen U-Ausschuss ausschließen, geben sie zu bedenken. Gleiches gelte für die Untersuchung "rein privater Sachverhalte". Beides sehe das Verlangen der FPÖ aber vor. So wolle sie beispielsweise den Einfluss "von mit der ÖVP verbundener natürlicher Personen" auf unabhängige Medien untersuchen. Schließlich hinterfragen ÖVP, SPÖ und NEOS auch den gewählten Untersuchungszeitraum.
Warum sie das Verlangen der FPÖ zur Gänze und nicht nur teilweise für unzulässig erklären, begründen die Koalitionsparteien mit der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs. Würde man beispielsweise den Corona-Block oder den Fall Pilnacek aus dem Verlangen streichen, wäre das eine Änderung des Untersuchungsgegenstandes auf Basis einer politischen Wertung, was der Mehrheit des Geschäftsordnungsausschusses aber nicht zustehe, heben sie hervor. Die Feststellung einer gänzlichen Unzulässigkeit sei in diesem Sinn "alternativlos".
NEOS sehen Sachverhalt weniger eindeutig als ÖVP und SPÖ
Natürlich könne man den Fall Pilnacek untersuchen, und natürlich könne man auch Corona-Maßnahmen untersuchen, sagte SPÖ-Abgeordneter Krainer im Ausschuss. Einen Zusammenhang zwischen beiden Materien könne er aber nicht erkennen. Und er glaube auch nicht, dass der Verfassungsgerichtshof einen solchen sehen werde. Auch für ÖVP-Abgeordneten Hanger ist die Sachlage eindeutig.
Nicht ganz so überzeugt wie Hanger und Krainer zeigte sich NEOS-Abgeordneter Scherak. Für ihn sei "nicht zu hundert Prozent klar", wie die Einschätzung des Verfassungsgerichtshofs ausfallen werde, sagte er. Er könne sich "schon vorstellen", dass das Höchstgericht die von der FPÖ proklamierte Klammer "für in Ordnung hält". Scherak erachtet die Klärung durch den Verfassungsgerichtshof aber in jedem Fall für sinnvoll: Damit würden die Abgeordneten auch Leitlinien für künftige U-Ausschuss-Verlangen bekommen.
Grüne: Recht auf Kontrolle zählt mehr als "einige Formalfehler"
Seitens der Grünen begründete Nina Tomaselli die Ablehnung des Bestreitungsantrags durch ihre Partei damit, dass ÖVP, SPÖ und NEOS nicht überzeugend genug dargelegt hätten, dass der von der FPÖ vorgeschlagene Untersuchungsgegenstand rechtswidrig sei. Auch ihre Partei habe im Verlangen der Freiheitlichen "einige Formalfehler" gefunden, sagte sie, diese würden im Bestreitungsantrag aber gar nicht angeführt. Im Sinne einer Abwägung zähle für die Grünen das Recht auf Kontrolle mehr als einzelne Fehler.
Keine Abstimmung über Verfahrensrichterin
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist grundsätzlich ein parlamentarisches Minderheitsrecht. Ein Viertel der Abgeordneten - und damit die Klubstärke der FPÖ - reicht aus, um einen U-Ausschuss in die Wege zu leiten. Allerdings sind gewisse verfassungsrechtliche Vorgaben einzuhalten.
Aufgrund der Bestreitung der Zulässigkeit des Verlangens kam der von der FPÖ vorgelegte Beweisbeschluss im GO-Ausschuss nicht zur Abstimmung. Auch über die Zusammensetzung des Untersuchungsausschusses - die FPÖ schlug 13 Mitglieder (je 4 FPÖ und ÖVP, 3 SPÖ, je 1 NEOS und Grüne) vor - sowie über Verfahrensrichter:in und Verfahrensanwält:in - musste der Geschäftsordnungsausschuss keine Entscheidung fällen. Grundsätzlich hätte zwischen den Klubs Einigkeit darüber bestanden, Christa Edwards zur Verfahrensrichterin - mit Wolfgang Köller als ihren Stellvertreter - und Rechtsanwalt Andreas Joklik zum Verfahrensanwalt - mit Michael Kasper als seinen Stellvertreter - zu wählen.
Folgt der Verfassungsgerichtshof den Bedenken von ÖVP, SPÖ und NEOS nicht und qualifiziert das Veto des Geschäftsordnungsausschusses gegen das FPÖ-Verlangen als rechtswidrig, muss dieser laut Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse "unverzüglich" zusammentreten, um die voerst nicht erfolgten Beschlüsse zu fassen. Zu diesem Zweck ist er auch in der tagungsfreien Zeit einzuberufen. Anderenfalls - also wenn der VfGH die Entscheidung des Geschäftsordnungsausschuss bestätigt - hat die FPÖ ein verfassungskonformes Verlangen neu einzubringen.
Auch BVT-Untersuchungsausschuss scheiterte im ersten Anlauf
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass der Geschäftsordnungsausschuss ein Minderheitsverlangen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses für unzulässig erklärt. So wurde bereits 2018 - damals unter Schwarz-Blau - ein von der SPÖ angestrebter "BVT-Untersuchungsausschuss" mit der Begründung blockiert, dass der Untersuchungsgegenstand zu allgemein gehalten sei und damit nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspreche (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 318/2018). Die SPÖ hat ihr Verlangen daraufhin zurückgezogen und gemeinsam mit den NEOS eine neue - dann unbeanstandete - Initiative eingebracht. 2020 wollten dann ÖVP und Grüne Teile aus dem von SPÖ und NEOS gemeinsam initiierten Ibiza-Untersuchungsausschuss streichen, weil das Verlangen ihrer Meinung nach in weiten Teilen zu unbestimmt formuliert war und gegen das Verbot der Sammlung nicht zusammenhängender Themenbereiche verstieß (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 52/2020). Das scheiterte letztendlich aber am Verfassungsgerichtshof. (Schluss) gs
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