• 10.07.2025, 00:49:04
  • /
  • OTS0002

Nationalrat: Sektenbericht sorgt für lebhafte Debatte im Nationalrat

Einigkeit der Parteien beim Ausbau der Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche

Wien (PK) - 

Knapp vor Ende des ersten langen Nationalratssitzungstages in dieser Woche befassten sich die Abgeordneten noch mit Vorlagen aus dem Ausschuss für Familie und Jugend. Während die Debatte über den Sektenbericht, an dem die Freiheitlichen erneut Kritik übten, kontrovers verlief, sprachen sich alle Fraktionen für eine Verstärkung und Weiterentwicklung der Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz von Kindern und Jugendlichen aus. Diese von ÖVP, SPÖ und NEOS vorgeschlagene Initiative knüpfte an einen Entschließungsantrag der Grünen an, der im Ausschuss jedoch keine Mehrheit fand.

Im einstimmig angenommenen Antrag der Koalitionsparteien werden etwa mehr Planstellen und verbesserte Rahmenbedingungen für das psychosoziale Unterstützungspersonal an Schulen, die langfristige finanzielle Absicherung von niederschwelligem Support (telefonische und Chatangebote) sowie mehr Angebote der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit gefordert. Außerdem soll ein runder Tisch einberufen und ein gemeinsamer Prozess aller Stakeholder gestartet werden, um die Standards in der der Kinder- und Jugendhilfe zu harmonisieren und weiterzuentwickeln. Gestärkt werden müsse laut der Initiative auch die ressortübergreifende Gewaltprävention, wobei besonderes Augenmerk auf die Evaluierung und die Weiterentwicklung bestehender Angebote der psychosozialen Beratung in belastenden Lebenssituationen gelegt werden soll.

Der Sektenbericht wurde mehrheitlich zur Kenntnis genommen. Der Entschließungsantrag der Grünen betreffend verpflichtende Kinderschutzkonzepte für private Anbieter von Sommercamps blieb in der Minderheit.

FPÖ sprechen von "politischer Agitation" und "ideologischem Machwerk"

Der Tätigkeitsbericht sei wieder einmal ein Beispiel dafür, wie unter dem Deckmantel des Schutzes vor Extremismus ideologische Ausgrenzung betrieben werde, lautete ein von Ricarda Berger (FPÖ) vorgebrachter Kritikpunkt. Es handle sich um keine objektive Analyse, sondern um "politische Agitation" auf Kosten der Steuerzahler:innen.

Traditionelle Werte, konservative Lebensmodelle und kritische Meinungen sollten damit pauschal delegitimiert werden. Als Beispiel führte sie die Bewertung von Homeschooling durch die Autor:innen an, das als "potentiell extremistisch" dargestellt werde. Geschwiegen würde hingegen beim "politischen Islam", der im Bericht nicht einmal erwähnt werde. Ähnliche Argumente führte Lisa Schuch-Gubik (FPÖ) ins Treffen, die ebenso von einem "ideologischen Machwerk" sprach. Das Ziel dieser "Denunziantenbroschüre" sei nicht Aufklärung zu schaffen, sondern "Diffamierung zu leben", zumal kritisches Denken mit Extremismus gleichgesetzt werde. Nach Einschätzung von Schuch-Gubik mangle es dem Bericht auch an genauen Quellenangaben.

Vor allem seit Corona würden im Bericht Menschen, die anders dachten oder regierungskritisch sind, "einfach in den Bereich der Sekten gerückt", beklagte Rosa Ecker (FPÖ). Außerdem würden einfach alle Menschen, die auf der Plattform Telegram aktiv sind, diffamiert. Kritisch beurteilte sie zudem, dass nur 30 % der Personen, die sich an die Sektenstelle gewandt hätten, selbst betroffen seien. Maximilian Weinzierl (FPÖ) wiederum ortete einen "ideologischen Katalog linker Feindbilder". Die wirklichen Bedrohungen, die von islamistischen Netzwerken, migrantischen Parallelkulturen bis hin zu linksextremen Gruppen reichten, würden hingegen nicht näher untersucht. Harald Schuh (FPÖ) gab zu bedenken, dass das herrschende Machtgefüge entscheidend dafür sei, was als Sekte eingestuft werde. Derzeit gelte wohl jeder, der die Freiheit schätze und die dominante Meinung hinterfrage, als gesichert rechtsextrem.

SPÖ wirft den Freiheitlichen Verstrickung mit der Corona-Leugner-Szene vor

Elisabeth Feichtinger (SPÖ) zeigte sich erschüttert von den Fällen, die im Bericht exemplarisch dargestellt werden. Statt sich über gefährliche Entwicklungen in der Gesellschaft zu sorgen, attackiere die FPÖ die Bundesstelle für Sektenfragen, die die Probleme lediglich aufzeige, übte auch Bernhard Herzog (SPÖ) Kritik an der Vorgangsweise der Freiheitlichen. Er verwies auf Beispiele wie das eines Kindes, das in ständiger Angst lebe und sich innerlich auf den Tod vorbereite, weil es täglich von den Eltern Weltuntergangsszenarien hören müsse. Oder Jugendliche, die in Kontakt mit satanistischen Gruppen kämen und zu Selbstverletzungen oder gar Suizidversuchen angeleitet würden. Im Bericht näher beleuchtet werden auch von der Corona-Protestszene benutzte Telegram-Kanäle mit hunderttausenden Followern, bei denen unter anderem antisemitische Verschwörungserzählungen verbreitet werden. All dies werde nicht von Parteisekretär:innen behauptet, sondern von ausgewiesenen Expert:innen, die alles faktisch und transparent belegen könnten, unterstrich Herzog. Die FPÖ rege sich deshalb so auf, weil sie sich mit der "Corona-Leugner-Szene verstrickt habe".

ÖVP: Die Bundesstelle ist ein unverzichtbares Instrument

Für Johann Weber (ÖVP) zeige der Bericht ganz klar auf, dass die ideologischen Verirrungen, die fragwürdigen religiösen Gruppen oder Heilsversprechen zunehmen würden. Es sei daher wichtig, diese Entwicklungen mit "wachem Auge" zu beobachten und dazu eine klare Haltung einzunehmen. Die Bundesstelle für Sektenfragen stehe für eine sachliche, lösungsorientierte Beratung und sei daher ein unverzichtbares Instrument, was allein durch den neuerlichen Anstieg der Fälle um 20 % belegt werde. Sein Dank gelte den Mitarbeiter:innen, die eine äußerst professionelle Arbeit und einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung sowie zur Prävention leisten würden. Norbert Sieber (ÖVP) machte gegenüber den Freiheitlichen geltend, dass nicht traditionelle Familienbilder in Frage gestellt würden, sondern nur problematische Tendenzen und Social-Media-Auftritte wie z.B. der von Andrew Tate, der u.a. Frauen mit Hunden vergleiche, angeprangert würden.

NEOS: Besorgniserregende Entwicklung im Bereich der Anti-Gender-Maßnahmen

Angesichts der Behandlung des Sektenberichts hielt es Henrike Brandstötter (NEOS) für angebracht, "einmal Klartext" zu sprechen. Denn unter dem Deckmantel von Religion, Werten und Familienidylle werde in Österreich oft Frauenverachtung gepredigt. Dies geschehe nicht in dunklen Kellern, sondern ganz offen auf Coaching-Bühnen, in Seminarräumen oder bei evangelikalen Sommercamps. Bedauerlicherweise sei derzeit in ganz Europa ein groß angelegtes "Anti-Gender-Movement" feststellbar, hinter der "eine neue Allianz aus religiösen Extremisten, rechtsextremen Populisten und oligarchischen Geldgebern" stehe. Und bei diesen Tendenzen sei die FPÖ ganz vorne dabei, urteilte Brandstötter, die vor einer falschen Toleranz gegenüber Intoleranz warnte.

Gertraud Auinger-Oberzaucher (NEOS) befasste sich vor allem mit den Veränderungen im Tätigkeitsbereich der Bundesstelle, sprach die diversen Kindeswohlgefährdungen an und wies auf die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit speziell bei gesundheitlichen Fragestellungen hin. Positiv bewertete sie, dass der Extremismusprävention ein ausführliches Kapitel gewidmet wurde.

Grüne fordern einheitliche Qualitätsstandards bei Anbietern von privaten Sommercamps

Es sei interessant zu beobachten, dass sich die FPÖ durch einen Sektenbericht persönlich angegriffen fühle, konstatierte Barbara Neßler (Grüne). Was die Inhalte angehe, so sei es beunruhigend, dass im Zuge der Selbstoptimierungstendenzen auf Social Media immer mehr fragwürdige Online-Coaches ihr Geld damit machen würden. Es gehe dabei nicht nur um harmlose Motivationstipps, sondern um das Geschäft mit der Angst. Mit Schlagworten wie "Männlichkeit zurückerobern" würden vor allem junge Männer in Echokammern gelockt, um dort bei Typen wie dem österreichischen Influencer Markus Streinz zu landen. Dieser rechtfertige etwa das "Würgen von Frauen bis zur Bewusstlosigkeit" als "persönliche Entwicklung". Weiters sprach sie Probleme mit Feriencamps von privaten Anbietern an, wo es dringend einheitliche Qualitätsstandards und verpflichtende Kinderschutzkonzepte brauche.

Plakolm: Bundesstelle ist kompetente Anlaufstelle und Warnsystem

Die Freiheit, den eigenen Glauben zu leben und persönliche Überzeugungen zu vertreten, sei eines der zentralen Grundrechte der Demokratie, bekräftigte Bundesministerin Claudia Plakolm. Gleichzeitig sei es aber auch die Aufgabe des Staates, dort wachsam zu sein, wo Menschen in ihrer eigenen Selbstbestimmung eingeschränkt, psychisch unter Druck gesetzt oder finanziell ausgebeutet würden. In genau diesen Bereichen leiste die Bundesstelle für Sektenfragen seit vielen Jahren eine sehr wertvolle Arbeit, die gekennzeichnet sei durch Fachwissen, wissenschaftliche Forschung und Sensibilität. Zwischen dem Recht auf Religionsausübung und möglichen Gefährdungen durch sektenähnliche Gruppierungen werde klar abgegrenzt. Gegenüber den Freiheitlichen stellte Plakolm klar, dass der Bericht auf einer wissenschaftlichen Basis erstellt worden und keinesfalls politisch geprägt sei.

Die Bundesstelle sei nicht nur eine kompetente Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige und Behörden, sondern ein ganz wichtiger "Baustein" im Kampf gegen Manipulation und Radikalisierung sowie ein Warnsystem für neue gesellschaftliche Entwicklungen.

Angesichts der zahlreichen Herausforderungen und wachsender Desinformation sowie Radikalisierung im Netz, die vor allem Kinder und Jugendliche bedrohe, sei deren Arbeit besonders wertvoll.

Mehr Schutz und psychosoziale Unterstützung von Kindern und Jugendlichen

Nach dem furchtbaren Amoklauf an der Schule in Graz dürfe man nicht zur Tagesordnung übergehen, betonte Barbara Neßler von den Grünen in einem Antrag ihrer Fraktion, der im letzten Familienausschuss auf der Tagesordnung stand. Erforderlich sei jetzt eine tiefgehende Analyse der möglichen Ursachen und der bestehenden Strukturen. Prävention müsse ihrer Meinung nach dabei im Mittelpunkt stehen: in den Schulen, in der psychosozialen Versorgung sowie im Umgang mit Waffen in unserer Gesellschaft.

Neben dem Ausbau der psychosozialen Versorgung brauche es nach Einschätzung von Neßler verstärkt Unterstützungsangebote auch im außerschulischen Bereich. Auch wenn der von den Koalitionsparteien dazu im Ausschuss eingebrachte Antrag recht vage ausfalle, sei er wichtig, hielt die Grüne fest. Erneut setzte sie sich dafür ein, dass auch Väter von adoptierten Kindern, die älter als 121 Tage sind, einen "Papamonat" in Anspruch nehmen können. Der diesbezügliche Antrag der Grünen fand bei der Abstimmung aber keine Mehrheit.

FPÖ: Antrag ist gut gemeint, kommt aber viel zu spät

Der Antrag der Regierungsfraktionen komme viel zu spät, aber ihre Fraktion werde dennoch zustimmen, zumal er eine gewisse Verbesserung bringe, erklärte Ricarda Berger (FPÖ). Sie wies aber darauf hin, dass die Freiheitlichen seit Jahren für eine bessere Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die besonders unter den Auswirkungen der massiven Corona-Maßnahmen leiden würden, eingetreten seien. Ein großes Problem ortete Berger auch in der "importierten Gewalt" an Schulen, die Folgen einer gescheiterten Integrationspolitik seien. Man müsse sich auch fragen, was der Schulpsychologe tun könne, wenn der Gesundheitsminister oder der Innenminister versage, gab Manuel Litzke (FPÖ) grundlegend zu bedenken. Eine Steigerung von 55 % bei den Suiziden von Jugendlichen dürfe nicht einfach zur Kenntnis genommen werden.

ÖVP: Umfassendes Maßnahmenpaket soll geschnürt werden

Die tragischen Ereignisse in Graz hätte allen auf ganz brutale Weise gezeigt, wie rasch das Unfassbare Realität werden könne, zeigte Johanna Jachs (ÖVP) auf. Beim geplanten Ausbau der Unterstützungsangebote könnten auch erfolgreiche Projekte wie "Gesund aus der Krise" aufgebaut werden, zeigte sich Jachs überzeugt.. Auf jeden Fall müsse es gelingen, den jungen Menschen zu vermitteln, dass sie nicht alleine mit ihren Problemen dastünden. Die langfristige finanzielle Absicherung der niederschwelligen Hilfsangebote sowie die Prävention an den Schulen seien daher von entscheidender Bedeutung. Auch Lukas Brandweiner (ÖVP) leitete aus der Zunahme von psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen einen klaren Auftrag für die Politik ab. Deshalb umfasse der Antrag die Aufstockung der Planstellen in den Bereichen Schulsozialarbeit und Schulpsychologie, den Ausbau der digitalen und telefonischen Beratungsangebote sowie die Stärkung der außerschulischen Kinder- und Jugendsozialarbeit.

SPÖ: Prävention und Hilfsangebote müssen für alle zugänglich sein

Erfreulich sei, dass das Tabuthema psychische Gesundheit nun in den Mittelpunkt der politischen Debatte gestellt werde, betonte Paul Stich (SPÖ). Parallel dazu müssten aber auch die Hürden abgebaut werden, um die Hilfsangebote in Anspruch nehmen zu können. Die beste Prävention bestehe seiner Meinung nach in einer Politik, die ökonomisch absichere und somit garantiere, dass sich Kinder und Jugendlichen keine Sorgen um ihr Leben machen müssten. Silvia Kumpan-Takacs (SPÖ) betonte die Bedeutung des Ausbaus der Planstellen für die Schulpsychologie sowie des niederschwelligen Supports. Ein wichtiges Anliegen war ihr auch, die sozialen Plattformen in die Pflicht zu nehmen. SPÖ-Abgeordneter Christian Oxonitsch äußerte sich positiv zum Anliegen der Grünen betreffend die Weiterentwicklung des "Papamonats".

NEOS: Prävention ist "günstiger" als jede Reparatur

Die Herausforderungen, mit denen heutzutage junge Menschen konfrontiert seien, seien komplexer als früher, urteilte Gertraud Auinger-Oberzaucher (NEOS). Die psychische Gesundheit von Kindern sei keine Privatsache, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe. Es dürfe nicht zur Normalität werden, dass sich mittlerweile fast ein Drittel der Kinder psychisch belastet fühle. Man müsse sich daher ein Vorbild an Ländern wie Finnland und Schweden nehmen, wo psychische Gesundheit längst Teil der Bildung und Sozialpolitik sei und "früh gestärkt und nicht spät repariert" werde. Daher hätten sich die NEOS schon seit langem für den Ausbau der Schulangebote im Bereich der psychischen Gesundheit wie zum Beispiel den "Mental Health Days" eingesetzt, erinnerte Fiona Fiedler (NEOS). Zentral seien dabei vor allem der niederschwellige Zugang sowie die Normalisierung des Themas im Alltag. (Fortsetzung Nationalrat) sue

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


Rückfragen & Kontakt

Pressedienst der Parlamentsdirektion
Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272
pressedienst@parlament.gv.at
www.parlament.gv.at/Parlamentskorrespondenz

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NPA

Bei Facebook teilen
Bei X teilen
Bei LinkedIn teilen
Bei Xing teilen
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel