Bundesstelle ist laut Plakolm kompetente Anlaufstelle und Frühwarnsystem
Waren es früher noch zehn "Sekten", die man beobachtet habe, seien es nun rund 250 Gemeinschaften und Personen, zu denen Anfragen kommen würden, erklärte heute die Leiterin der Bundesstelle Ulrike Schiesser im Familienausschuss. Durch die stärkere Präsenz im digitalen Raum würde die Szene immer unüberschaubarer und somit auch die damit verbundenen Gefahren für Kinder und Jugendliche immer größer. Auf Basis des Jahresberichts 2024 illustrierte sie anschaulich aktuelle problematische Entwicklungen und plädierte unter anderem für eine verbindliche Qualitätssicherung bei privaten Sommerbetreuungsangeboten.
Während es von ÖVP, SPÖ, NEOS und Grünen Parteien viel Lob für die Arbeit der Bundesstelle gab, nahmen die Freiheitlichen eine kritische Position ein. Der Sektenbericht sei ideologisch gefärbt und diene der politischen Diffamierung Andersdenkender, lautete die - unter anderem von Abgeordneter Lisa Schuch-Gubik (FPÖ) vorgebrachte - zentrale Kritik.
Der Bericht wurde mehrheitlich zur Kenntnis genommen und wird auch auf der Tagesordnung einer der nächsten Nationalratssitzungen stehen (III-183 d.B.).
Plakolm hebt kontinuierliche Steigerung des Budgets der Bundesstelle hervor
Die Arbeit der Bundesstelle sei getragen von großer Expertise und Sensibilität, wobei es eine klare Abgrenzung zwischen dem Recht auf Religionsausübung und mögliche Gefährdungen durch sektenähnliche Gruppierungen gebe, erklärte Bundesministerin Claudia Plakolm. Sie sei nicht nur eine kompetente Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige und Behörden, sondern diene auch als Warnsystem für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Angesichts einer zunehmenden Radikalisierung im digitalen Raum, Verschwörungserzählungen und problematischen Weltanschauungen sei eine differenzierte Betrachtung und fundierte Analyse umso wichtiger, insbesondere wenn es um Kinder und Jugendliche gehe.
Die gestiegenen Beratungsfälle würden zeigen, dass es weiterhin einen großen Bedarf nach Unterstützung gebe, so Plakolm, weshalb die Bundesstelle in den nächsten beiden Jahren auch mit einem Budget von rund 700.000 Ꞓ ausgestattet sein werde. Damit könne ein Ausbau der Beratung, eine Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit sowie eine umfassende Dokumentation, Statistik und Auswertung finanziert werden. Noch offen sei derzeit, ob im nächsten Jahr das Online-Monitoring-Projekt fortgeführt werden könne.
Fragen zu den verschiedensten Aspekten und Kritik von der FPÖ
Die Tatsache, dass die Bundesstelle mit einem breiten Themenfeld zu tun hat, spiegelte sich auch in den Fragen der Abgeordneten wider. So wollte SPÖ-Mandatar Bernhard Herzog wissen, welche Schnittmengen es zwischen den Corona-Maßnahmen-Gegner:innen und anderen Szenen (z.B. rechtsextreme Kreise) gebe. Silvia Kumpan-Takacs (SPÖ) zeigte sich besorgt über die Zunahme an frauenfeindlichen Online-Angeboten und sprach den Einsatz von KI bei der Erstellung von sogenannten Deep Fakes an. Für Paul Stich (SPÖ) war es vor allem von Interesse, ob es spezielle esoterische Angebote gebe, die auf Kinder und Jugendliche zugeschnitten seien.
Barbara Neßler von den Grünen erkundigte sich danach, ob das Online-Monitoring-Projekt zu Verschwörungstheorien, das nun ausgelaufen sei, weiterfinanziert werde. ÖVP-Vertreter Johann Weber sprach vor allem die budgetäre Situation der Bundesstelle an und fragte, welche neuen Entwicklungen und Trends beobachtbar seien.
Gertraud Auinger-Oberzaucher (NEOS) befasste sich vor allem mit den Veränderungen im Tätigkeitsbereich der Bundesstelle, sprach die diversen Kindeswohlgefährdungen an und wies auf die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit speziell bei gesundheitlichen Fragestellungen hin. Positiv bewertete sie es, dass der Extremismusprävention ein ausführliches Kapitel gewidmet wurde.
Lisa Schuch-Gubik (FPÖ) konnte dem Bericht wenig Positives abgewinnen und bezeichnete die Inhalte als demokratiepolitisch bedenklich. Als Beispiel führte sie an, dass Gruppierungen wie Sekten und Corona-Maßnahmen-Kritiker:innen vermischt würden. Auch würde Homeschooling mit dem Argument diskreditiert, dass in dessen Rahmen Queer-Feindlichkeit oder Rassismus gelehrt werden könnte. Nach Einschätzung von Schuch-Gubik mangle es dem Bericht auch an genauen Quellenangaben. Rosa Ecker (FPÖ) war der Meinung, dass sich vieles im Bericht finde, was dort nichts zu suchen habe. Besonders negativ sei ihr aufgefallen, dass bei der Beschreibung des Risikofaktors Frauenfeindlichkeit "die Befürwortung traditioneller Geschlechterbilder" als Beispiel herangezogen werde. Für
Maximilian Weinzierl (FPÖ) war es nicht nachvollziehbar, warum linksextreme Bewegungen im Bericht nicht erwähnt werden.
Schiesser: Die meisten Anfragen zu Esoterik und Gemeinschaften mit christlichem Hintergrund
Auf die Frage, ob es heutzutage überhaupt noch Sekten gebe, habe sie einmal "Ja, aber wie!" geantwortet, stellte Ulrike Schiesser einleitend fest. Die Gründe dafür würden weniger in Netflix-Serien liegen, sondern in dem "idealen Nährboden", den des derzeit dafür gebe. Viele Menschen würden angesichts von Zukunftsängsten, multiplen Krisen und dem Druck, sich selbst optimieren zu müssen, Orientierung, Sicherheit und Gemeinschaft suchen.
An die Bundesstelle würden sich in der Regel die Menschen dann wenden, wenn sie in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld bei Familienangehörigen oder Kolleg:innen eine "sektenartige" Dynamik beobachten, eine Gemeinschaft auffallend missionarisch für sich werbe bzw. deren Mitglieder sich innerhalb kurzer Zeit stark "verändern". Im Jahr 2024 habe dies zu 483 Beratungsfällen - ein Plus von 20 % - bzw. 1.957 Kontakten (+ 36 %). Am häufigsten seien Anfragen zu Esoterik (143) gekommen, berichtete Schiesser. Beispielhaft dafür seien die Aktivitäten von Oliver Michael Brecht (Geistheiler Sananda), der über diverse Kanäle düstere esoterische Botschaften verbreite und mit seinen Fernheilungsangeboten eine wachsende Anhängerschaft gewinne (z.B. 55.000 Follower auf YouTube).
Gleich danach würden die Fälle im Zusammenhang mit Gemeinschaften mit christlichem Hintergrund (142) rangieren, ein Trend, der in ganz Europa und auch international feststellbar sei. Es gebe verstärkte Missionierungsbestrebungen durch Gruppen wie Shincheonji, eine südkoreanische Organisation, die eine starke Präsenz im deutschsprachigen Raum aufweise. Die Rekrutierung erfolge häufig unter dem Vorwand kostenloser Bibelkurse und zeige eine Tendenz zur Verschleierung der tatsächlichen Gruppenzugehörigkeit.
Neuer Arbeitsschwerpunkt: Geschäftsmodell Verschwörungstheorien
Ulrike Schiesser informierte die Ausschussmitglieder auch über das Online-Monitoring-Projekt zu Verschwörungstheorien, bei dem vor allem die Telegram-Kanäle der österreichischen COVID-19-Protestbewegung näher untersucht worden seien. Nach der Publikation eines ersten Berichts soll in zwei Wochen ein weiterer folgen, der das "Geschäftsmodell Verschwörungstheorien" näher beleuchten wird. Bei den ursprünglich sehr stark politisch ausgerichteten Plattformen sei ein Wandel hin zum Verkauf von Produkten oder auch Spendenaufrufen erkennbar geworden. Dieses Projekt wurde aus einem Sondertopf finanziert, der nun auslaufe, berichtete Schiesser.
Die Untersuchung habe im Konkreten gezeigt, dass es sich um ein heterogenes, aber stark vernetztes System handle. Neben der im Zuge der Pandemie entstandenen Szene der Corona-Maßnahmen-Gegner:innen im engeren Sinn umfasse das Netzwerk auch Kanäle, die dem esoterischen Bereich, den sogenannten alternativen Medien, politischen Anbietern, aber auch rechtsextremen Gruppierungen zuordenbar seien. Beobachtbar sei zudem ein generelles Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen, wodurch eine Gefahr für die Demokratie bestehe.
Problematische Online-Coaching-Formate vermitteln toxische Männlichkeit
Stark im Steigen seien auch problematische Coaching-Angebote, die mit dem Versprechen, schnell reich oder glücklich zu werden, teils extreme Preise (bis zu 400.000 Ꞓ) verlangen würden, führte Schiesser aus. Als exemplarische Figuren wurden daher auch Andrew Tate, der sich durch gewaltverherrlichende und antifeministische Aussagen hervortue, sowie Markus Streinz, der durch eine extrem aggressive Rhetorik auffalle, im Bericht ausführlicher dargestellt. Bei Streinz hätten Betroffene sogar von Vergewaltigungen und Gewaltexzessen, die als "reinigende Rituale" gerechtfertigt werden, berichtet.
Schiesser zeigte sich überzeugt davon, dass auch die Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssten, da strafrechtlich problematische Inhalte oft nicht gelöscht würden. Aus diesem Grund kooperiere man auch mit der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR). Überdies setze sich die Bundesstelle auch im Rahmen einer Arbeitsgruppe des "Bundesweiten Netzwerks Extremismusprävention und Deradikalisierung" (BNED) mit Frauen- und Queerfeindlichkeit als ideologieübergreifendem Element extremistischer Gruppierungen intensiv auseinander.
Die Gefährdungen von Kinder und Jugendlichen
Erstmals wurden im Bericht einzelnen Gefährdungskategorien ausgewiesen, die von "Leben und Gesundheit", "Soziales Netz", "Finanzen und Eigentum" bis hin zu "Familienintegrität" reichen, erläuterte Schiesser. Dass das Spannungsfeld "Glaubensfreiheit versus Kindeswohl" auf großes Interesse stoße, habe auch die Abhaltung der Online-Tagung zu diesem Thema gezeigt, an der fast 400 Personen aus verschiedensten Berufsfeldern teilgenommen haben.
Ein sehr neues Phänomen sei das Online-Netzwerk "764", über das derzeit in den deutschen Medien intensiv berichtet werde. Dabei würden Kinder und Jugendliche vor allem auf Spieleplattformen kontaktiert und in der Folge unter anderem zu verletzenden Verhaltensweisen gezwungen. Auffällig sei zudem, dass auch die Täter meist unter 20 Jahre alt sind. Man habe in dieser Angelegenheit auch schon die Bildungsdirektionen und andere wichtige Stakeholder informiert.
Weiterhin aktiv sei auch die Scientology-Vorfeldorganisation "Sag Nein zu Drogen", die immer wieder Zugang zu Schulen und zu Pädagog:innen suche und auch wieder am Donauinselfest vertreten gewesen sei. Deren Aktivitäten zur Suchtprävention werden als wissenschaftlich unfundiert bzw. sogar potenziell schädlich eingestuft.
Der Abgeordneten Rosa Ecker (FPÖ) gegenüber stellte Schiesser klar, dass es nicht um Kritik an traditionellen Familienbildern gehe, sondern dass es entscheidend sei, ob es für die Betroffenen eine Wahlmöglichkeit gebe. Kinder, die von den Eltern abgeschottet würden, seien oft sehr angepasst und würden nicht auffallen, gab Schiesser zu bedenken.
Kritik am Homeschooling würde dann geübt, wenn das Wohl der Eltern im Vordergrund stehe und nicht jenes der Kinder. Schule sei nicht nur ein ganz wichtiges Fenster zur Gesellschaft, sondern vermittle vor allem Bildung, führte Schiesser ins Treffen. Unter einem Bildungsmangel würden beispielsweise jene Kinder leiden, die in der Kommune von Otto Mühl aufgewachsen seien. Dabei handle es sich um ein linkes, sozial-utopisches Projekt, das gründlich schief gegangen sei und eigentlich nie richtig aufgearbeitet wurde. Dieser Themenbereich werde sicher im nächsten Jahr sehr viel stärker aufgegriffen werden, teilte Schiesser dem Abgeordneten Maximilian Weinzierl (FPÖ) mit. Auf der "linken Seite" gebe auch maoistische Gruppen, die durchaus sektenartige Kennzeichen aufweisen würden.
Bundesstelle plädiert für verbindliche Qualitätssicherung bei privaten Sommerbetreuungsangeboten
Aufgezeigt wurden im Bericht auch Probleme mit privaten Sommerbetreuungsangeboten, wo sich hinter scheinbar neutralen Freizeitaktivitäten mitunter missionarische Absichten oder ideologisch geprägte Programme finden würden. Es seien auch Beschwerden über mangelhafte oder fragwürdige pädagogische Grundlagen vorgebracht worden. Die Bundesstelle für Sektenfragen spreche sich daher gemeinsam mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien für eine verbindliche Qualitätssicherung und eine regelmäßige Evaluierung solcher Angebote aus, stellte Schiesser in Richtung der Abgeordneten Barbara Neßler (Grüne) fest. (Schluss Familienausschuss) sue
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