• 24.06.2025, 16:47:02
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70 Jahre Staatsvertrag: Parlament im Dialog mit der Jugend

Expert:innen beantworten im Hohen Haus Fragen von Schüler:innen zu Neutralität, Freiheit und Demokratie

Wien (PK) - 

Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren hatten heute im Nationalratsaal die Gelegenheit, bei einem "Q&A"-Erklärformat Expert:innen Fragen zur Unterzeichnung des Staatsvertrags vor 70 Jahren zu stellen. Die rund 190 Schüler:innen aus unterschiedlichen Schultypen und Bundesländern zeigten besonders Interesse an den historischen Umständen, die zur Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 führten. Zentrales Thema war auch die österreichische Neutralität - insbesondere die Frage, ob sie heute noch notwendig und zeitgemäß ist. Moderiert wurde das Format von Bianca Ambros, Nachrichtenmoderatorin bei Puls 4 und Puls 24.

Bereits zum dritten Mal lud die Parlamentsdirektion junge Menschen zur Teilnahme an einem Erklärformat ins Hohe Haus. Vergangenes Jahr fanden ähnliche Veranstaltungen vor der EU-Wahl sowie vor der Nationalratswahl statt.

Souveränität in gewissen Fragen gemeinsam ausüben

In seinen Eröffnungsworten erinnerte Parlamentsdirektor Harald Dossi an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Dieses Datum hätten damals "leider gar nicht so wenige in unserem Land" als Niederlage empfunden, so Dossi. Für die meisten Menschen sei das Ende dieses schrecklichen Krieges auch jener Tag gewesen, an dem Österreich vom Nationalsozialismus befreit wurde, so Dossi. Noch im selben Jahr konnten freie Parlamentswahlen stattfinden. Die volle Souveränität Österreichs wurde aber erst mit dem Staatsvertrag 1955 wiederhergestellt. Auch anlässlich des EU-Beitritts im Jahr 1995 sei Souveränität ein zentrales Thema gewesen, sagte Dossi. Er betonte, dass man diese auch so leben könne, dass man nicht als einzelner Staat glaube, alles selber und alleine entscheiden zu können - sondern bewusst die Entscheidung treffe, gemeinsam mit anderen Staaten seine Souveränität in gewissen Fragen gemeinsam auszuüben.

Staatsvertrag sichert Menschenrechte und Demokratie

Christoph Konrath, Leiter der Abteilung Parlamentswissenschaftiche Grundsatzarbeit in der Parlamentsdirektion, brachte in einem Impulsvortrag den Schüler:innen nahe, dass der österreichische Staatsvertrag viel mit Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Neutralität zu tun habe - auch wenn die Neutralität Österreichs nicht im Staatsvertrag festgeschrieben ist. Der Staatsvertrag sei zudem ein Auftrag gewesen, Menschenrechte und Demokratie in Österreich zu sichern, so Konrath.

Expert:innen erläutern Hintergründe zu Staatsvertrag und Neutralität

Die Fragen der Jugendlichen beantworten Universitätsprofessorin Lucile Dreidemy vom Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien und Universitätsprofessor Martin Senn vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Innsbruck. HAK-Schüler:innen aus Niederösterreich wollten von den Expert:innen wissen, welche Rolle der Kalte Krieg bei der Entstehung des Staatsvertrages gespielt habe. Diesen nannte Professor Senn einen "zentralen Faktor", denn Europa sei nach dem Krieg in zwei Einflussbereiche geteilt gewesen. Die UdSSR habe Interesse daran gehabt, dass Österreich ein neutraler Staat werde und wollte einen "Keil neutraler Staaten" - Schweiz und Österreich - zwischen die NATO-Staaten treiben. So habe die UdSSR laut Senn versucht, die Neutralität als Modell zu etablieren und damit die NATO zu schwächen.

Zu einer Frage nach der damaligen Stimmung in der Bevölkerung hinsichtlich der Verhandlungen über den Staatsvertrag erinnerte Professorin Dreidemy daran, dass es damals kaum Umfragen gab, wie wir sie heute kennen. Daher sei ein "Neutralitätsbewusstsein" von damals schwer greifbar. Klar sei, dass die Besatzung von der Bevölkerung als Druck empfunden wurde und auch, dass eine mehrheitliche Ablehnung der Teilnahme an Aggressionskriegen deutlich gewesen sei. Wichtig zu verstehen sei zudem, dass die Neutralität mit der Bildung einer österreichischen Identität verbunden sei. Diese sei damals ein völlig neues Konstrukt gewesen, betonte Dreidemy.

Ein Gymnasiast aus Wien warf die Frage auf, ob die Neutralität Österreichs heute noch notwendig sei oder ob ein Angriffsverbot ausreichen würden. Professor Senn betonte, dass es darauf keine einfache Antwort gebe und er gerade ein 400-seitiges Buch zu diesem Thema vorbereite. Zentral sei, dass Österreich Mitglied der Vereinten Nationen und damit Mitglied in einem "System kollektiver Sicherheit" sei. Würde dieses System zu 100 Prozent funktionieren, würde es keinen Krieg geben und es wäre auch keine Neutralität notwendig. Das Problem sei aber, dass dieses System eben nicht gänzlich funktioniere - und dies mache Neutralität wieder relevanter. Wesentlich für Österreich sei auch die EU-Mitgliedschaft und damit die Mitgliedschaft in einer Solidaritätsgemeinschaft, führte Senn weiter aus. Es stelle sich die Frage nach dem Spannungsfeld zwischen Neutralität und Solidarität in der Europäischen Union, so Senn. Als zentrales Problem sehe er, dass in den vergangenen rund 25 Jahren zu wenig über das Verständnis, die Anwendung und eine mögliche Weiterentwicklung der österreichischen Neutralität gesprochen worden sei. Er sehe daher die Gefahr, dass diese verknöchere und versteinere.

Ob unsere Demokratie noch eine sei und warum das Gefühl so stark wachse, dass Mitbestimmung fast unmöglich sei, fragten Berufschüler:innen aus Niederösterreich. Professor Senn betonte, dass Demokratie nach außen und innen verteidigt werden müsse. Viele politische Entscheidungen würden auf EU-Ebene oder von den Vereinten Nationen getroffen, da viele Probleme nicht von Einzelstaaten alleine gelöst werden könnten. Dies bedeute jedoch nicht, dass es keine Teilnahmemöglichkeit gebe. Er rief die Jugendlichen dazu auf, die Möglichkeiten zur Mitbestimmung auf allen Ebenen - auch in den Gemeinden - zu nutzen. Besorgniserregend sei laut Professorin Dreidemy, dass viele Menschen in Österreich nicht wahlberechtigt sind - im Vorjahr habe dies 1,5 Millionen Menschen in Österreich betroffen. Die Bevölkerung wachse, der Anteil der Wahlberechtigten wachse jedoch nicht. Damit höhle sich die Demokratie selber aus, warnte Dreidemy. (Schluss) bea

HINWEIS: Fotos und ein Video von dieser Veranstaltung sowie eine Nachschau auf vergangene Veranstaltungen finden Sie im Webportal des Parlaments.

Im Rahmen des Jahresschwerpunkts 80 70 30 beleuchtet das Parlament 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte: Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt.


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