• 30.04.2024, 12:07:23
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Ziviltechniker:innen: Behördlich autorisiert. Staatlich beeidet. Im Nationalsozialismus verfolgt.

Studie beleuchtet die Geschichte der Kammern und ihrer Mitglieder

Buchcover der Studie zur Geschichte der ZT-Kammern
Wien (OTS) - 

Das Forschungsprojekt zur Geschichte der Ziviltechniker:innen und ihrer Kammern beleuchtet insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus und skizziert einerseits die Schicksale jüdischer Mitglieder und andererseits auch die Karrieren der Profiteure des Regimes.

"Die präsentierte Studie beleuchtet erstmals alle Aspekte der Geschichte der österreichischen Ingenieurkammern und Ziviltechniker:innen von 1860 bis 1957.

Der Fokus liegt dabei auf der Zeit des Nationalsozialismus. Sie rückt den Irrtum zurecht, dass die Kammern in der NS-Zeit vollständig aufgelöst worden seien und beleuchtet das Schicksal jener zumindest 150 bekannten Mitglieder, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Judentum von den Kammern ausgeschlossen waren und vom NS-Regime verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden.

Selbst weit nach dem untersuchten Zeitraum gab es in der Geschichte der Kammer einen höchst beschämenden Moment: der Bundeskammer-Präsident Walter Lüftl (1990-1992) legte in einem Gutachten – dem sog. „Lüftl-Report“ – dar, dass die Massentötung durch Giftgas in einzelnen Konzentrationslagern technisch unmöglich gewesen sein soll. Heute wie damals distanziert die Bundeskammer sich aufs Schärfste von diesen Aussagen.

Um einen nachhaltigen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten, haben die Kammern dieses mehrjährige Forschungsprojekt als kostenloses eBook für alle Interessent:innen zur Verfügung gestellt." – Arch. DI Daniel Fügenschuh, Präsident der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen

Damit ist die Publikation auch eine zeitgeschichtliche Dokumentation der Verbrechen und eine – wenngleich späte – Anerkennung des Unrechts, das an diesen Ziviltechnikern begangen wurde.

"Bisher war die Geschichte der österreichischen Ingenieurkammern und Ziviltechniker:innen so gut wie unerforscht. Sich als Institution zu einer wissenschaftlichen Herangehensweise zu bekennen und klar zu positionieren, ist notwendig und lobenswert. Tendenzen des Vergessens und Leugnens muss man entgegentreten und weiße Flecken in der Geschichte aufdecken", so Mag.a Dr.in Ingrid Holzschuh, Autorin und Herausgeberin.

Gründung des Berufsstandes im Zuge der Neuorganisation des Staatsbaudienstes 1860

Die „Institution der Civilingenieure“ geht auf die Neuorganisation des Staatsbaudienstes unter Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1860 zurück. Um die staatliche Verwaltung zu entlasten, wurden behördlich autorisierten Zivilingenieuren, Architekten und Bauingenieuren besondere Befugnisse eingeräumt. Mit der Erlangung der Befugnis als „staatlich autorisierte“ Techniker waren sie den behördlichen Beamten gleichgestellt. 1913 folgte die Gründung von insgesamt zehn Ingenieurkammern auf dem Gebiet der österreichischen Monarchie, von denen ab 1918 auf österreichischem Staatsgebiet noch vier existierten und als Länderkammern bis heute bestehen.

NS-Regime: Geplante Auflösung der Kammern und ‚rassische‘ und politische Verfolgung von Mitgliedern

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 sollten die österreichischen Ingenieurkammern zuerst aufgelöst und deren Mitglieder stattdessen Teil des Nationalsozialistischen Bundes Deutscher Technik (NSBDT) werden. Dies wurde jedoch von den vom NS-Regime eingesetzten kommissarischen Leitern der Kammern abgewendet. Die Kammern in Linz, Graz und Innsbruck wurden 1943 zwar aufgelöst, doch die „Ingenieurkammer in Liquidation in Wien“ fungierte ab dann weiterhin als die Vertretung aller Ziviltechniker in der „Ostmark“, wenn auch ab 1943 keine neuen Befugnisse vergeben wurden. Nach Kriegsende wurden die vier Ingenieurkammern neu errichtet und die Mitglieder unter Anwendung der Entnazifizierungsgesetze mit einem Aufnahmeverfahren wieder aufgenommen. Während der NS-Zeit konnten Ziviltechniker, die „rassisch“ oder politisch nicht der nationalsozialistischen Norm entsprachen, ihren Beruf nicht ausüben. Ihre Befugnisse wurden unter Bezug auf die Berufsbeamtenverordnung (BBV) ab April 1939 entzogen.

"Mindestens 103 der 150 ‚rassisch‘ verfolgten Ziviltechniker wurden vertrieben, zumindest 10 begingen Suizid, ein Ziviltechniker wurde an seinem Zufluchtsort ‚erschlagen‘ und ein weiterer starb an den Folgen der Haft im KZ Dachau. 21 wurden aus Österreich oder Frankreich in Ghettos oder Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet. Dem Andenken dieser ermordeten Ziviltechniker ist ein eigener Abschnitt im Buch gewidmet." – Dr.in Alexandra Wachter, MA, Autorin und Herausgeberin

Späte Öffnung des Berufsfeldes für Frauen  

"Als staatlich befugte und beeidete Ziviltechniker:innen tragen wir in unserer täglichen Arbeit mit hochkomplexen Planungsaufgaben, aber auch als Berufsstand an sich, große Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. In unserem Selbstverständnis umfasst diese Verantwortung auch die Auseinandersetzung mit der eigenen standespolitischen Geschichte.

Dies ist ein enorm wichtiger Schritt, den wir als Bundeskammervorstand unterstützt haben. Sicherlich waren Ziviltechniker ein eingeschworener, chauvinistischer Kreis, von welchem auch die späte Öffnung des Berufsstandes für Frauen zeugt. Gegen dieses verstaubte Geschlechter-Bild kämpfen wir aber heutzutage dafür umso stärker. Ich möchte jede Frau dazu ermuntern, entweder ein technisches Studium zu beginnen oder mit einem solchen Abschluss Mitglied dieser Kammer zu werden, denn wir wünschen uns mehr Frauen unter den Ziviltechniker:innen", appelliert BR h.c. DI Klaus Thürriedl, Vizepräsident der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen.

Den Abschluss des Buches bildet ein Exkurs, der die Pionierinnen und ersten Frauen im Berufsfeld der Ziviltechniker:innen stärker in das Blickfeld rückt. Denn die Geschichte der weiblichen Kammermitglieder begann aufgrund der späten Öffnung des Studiums an technischen Hochschulen erst im Jahr 1932. Ab 1937 konnten auch Personen ohne technisches Fachstudium eine Befugnis erlangen. Damit war für Frauen wie der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky der Zugang in den Berufsstand der Ziviltechniker:innen geöffnet.  

Wer sind Ziviltechniker:innen?

Ziviltechniker:in ist eine spezifisch österreichische Berufsbezeichnung für freiberuflich tätige, staatlich befugte und beeidete Personen, die in den Fachgebieten Architektur und Ingenieurwesen tätig sind. Sie sind Expert:innen in den jeweiligen Fachgebieten einer technischen, naturwissenschaftlichen oder montanistischen Studienrichtung.

Bilder in der APA-Fotoservice-Galerie

Open Access-Version kostenlos verfügbar

Rückfragen & Kontakt

Quentin Erren, MA
Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit
quentin.erren@arching.at
+43 664 9689602
Bundeskammer der Ziviltechniker:innen

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