Der Senat 3 hat zwei Verfahren eingestellt, die wegen der Wiedergabe der letzten SMS des verstorbenen Sektionschefs Christian Pilnacek eingeleitet worden waren.
Der erste überprüfte Beitrag betrifft ein Gedicht mit dem Titel „Elegie auf Christian Pilnacek“, veröffentlicht als „Seuchenkolumne“ von Armin Thurnher auf „falter.at“. Der zweite Beitrag mit der Überschrift „Pilnacek: Todesdrama nach Geisterfahrt“ ist auf „oe24.at“ erschienen.
Der Senat hält zunächst fest, dass der in den Beiträgen aufgegriffene Todesfall grundsätzlich von öffentlichem Interesse ist: Christian Pilnacek wurde am 20. Oktober 2023 bei Krems tot aufgefunden, nachdem er am Vorabend von der Polizei als Geisterfahrer angehalten worden war. Die Berichterstattung über den überraschenden Tod des Spitzenbeamten des Justizministeriums bewertet der Senat als für die Allgemeinheit relevant.
Bei Berichten über hohe Staatsbedienstete ist die Presse- und Meinungsfreiheit prinzipiell großzügig auszulegen, umso mehr, als auch ein Fehlverhalten im Dienst im Raum stand (Punkt 10.1 des Ehrenkodex für die österreichische Presse).
Daraus ergibt sich, dass (ehemalige) Spitzenbeamtinnen und Spitzenbeamte – wie auch Politikerinnen und Politiker – prinzipiell weniger Persönlichkeitsschutz genießen als Privatpersonen. Dies ist damit zu rechtfertigen, dass sie in Ausübung ihres Amtes in besonderem Ausmaß in der Öffentlichkeit stehen bzw. standen. Vor diesem Hintergrund muss es sich der Verstorbene ebenso wie seine Hinterbliebenen gefallen lassen, dass über die Hintergründe seines Todes berichtet wird und auch frühere (strafrechtlich relevante) Vorwürfe gegen ihn thematisiert werden.
Unabhängig davon weist der Senat darauf hin, dass die Berichterstattung über (mögliche) Suizide im Allgemeinen große Zurückhaltung gebietet, insbesondere auch wegen der Gefahr der Nachahmung (siehe Punkt 12 des Ehrenkodex). Die Senate des Presserats haben bereits öfters festgestellt, dass die Veröffentlichung von Zitaten, in denen Betroffene ihre Suizidgedanken äußern, dazu führen kann, dass sich andere gefährdete Personen mit den Suizidopfern identifizieren und derartige Äußerungen den Entschluss zum eigenen Suizid begünstigen können. Dementsprechend drückt der Senat sein Unbehagen darüber aus, dass im Falter-Beitrag indirekt und im Beitrag auf „oe24.at“ direkt aus der mutmaßlich letzten SMS des Verstorbenen zitiert wurde.
Im vorliegenden Fall berücksichtigt der Senat jedoch, dass die Todesursache Pilnaceks zum damaligen Zeitpunkt in der Öffentlichkeit unklar war; auch im späteren Obduktionsbericht konnte nicht restlos geklärt werden, ob er durch einen Unfall oder Suizid gestorben ist. In Anbetracht dessen hält es der Senat gerade noch für gerechtfertigt, die Hintergründe des Todes Pilnaceks genauer zu beleuchten und dabei auch aus der mutmaßlich letzten SMS des Betroffenen zu zitieren.
Beim Beitrag auf „falter.at“ kommt hinzu, dass es sich um ein sarkastisch angelegtes Gedicht handelt. Die Senate des Presserats haben in der Vergangenheit bereits mehrfach festgehalten, dass die Meinungsfreiheit bei Gedichten besonders weit reicht; zusätzlich ist bei derartigen Veröffentlichungen auch die Freiheit der Kunst zu berücksichtigen.
Trotz Einstellung der Verfahren äußerte sich der Senat abschließend noch einmal kritisch.
Bezüglich des Gedichts hält er fest, dass er es nachvollziehen kann, dass die Wortwahl nur einen Tag nach dem Tod des Betroffenen von vielen Leserinnen und Lesern als harsch oder gar pietätlos empfunden wurde. Daher empfiehlt der Senat, in Zukunft sensibler zu sein und stärker auf das Pietätsgefühl und die Trauerarbeit der Hinterbliebenen Rücksicht zu nehmen.
Bezüglich des Artikels auf „oe24.at“ merkt der Senat an, dass das Zitat Pilnaceks nach wie vor prominent in den Artikel eingebettet ist; er empfiehlt eine Anpassung des Artikels im Sinne einer Löschung des Zitats (vgl. Punkt 2.4 des Ehrenkodex).
SELBSTÄNDIGE VERFAHREN AUFGRUND VON MITTEILUNGEN MEHRERER LESERINNEN UND LESER BZW. AUS EIGENRE WAHRNEHMUNG
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall führte der Senat 3 des Presserats aufgrund von Mitteilungen mehrerer Leserinnen und Leser bzw. aus eigener Wahrnehmung Verfahren durch. In diesen Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberinnen von „falter.at“ und von „oe24.at“ haben von der Möglichkeit, an den Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Die Medieninhaberinnen der Wochenzeitung „Falter“ sowie der Tageszeitung „OE24“ haben die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.
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Christa Zöchling, Sprecherin des Senats 3, Tel.: +43 - 1 - 23 699 84 - 11
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