Österreich bleibt Hochkonsumland von Alkohol, neue Nikotinprodukte im Vormarsch und erneut Zunahme tödlicher Überdosierungen illegaler Substanzen
Die heute veröffentlichten Berichte „Epidemiologiebericht Sucht 2023“ und der „Bericht zur Drogensituation 2023“ behandeln den Konsum von Tabak, Alkohol und illegalen Drogen in Österreich. Die Ergebnisse, der im Auftrag des Gesundheitsministeriums und der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht erstellten Berichte, fasst Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht an der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) im Zuge des heutigen Pressegesprächs zusammen: „Allgemein kann die Drogensituation in Österreich als relativ stabil beschrieben werden. Die aktuellen Auswertungen zeigen jedoch, dass sich Entwicklungen und Trends der letzten Jahre verfestigen und uns zunehmend vor neue Herausforderungen stellen.“
So zeigen sich bei den untersuchten Produktgruppen für Busch trotz einiger Kontinuität, auch neue Entwicklungen: „Im Bereich der Tabakprodukte und verwandten Erzeugnisse ist speziell bei Jugendlichen eine zunehmende Verlagerung der Suchtproblematik hin zu neuen Nikotinprodukten zu verzeichnen. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum von Alkohol geht in Österreich bereits seit den 1970er-Jahren zurück, allerdings langsamer als in vielen anderen Ländern, wodurch Österreichs ein Hochkonsumland bleibt. Vor allem junge Männer trinken deutlich weniger Alkohol als vor einigen Jahren. Und im Bereich der illegalen Drogen zeigen sich zwar kaum Veränderungen im Konsumverhalten, allerdings ist eine Zunahme tödlicher Überdosierungen und ebenso eine Zunahme des Anteils junger Verstorbener zu beobachten“, so der Suchtexperte.
Nikotin: Rückgang beim Rauchen wird durch neue Nikotinprodukte bereits überkompensiert
Rauchen ist nach wie vor die am weitest verbreitete Sucht in Österreich. Etwa jede fünfte Person (21 Prozent) gibt an, täglich zu rauchen. Trotz eines Rückgangs des Zigarettenkonsums liegt Österreich noch immer leicht über dem europäischen Durchschnitt. In den letzten Jahren ist insbesondere ein Konsumrückgang bei Jugendlichen zu verzeichnen: Bei den 15-Jährigen hat sich der Anteil der Raucher:innen seit 2003 mehr als halbiert (von 30 Prozent 2003 auf 12 Prozent 2019).
Tabakrauchen (inklusive Passivrauchen) ist in Österreich gemäß aktuellen Schätzungen für 16 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Frauen rauchen nach wie vor etwas seltener und im Durchschnitt weniger Zigaretten pro Tag als Männer, ihr Rauchverhalten hat sich jedoch jenem von Männern über die Jahrzehnte angeglichen. Diese Entwicklung hinsichtlich der Geschlechterverteilung zeigt sich zeitverzögert auch bei der Entwicklung der Todesfälle aufgrund von Bronchialkarzinomen.
Laut der Befragung zum Substanzgebrauch 2022 denkt die Hälfte (51 %) der täglich Rauchenden darüber nach, mit dem Rauchen aufzuhören. Weitere zehn Prozent haben diesbezüglich bereits konkrete Pläne. Zusammenfassend lässt sich festhalten, das derzeit rund eine Million täglich Rauchender zumindest über einen Rauchstopp nachdenken. Dies stellt ein großes Potenzial hinsichtlich Rauchausstieg dar. „Man muss den Betroffenen nichts verbieten, sondern sie nur dabei unterstützen das zu erreichen, was sie wollen“ so Suchtexperte Martin Busch.
Der Konsum neuer Nikotinprodukte nimmt hingegen zu. Neue Nikotinerzeugnisse werden kontrovers diskutiert. Einerseits stellen sie bei Personen, die vorher nicht geraucht haben, einen Einstieg in den Nikotinkonsum dar (Life-Style Produkte), andererseits wird behauptet, dass sie hilfreich beim Rauchausstieg sein könnten, was von der Fachwelt kritisch gesehen wird. Bei den Jugendlichen steigen zwar immer weniger in den täglichen Zigarettenkonsum ein, allerdings steigt der tägliche Konsum vor allem von Nikotinbeuteln, aber auch E-Zigaretten an. So rauchen gemäß einer aktuellen Umfrage zwar nur vier Prozent der 15-Jährigen täglich Zigaretten, allerdings konsumieren drei Prozent täglich Nikotinbeutel. Berücksichtigt man auch noch den täglichen Konsum von E-Zigaretten, ist man bei acht Prozent, die zumindest eines der Produkte Zigaretten/E-Zigaretten/E-Shishas/Nikotinbeutel täglich konsumieren. Einschränkend muss hier allerdings angemerkt werden, dass nicht alle E-Zigaretten/E-Shishas neue Nikotinprodukte sind, da es auch solche ohne Nikotin gibt. Es besteht die Gefahr, dass der Anstieg bei den neuen Nikotinprodukten den Rückgang beim Zigarettenkonsum kompensiert und es künftig dadurch wieder mehr Menschen mit Nikotinabhängigkeit gibt.
Alkohol: Konsum geht langfristig zurück, Österreich bleibt im Ländervergleich aber Hochkonsumland
„Alkohol ist nach wie vor jene psychoaktive Substanz, mit der in Österreich die meisten Menschen Erfahrungen machen“, so Julian Strizek, Gesundheitsexperte im Kompetenzzentrum Sucht an der Gesundheit Österreich GmbH. Der Suchtexperte, insbesondere für den Bereich Alkohol, rechnet vor: „Etwa 15 Prozent der Bevölkerung in Österreich trinken in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß, ein Verhalten, das bei Männern (19 %) knapp doppelt so häufig feststellbar ist, als bei Frauen (11 %).
Außerdem, so Strizek, nimmt der problematische Konsum mit steigendem Alter zu und ist zwischen 40 und 70 Jahren am häufigsten. Auch bei den Jugendlichen zeigt sich insgesamt, im Einklang mit der Entwicklung in vielen anderen EU‐Ländern, ein Rückgang des Alkoholkonsums: „Männliche Jugendliche trinken seltener und weniger als vor 20 Jahren, wobei sich das Trinkverhalten von männlichen und weiblichen Jugendlichen sukzessive annähert. Trotzdem ist Alkohol auch bei Jugendlichen weit verbreitet, etwa 6 von 10 haben in den letzten 30 Tagen getrunken, ca. 3 bis 6 Prozent der Schüler:innen zwischen 14 und 17 Jahren trinken laut ESPAD-Befragung von 2019 sogar in einem riskanten Ausmaß. Aktuelle Daten zum Konsumverhalten werden derzeit im Rahmen einer großangelegten Schülerbefragung erhoben.
Generell lassen sich für Julian Strizek aber sehr wohl positive Entwicklungen bezüglich Alkoholkonsum beobachten: „Der problematische Konsum ist im längerfristigen Trend tendenziell rückläufig und der pro Kopf in Österreich konsumierte Alkohol, alkoholassoziierte Erkrankungen und Todesfälle sind ebenfalls seit Jahren rückläufig.“
Illegale Drogen: Die meisten Indikatoren deuten in Richtung stabile Lage
Die in Österreich am häufigsten konsumierte illegale Substanz ist Cannabis. Konsumerfahrungen beschränken sich aber meist auf einen kurzen Lebensabschnitt. Daten aus dem Drug‐Checking und aus Sicherstellungen weisen darauf hin, dass in Österreich Cannabis zum Teil mit synthetischen Cannabinoiden versetzt wird. Der Konsum synthetischer Cannabinoide ist mit großen Gefahren verbunden.
Der Kokainkonsum in Österreich nimmt in Österreich zu. Während der Preis gesunken ist, ist die Reinheit gestiegen. Im Behandlungsbereich steigt der Anteil von Personen mit Leitdroge Kokain auf niedrigem Niveau ebenfalls leicht an.
Der risikoreiche Drogenkonsum wird in Österreich aber vor allem vom Opioidkonsum (z. B. Heroin) dominiert, zumeist als Mischkonsum in Verbindung mit anderen legalen und illegalen Substanzen. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass der weitaus größte Teil aller drogenspezifischen Behandlungen Menschen mit Opioidproblematik betreffen. Von Opioidabhängigkeit sind vorwiegend Männer (drei Viertel), Personen ab 25 Jahren (ca. 90%) und Menschen in Ballungszentren betroffen. Etwas weniger als die Hälfte der Abhängigen lebt in der Bundeshauptstadt Wien.
Schätzungen gehen davon aus, dass in Österreich 35.000 bis 40.000 Menschen einen risikoreichen Opioidkonsum aufweisen. Insgesamt ist derzeit von einer stabilen Situation auszugehen „Die Daten aus dem Drogenmonitoring zeigen bei den unter 25-Jährigen weiterhin eine stagnierende Zahl an Einsteigerinnen und Einsteigern und es fehlen derzeit auch Anzeichen einer signifikanten Verlagerung hin zu anderen Substanzen. Darüber hinaus sehen wir eine kontinuierliche Alterung der Personengruppe mit risikoreichem Opioidkonsum aufgrund der verbesserten therapeutischen Versorgung“, so Suchtexperte Busch.
Über die Hälfte der Personen mit risikoreichem Opioidkonsum befinden sich in drogenspezifischer Behandlung, großteils in Opioidsubstitutionsbehandlung. Für Martin Busch ein Erfolg der österreichischen Suchthilfe: „Es ist in den letzten Jahrzenten gelungen, die Behandlungsrate von opioidabhängigen Personen massiv zu erhöhen. 2022 befanden sich 20.644 Personen (2021: 20.138) in Opioidssubstitutionsbehandlung. Dennoch ist es notwendig die Behandlungsquote noch weiter zu erhöhen, die seit der Mitte der 2010er-Jahre stagniert.“
Tödliche Überdosierungen und der Anteil der jüngeren Verstorbenen steigen weiterhin an
Fast alle verfügbaren Daten aus dem Drogenmonitoring (Opioidsubstitutionsbehandlungen, Daten aus Einrichtungen der Drogenhilfe, gesundheitsbezogene Maßnahmen, Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz, Spitalsentlassungen) weisen auf eine relativ stabile Drogensituation hin. Diese stabile Lage zeigt sich insbesondere beim Anteil der Personen im Alter unter 25 Jahre, der seit Jahren stagniert und der für Martin Busch ein Indikator für die Inzidenz ist, also für jene Menschen, die mit einem risikoreichen Drogenkonsum beginnen.
Eine Datenquelle spiegelt diesen Trend jedoch nicht wider: Im Jahr 2022 waren insgesamt 248 drogenbezogene Todesfälle, also tödliche Überdosierungen zu verzeichnen, damit setzt sich der Anstieg gegenüber dem Vorjahr zwar nicht mehr so stark, aber dennoch weiter fort (2021: 235, 2020: 191, 2019: 196, 2018: 154). Ebenso gestiegen ist auch der Anteil der jüngeren Verstorbenen (< 25-Jährige) an allen Überdosierungen (von 18 % im Jahr 2018 auf aktuell 27 %).
Für Busch erlaubt die derzeitige Datenlage keine exakte Ursacheninterpretation. Als Erklärung würden sich verschiedene Hypothesen bzw. eine Kombination dieser anbieten. Nach wie vor könnte es sich bei dieser Entwicklung um Nachwirkungen der Coronapandemie handeln (Einsamkeit, eingeschränkte Verfügbarkeit von Unterstützungs‐ oder Hilfsangeboten etc.), von der einige Gruppen, eben etwa suchtkranke Menschen besonders betroffen waren. Eine weitere Ursache könnte in der gestiegenen Reinheit der Substanzen liegen, die auch das Risiko für Überdosierungen erhöht. Hier ist aber hervorzuheben, dass sich die Substanzgruppen bzw. ‐kombinationen im Wesentlichen nicht verändert haben: Es dominieren weiterhin Todesfälle, bei denen (auch) Opioide festgestellt wurden. Neue Psychoaktive Substanzen (NPS) und stark potente Schmerzmittel wie Fentanyl bleiben weiterhin Einzelfälle.
Im ungünstigsten Fall, so Busch, könnte es aber auch ein Hinweis darauf sein, dass sich die Drogensituation bei den Jüngeren verschärft hat. Also, dass es wieder mehr Jugendliche und junge Erwachsene gibt, die vom risikoreichen Opioidkonsum und/oder durch besonders riskanten Konsum betroffen sind. Diese Entwicklungen spiegeln sich bisher nicht in den vorliegenden drogenspezifischen Behandlungszahlen wider. Es könnte daher sein, dass diese Gruppen (noch) keinen Kontakt zum Drogenbehandlungssystem gefunden haben.
Zusammenfassung und Ausblick
Insgesamt zeigt sich hinsichtlich der rezenten Entwicklung der Suchtsituation bezüglich illegaler Drogen, Tabak und Alkohol mit Ausnahme der drogenbezogenen Todesfälle ein relativ stabiles Bild.
Es gibt jedoch weiterhin Verbesserungspotenzial und auch neue Herausforderungen, etwa die deutliche Zunahme des Konsums von neuen Nikotinprodukten vor allem von Jugendlichen, die alternde Generation suchtkranker Menschen und vor allem Maßnahmen zur Verhinderung von Überdosierungen (z. B. Naloxonprojekte und psychosoziale Unterstützung (junger) Suchtkranker und riskant konsumierender Menschen).
Die Berichte stehen unter www.goeg.at zum Download zur Verfügung.
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