Warum werden Säkulare und Konfessionsfreie vom ORF ausgegrenzt?
Sehr geehrter Herr Generaldirektor Weißmann,
laut OTS vom 12. Januar 2024 haben Sie die Spitzen der 16 gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich zu einem Gedankenaustausch in den ORF-Mediencampus eingeladen. Dabei haben Sie die Bedeutung unabhängiger Religionsberichterstattung hervorgehoben.
In der Aussendung heißt es weiter: „Demokratie braucht … öffentliche Diskurse und starke Stimmen. Diese Stimmen braucht unsere Gesellschaft und die brauchen auch wir im ORF, um ein ORF für alle sein zu können.“
Das Diskursprinzip von Habermas besagt, dass Normen nur dann gültig seien, wenn sie „die Zustimmung aller Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses finden“. Alle Betroffenen sind in diesem Zusammenhang auch und vor allem die vielen Nicht-Religiösen in unserem Land, die unter den proaktiven normativen Aktivitäten von religiösen Gruppierungen leiden. Beispiele sind die Sterbe-Assistenz, die wieder aufkeimende Abtreibungsdebatte und der Ethikunterricht, der Kindern von religiösen Eltern vorenthalten wird, aber auch eine ganze Reihe anderer Themen, die wir gerne substantiieren.
Wenn Sie nun in besagter OTS betonen, dass Glaube und Religion im Leben vieler Menschen in Österreich eine wichtige Rolle spielen und daher im ORF einen großen Stellenwert einnehmen, dann vergessen Sie bitte nicht, dass die am stärksten wachsenden Gruppen die der Nicht-Religiösen, der Konfessionsfreien und der säkular Denkenden sind, derzeit rund 31 % der Bevölkerung ausmacht, das sind Mehr als das Zehnfache jener „starken Stimmen“, die Sie zu sich eingeladen haben.
Konfessionsfreie wollen niemanden von ihren Ansichten überzeugen, das heißt aber nicht, dass sie keine Interessen haben. Anders als die Religiösen haben sie in unserem Gemeinwesen keinen Schutz, keine wirksame Vertretung, die bei solchen Ereignissen eingeladen wird, und nicht nur keine starke, sondern gar keine Stimme, meist ausgeschlossen vom Diskurs, und das widerspricht Ihrem Leitsatz „ORF – für alle“.
Weder sind die Konfessionsfreien in den entsprechenden Gremien vertreten, noch sind sie im Programm ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entsprechend berücksichtigt, weil die Religionsabteilung sich nur für Religionen und nicht für Religionskritik und Nicht-Religiöse zuständig fühlt.
Doch Säkulare und Konfessionsfreie sind bei den Events nicht eingeladen, bei denen es sich um die „Abbildung des Querschnitts der Bevölkerung“ dreht. Wenn Sie nur alle Religionen einladen, so laden Sie damit gleichzeitig fast ein Drittel der Bevölkerung aus. Das kann auf Dauer nicht in Ihrem Interesse sein. Sie sind laut Gesetz verpflichtet, den ORF so zu führen, dass dem Bevölkerungsquerschnitt Rechnung getragen wird.
Ebenso sollten wir, wie in anderen Ländern bereits praktiziert, im Publikumsrat und in vergleichbaren Gremien vertreten sein.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Gradert
Präsident Humanistischer Verband Österreich
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