• 25.01.2024, 19:12:43
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  • OTS0144

Neutralität Österreichs: Expertenhearing zu Volkbegehren im Landesverteidigungsausschuss

Fraktionsübergreifende Einigkeit über Wahrung der Neutralität

Wien (PK) - 

Die Bekräftigung der immerwährenden Neutralität Österreichs ist das zentrale Anliegen eines von exakt 116.832 Bürger:innnen unterzeichneten Volksbegehrens, das heute im Rahmen eines Hearings im Landesverteidigungsausschuss debattiert wurde. Österreich soll demnach abermals erklären, dass es "in aller Zukunft" keinem militärischen Bündnis beitritt und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Staatsgebiet nicht zulässt. Zudem fordern die Proponenten ein weiteres entsprechendes Verfassungsgesetz (2171 d.B.).

Peter Bußjäger, Verfassungsjurist an der Universität Innsbruck, und Marcus Klamert vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts standen dem Ausschuss als Experten zur Verfügung. Sie sprachen sich gegen eine neuerliche und idente Verankerung der Neutralität in der Verfassung aus. Dies mache legistisch wenig Sinn, so Klamert.Laut Bußjäger hat die österreichische Neutralität aber durch den EU-Beitritt eine starke Einschränkung erfahren.

Unter den Abgeordneten herrschte fraktionsübergreifende Einigkeit darüber, dass die Neutralität erhalten werden müsse. Unterschiedliche Auffassungen herrschten jedoch bezüglich ihrer Ausgestaltung. Während sich etwa SPÖ, Grüne und NEOS für eine "Weiterentwicklung" der Neutralitätspolitik Österreichs im Sinne einer Verstärkung der internationalen Kooperationen aussprachen, sah die FPÖ durch solche Bestrebungen die Neutralität an sich gefährdet. Die ÖVP und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner betonten, dass die Neutralität Österreichs auch nach einer entsprechenden Wehrfähigkeit des Bundesheeres verlange.  

Vertreter des Volksbegehrens: Entscheidung des Volkes ernst nehmen

Der stellvertretende Bevollmächtigte des Volksbegehrens Werner Bolek erklärte im Ausschuss, dass man zwei Volksbegehren mit den Fragestellungen "Neutralität Österreichs Ja" und "Neutralität Österreichs Nein" zur Abstimmung für die Bevölkerung vorgelegt habe. Dabei hätten sich über 94 % der Unterzeichner:innen für den Erhalt der Neutralität im Rahmen des heute diskutierten Volksbegehrens ausgesprochen. Bolek appellierte an die Abgeordneten, "die Entscheidung des Volkes" ernst zu nehmen und die Neutralität nicht wie andere Volksbegehren "zu Grabe" zu tragen. Die österreichische Bevölkerung verstehe die Neutralität so, wie sie vor dem EU-Beitritt gelebt wurde.

Dem schloss sich der zweite stellvertretende Bevollmächtigte Anatolij Volk an. Für eine funktionierende Demokratie brauche es eine verbindliche Umsetzung von erfolgreichen direktdemokratischen Instrumenten. Was die Neutralität Österreichs betrifft, gebe es seit dem EU-Beitritt viele Fragezeichen, wie etwa die Beistandspflicht gegenüber anderen Mitgliedstaaten. Auch die Mitfinanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine sowie die Pläne zum Luftabwehrsystem Sky Shield entsprächen nicht den Vorgaben der Neutralität. Stattdessen solle Österreich seine Neutralität für Friedensverhandlungen einsetzen, so Volk.

Klamert: Unüblich, Gesetzesbestimmungen wortgleich zu wiederholen

Marcus Klamert vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts gab in seinem Eingangsstatement einen Überblick über die Entwicklung der österreichischen Neutralität vom zugrundeliegenden Bundesverfassungsgesetz (BVG) von 1955, aus der eine Nicht-Teilnahme an Kriegen resultiere, bis hin zum EU-Beitritt Österreichs. Durch den in diesem Rahmen hinzugefügten Artikel 23j, wirke Österreich an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) mit, was etwa auch Kampfeinsätze zu friedensschaffenden Maßnahmen sowie finanzielle Sanktionsmaßnahmen beinhalten könne. Für Klamert ist daher die aktuelle Form der Neutralität ein Zusammenspiel zwischen BVG, Artikel 23j und EU-Bestimmungen. Was die im Volksbegehren gestellten Forderungen betrifft, ändert laut dem Experten eine neuerliche Verankerung der Neutralität nichts an diesem Zusammenspiel. Es sei legistisch unüblich, Gesetzesbestimmungen wortgleich zu wiederholen, so Klamert.

Bußjäger: Österreichische Neutralität seit EU-Beitritt stark eingeschränkt

Auch Peter Bußjäger, Verfassungsjurist an der Universität Innsbruck sah keinen Bedarf an einer Wiederholung des ursprünglichen Verfassungsgesetzes. Laut dem Experten ist die Neutralität durch den österreichischen EU-Beitritt inhaltlich stark eingeschränkt worden. Bußjäger sieht keine Möglichkeit, in diesem Rahmen zur "alten Neutralität" zurückzukehren. Die künftige Form der Neutralität sei eine politische Frage, es brauche aber eine aktive Neutralitätspolitik, die "mehr als nur ein Schlagwort" sein müsse. Zum oftmals angeführten Vergleich mit der Schweiz hielt der Verfassungsjurist fest, dass auch dort der Sinn der Neutralität diskutiert werde, obwohl das Nachbarland nicht EU-Mitglied sei. Zudem habe sich auch die Schweiz den Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland angeschlossen.

Überparteiliche Einigkeit über Wahrung der Neutralität; Differenzen bei deren Ausgestaltung

ÖVP-Abgeordneter Friedrich Ofenauer dankte den Proponenten des Volksbegehrens, die bewirkt hätten, dass sich das Parlament erneut dem wichtigen Thema der Neutralität annehmen könne. "Etwas irritiert" habe ihn jedoch, dass die im Neutralitätsgesetz enthaltene Verteidigungsfähigkeit Österreichs im Volksbegehren keine Rolle spiele. Dies sei laut Ofenauer jedoch ein wesentlicher Punkt, da die Verteidigungsfähigkeit in den letzten Jahren nicht gewährleistet gewesen sei und erst jetzt wieder Beachtung finde.

Die Neutralität sei ein Teil österreichischer Identität und des "Fundamentes der Republik", konstatierte Robert Laimer (SPÖ). Er deutete das Volksbegehren im Sinne eines Wunsches der Bevölkerung nach einer friedvollen Zukunft, was angesichts der zahlreichen weltweiten Krisenherde verständlich sei. Ein Großteil der Österreicher:innen sehe die Neutralität als Garantin dafür, nicht leichtfertig in einen Konflikt hineingezogen zu werden. Die Sozialdemokratie stehe für eine weiterentwickelte und wehrhafte "Neutralitätspolitik 2.0", die durch internationales Engagement auch glaubwürdig sein müsse, so Laimer. Eine "Wiederholung" des Neutralitätsgesetzes sah er dahingehend nicht als erforderlich an.

Auch David Stögmüller von den Grünen sprach von einer Weiterentwicklung der Neutralität, deren Bedeutung sich auch mit der Zeit verändern könne. Er sah etwa die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht im Widerspruch dazu. Es gelte nun, die Resilienz des Bundesheeres zu stärken und dessen Verteidigungsfähigkeit an die aktuelle Gefahrenlage anzupassen. Dazu brauche es auch die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern, insbesondere hinsichtlich Beschaffungen und Energieversorgung.

Die Neutralität habe in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass Österreich seinen Wohlstand in Sicherheit und Frieden habe aufbauen können, hielt Gerhard Kaniak (FPÖ) fest. Umso kritischer sehe die freiheitliche Partei, dass die Bundesregierung vermehrt Schritte setze, die diese einschränkten. Kaniak verwies etwa auf die Sanktionspolitik der EU gegenüber Russland oder Österreichs Stimmverhalten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen bezüglich dem Krieg im Gaza-Streifen.

NEOS-Abgeordneter Helmut Brandstätter stellte sicherheitspolitische Überlegungen ins Zentrum seiner Ausführungen und betonte, dass Österreichs Neutralität eine militärische und keine politische darstelle. Daraus ergebe sich auch die Möglichkeit, mit anderen Ländern solidarisch sein zu können "und zu sollen". Brandstätter sprach von weiteren Expansionsbestrebungen Russlands, die Kooperationen, wie etwa im Rahmen des Luftverteidigungssystems Sky Shield, notwendig machen würden.

Die bewaffnete Neutralität sei Teil der völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs, antwortete Marcus Klamert auf dahingehenden Fragestellungen der Abgeordneten. Dazu gehöre auch die Aufrechterhaltung der Wehrfähigkeit des Bundesheeres, wie Peter Bußjäger ergänzte. Die Teilnahme Österreichs an Wirtschaftssanktionen erachteten beide Experten als neutralitätsrechtlich unproblematisch. Klammert verwies auf eine "dynamische Entwicklung" hinsichtlich des Verständnisses von Neutralität. Die internationale Kooperation im Rahmen von Sky Shield sah Bußjäger bereits "nahe am Militärbündnis", jedoch noch mit der Neutralität vereinbar, solange die Entscheidungshoheit über den Einsatz des Abwehrsystems bei Österreich liege.

Tanner: Neutralität muss auch "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" verteidigt werden

Nicht erst der Angriff Russlands auf die Ukraine habe der Frage der Neutralität und ihrer Ausgestaltung eine besondere Aktualität verliehen, konstatierte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner in ihren abschließenden Bemerkungen. Sie dankte sowohl den Proponenten des Volksbegehrens als auch den geladenen Experten, da sie in Erinnerung gerufen hätten, worum es bei der Neutralität grundsätzlich gehe. Ebenso wichtig sei es jedoch klar zu machen, dass diese Neutralität "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" auch verteidigt werden müsse, wie Tanner betonte. Sie zeigte sich erfreut, dass mit dem Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz (LV-FinG) das Bundesheer dafür wieder gerüstet werde, um seinem verfassungsrechtlichen Auftrag nachzukommen. So könne Österreich auch innerhalb der GASP ein "glaubwürdiger Partner" sein und kein "Trittbrettfahrer", erklärte Tanner. (Schluss) med/wit

Das Hearing wurde via Livestream übertragen und ist als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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