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Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 19. Dezember 2023. Von Christian Jentsch: "Wie man die EU über den Tisch zieht".

Innsbruck (OTS) - 

Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán fährt mit der EU regelmäßig Schlitten. Das wurde beim letzten EU-Gipfel wieder einmal deutlich. Dabei geht es nicht nur um die Ukraine-Politik.

Viel früher als selbst von den kühnsten Optimisten erhofft gab der EU-Gipfel Ende vergangener Woche grünes Licht für den Start von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Ein Schritt, der Kiew längst mit bedeutungsschweren Worten versprochen wurde – wohl wissend, dass diese Erklärung nicht viel mehr als einen symbolischen Akt darstellt. Es warten die Mühen der Ebene, die Beitrittsgespräche werden noch viel Zeit und politische Kreativität in Anspruch nehmen.
Die EU-Spitzen und die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten sprachen jedenfalls schon am ersten Gipfeltag von einem historischen Moment. Doch diese Erfolgsgeschichte hat einen Haken. Der rechtsliberale ungarische Regierungschef Viktor Orbán torpediert die EU-Perspektive der Ukraine nach Kräften. Daran hat sich auch am Gipfel nichts geändert. Und der Start von Beitrittsgesprächen muss von allen Ländern einstimmig beschlossen werden. Nur mit einem Verfahrenstrick – Orbán verließ nach Vorschlag des deutschen Kanzlers Olaf Scholz bei der entscheidenden Abstimmung einfach den Saal – konnte ein kolossales Scheitern des Gipfels verhindert werden. Eine tragfähige Einigung mit Perspektive sieht anders aus. 
Orbán weiß um seine Macht. Und die EU übt sich im Verbiegen, um den widerspenstigen ungarischen Premier doch noch irgendwie – auch mit Hilfe einer Toilettenpause, um nicht abstimmen zu müssen – zum Einlenken zu bringen.
Problematischer wird es, wenn es um die Grundwerte der EU geht. Natürlich rein zufällig hat die EU-Kommission am Vorabend des Gipfels zehn der insgesamt 31 Milliarden Euro an eingefrorenen Fördergeldern für Ungarn freigegeben. Diese Gelder wurden wegen eklatanter Verstöße gegen den Rechtsstaat einbehalten. Die EU-Kommission argumentierte nun, Budapest habe notwendige Reformen eingeleitet. Europaparlamentarier sprachen auf der anderen Seite von einem „Kniefall“ vor Orbán, auch von Schmiergeld für ein korruptes Regime war die Rede. 
Und dass Orbán weiß, wie er die EU erpressen kann, hat er auch beim Gipfel wieder unter Beweis gestellt. Er blockierte das vorgesehene 50 Milliarden Euro schwere Hilfspaket für die Ukraine. Hier gebe es von Seiten Ungarns nur dann ein Ja, wenn alle von der EU blockierten Fördergelder für Ungarn ausbezahlt werden.
Orbán weiß, wie er die EU über den Tisch ziehen kann. Mit irgendwelchen Tricks wird man dem Hemmschuh Orbán nicht beikommen. Da sollte man sich nicht in die eigene Tasche lügen. Und: Manchmal beschleicht einen das Gefühl, dass so manche in der EU Orbán ganz gerne gewähren lassen.


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