Mehrsprachigkeit wird in Österreich vielfach aus einer Defizitperspektive und verkürzt diskutiert. Ein breites Konsortium bestehend aus Arbeiterkammer Wien, Österreichischem Gewerkschaftsbund, Wirtschaftskammer Österreich, Industriellenvereinigung, Rotem Kreuz, Caritas Österreich und Wien sowie Samariterbund stellt nun eine Aktualisierung der Studie „Migration und Mehrsprachigkeit an Österreichs Schulen“ vor. Ziel war es, auf Basis der Bildungsstandard-Überprüfungen (BIST) genauere Einblicke in die Mehrsprachigkeit der Schüler:innen zu gewinnen und bildungspolitische Maßnahmen daraus abzuleiten. Die Studie belegt Kontinuität und Wandel in den Befunden zwischen 2012 und 2017. Daraus ergeben sich für das Konsortium gemeinsame Schlussfolgerungen und Maßnahmenvorschläge für bildungspolitische Reformen.
Die von Dr.in Barbara Herzog-Punzenberger in Mathematik (8. Schulstufe, 2012) erarbeitete Studie untersuchte Herkunftsländer, Familiensprachen, Familienmilieus, Kindergartenbesuch, Segregation, Selektion und Testleistungen von Schüler:innen. Der nunmehr vorgenommene Vergleich mit den Mathematik-Überprüfungen der 8. Schulstufe des zweiten BIST-Zyklus aus dem Jahr 2017 zeigt sowohl kontinuierliche Muster als auch Veränderungen:
Die Schüler:innenpopulation ist zunehmend durch Migration bzw. von einer wachsenden Diversität an Herkunftsländern geprägt. Wiesen 2012 noch drei Viertel der Schüler:innen zwei in Österreich geborene Elternteile auf, so waren dies 2017 nur noch gut zwei Drittel (68 Prozent). Auch der Anteil schulischer Quereinsteiger:innen nimmt in sämtlichen Bundesländern zu und betrifft nicht nur Migrant:innen aus Drittstaaten, sondern auch aus der näheren EU-Nachbarschaft Österreichs. Auch der Anteil jener Schüler:innen, die eine andere Erstsprache als Deutsch angeben, wuchs von 24 Prozent auf 29 Prozent und in allen Bundesländern. Angestiegen ist zudem in sämtlichen Bundesländern der Anteil jener mehrsprachigen Schüler:innen, die angeben, an Deutsch-Förderunterricht teilgenommen zu haben. Bei fast allen Herkunftsgruppen lässt sich auch ein Zuwachs eines mehr als dreijährigen Kindergartenbesuchs beobachten, in Abhängigkeit von den Angebotsstrukturen im Herkunftsland bzw. im Bundesland.
Konstant bleibt die Verteilung des elterlichen Bildungsstands zwischen im Inland und im Ausland geborenen Müttern. Letztere weisen einen deutlich höheren Anteil an Pflichtschulabsolventinnen und zumindest geringe Anteile gänzlich ohne Schulabschluss auf. Im Inland geborene Mütter haben hingegen doppelt so oft einen Lehrabschluss. Ebenfalls konstant sind die schulischen Selektionsmechanismen, wie etwa die AHS-Teilnahmequoten zeigen: Während bestimmte Herkunftsgruppen weiterhin höhere Anteile an AHS-Teilnahme als in Österreich geborene Schüler:innen aufweisen, liegen ressourcenschwächere Herkunftsgruppen nach wie vor deutlich darunter. Das zeigt sich auch in den Mathematiktestergebnissen. Diese haben sich zwar insgesamt leicht verbessert, weisen jedoch weiterhin dieselben Leistungsabstände zwischen den Sprachgruppen auf wie noch 2012.
Ausführlichere Datenaufbereitungen finden sich in Policy Brief 8 der Studie „Migration und Mehrsprachigkeit – Die Vielfalt an Österreichs Schulen“.
Download unter https://wien.arbeiterkammer.at/migration-und-mehrsprachigkeit
Bildungspolitische Schlussfolgerungen
Für das beauftragende Konsortium leiten sich aus diesen aktualisierten Befunden eine Reihe von Schlussfolgerungen für die weitere bildungspolitische Reformarbeit ab.
„In unseren Bildungseinrichtungen sollten Kinder sowohl Deutsch als auch andere Erstsprachen und Fremdsprachen lernen können. Damit die Förderung von Mehrsprachigkeit aber wirklich funktioniert, braucht es bessere Rahmenbedingungen in den Kindergärten und Schulen. Das heißt, erstens, genügend Ressourcen für Sprachförderung. Zweitens sollten Deutschfördermaßnahmen schulautonom so gestaltet werden können, dass sie ohne weitreichende Trennung von der Regelklasse auskommen. Auch der erstsprachliche Unterricht gehört ausgebaut und weiterentwickelt. Zusätzlich sollten an jedem Schulstandort auch Sprachbildungskoordinator:innen eingesetzt werden, die Pädagog:innen bei der Einbindung von Mehrsprachigkeit im Unterricht unterstützen“, betont Ilkim Erdost, Leiterin des Bereichs Bildung der Arbeiterkammer Wien.
„Österreich ist ein Land mit großer Sprachenvielfalt. Neben Deutsch werden in Österreich über 250 weitere Sprachen im Alltag verwendet. Für einen Wirtschaftsstandort, der stark auf Export baut, ist das eine besondere Ressource, die unbedingt besser genutzt werden muss. Für Pädagoginnen und Pädagogen können mehrsprachige Lernumgebungen allerdings sehr herausfordernd sein. Sie brauchen dafür Unterstützung und Begleitung, insbesondere in Form von entsprechenden Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten zu sprachlicher Bildung und Mehrsprachigkeit", unterstreicht Gudrun Feucht, Leiterin des Bereichs Bildung & Gesellschaft in der Industriellenvereinigung.
„In den elementaren Bildungseinrichtungen wird das Fundament für alle späteren Bildungserfolge gelegt. Jeder hier investierte Euro bringt langfristig den achtfachen volkswirtschaftlichen Nutzen; bei Kindern mit Migrationshintergrund fällt diese ‚Bildungsrendite‘ sogar noch deutlich höher aus. Deshalb sind uns die funktionierende, flächendeckende Kinderbetreuung und -bildung sowie bestmögliche Unterstützung der Elementar-Pädagog:innen so ein besonderes Anliegen: Frühe evidenzbasierte Sprachförderung schafft nämlich nicht nur gleiche Chancen für die Kinder. Sie ist darüber hinaus ein Gewinn für Eltern, Betriebe sowie den Standort und die Gesellschaft als Ganzes“, sagt Melina Schneider, Leiterin der Abteilung Bildungspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
„Mehrsprachigkeit braucht frühe und langfristige Förderung. Eine wirksame Sprachförderung muss schon frühzeitig im Kindergarten einsetzen und kontinuierlich in der Schule fortgesetzt werden. Nur dann ist sie nachhaltig. Ein durchgängiges Sprachförderkonzept vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe sollte künftig sicherstellen, dass die sprachliche Förderung ohne Brüche erfolgen kann“, hält Alexander Prischl, Leiter des Referates für Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik im Österreichischen Gewerkschaftsbund, fest.
„Um die Bedürfnisse mehrsprachiger Schüler:innen und Eltern ganzheitlich zu erfassen, sind multiprofessionelle Teams entscheidend, in denen auch freiwillige Mitarbeiter:innen eingebunden sind. Diese brauchen die Möglichkeit an themenbezogenen Fortbildungen teilzunehmen, bestenfalls direkt über die zuständige Aus- und Fortbildungsstelle der jeweiligen Bildungseinrichtung. Mit Verwaltungspersonal und externen Expert:innen sollten Lehrkräfte zusätzlich entlastet und mit wertvollem Know-How gestärkt werden“, betont Katharina Albrecher, Leiterin der Abteilung Bildungsprogramme des Österreichischen Jugendrotkreuzes.
„Ganzheitliche außerschulische Angebote wie die Lerncafés der Caritas unterstützen nicht nur beim Lernen, sondern ermöglichen den Aufbau sozialer Kompetenzen und gesellschaftlicher Teilhabe. Dafür brauchen sie eine stärkere finanzielle Unterstützung zur langfristigeren Absicherung dieser Angebote, ebenso wie eine Angleichung der Ausbildungsgrundlagen schulischer und außerschulischer Pädagog:innen und Berater:innen“, so Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich.
„Wertschätzung von Mehrsprachigkeit und Herkunftsvielfalt als Grundhaltung der Bildungseinrichtung heißt, auch die Sprachen und Hintergründe der Eltern zu berücksichtigen. Mehrsprachige Beratungsangebote außerhalb der Schule bieten Eltern wichtige Anlaufstellen, um Eltern und Schulen bei der Begleitung der Kinder zu unterstützen“, unterstreich Birgit Greifeneder, Leiterin der LernLEOS des Samariterbundes.
Detaillierte Ausführungen aller Maßnahmenvorschläge finden sich im Maßnahmenkatalog der Studie „Migration und Mehrsprachigkeit – Die Vielfalt an Österreichs Schulen“.
Download unter https://wien.arbeiterkammer.at/migration-und-mehrsprachigkeit
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Julian Bruns
06641525111
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