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TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: "Rechtsstaat, nicht der Galgen", von Wolfgang Sablatnig
Ausgabe vom Donnerstag, 7. September 2023
Schuldig und verurteilt, aber nicht in Haft? Diese Konstellation ist oft nur schwer zu verstehen. Die bedingte Haftstrafe gegen Florian Teichtmeister ist aber kein „Urteil der Schande“, sondern das eines Gerichts im Rechtsstaat.
Hängt ihn höher!“ Wie sonst wäre es zu verstehen, wenn Demonstrierende am Rande eines Prozesses einen Galgen mitführen. „Hängt ihn höher!“ Auf den Galgen haben sie sogar den Namen des Delinquenten geschrieben. Wenn sie sich auf eine Kunstaktion herausreden, wollen sie die Öffentlichkeit für blöd verkaufen. Es wird spannend, ob die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Galgens aufnimmt. Zwei Anwälte haben Anzeige eingebracht.
Der Prozess und das Urteil gegen den tief gefallenen Schauspieler Florian Teichtmeister lassen die Emotionen hochgehen. Kaum jemand bleibt unberührt. Viele – der Autor dieser Zeilen inbegriffen – sind froh, dass sie die „Grausligkeiten“ nicht selbst im Gerichtssaal hören mussten. Keine Meinung darüber zu haben, verbietet sich aber allein wegen der Prominenz das Mannes und der Vielzahl der „grausligen“ Bilder.
Die Tugendwächter von eigenen Gnaden im Internet hatten vor diesem Hintergrund viel Zeit, sich aufzustacheln. Das Ergebnis sind der Galgen, reißerische Schlagzeilen auf vorgeblich journalistischen Internet-Plattformen und die Titelseite eines Wiener Boulevardblatts: „Urteil der Schande“.
Nein, es ist kein „Urteil der Schande“. Es ist das Urteil eines Gerichts im Rechtsstaat. Und wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, ist eine Berufung möglich. Teichtmeister hat sofort akzeptiert. Auch die Staatsanwaltschaft stimmte nach einem Tag Bedenkzeit zu. Sie prüfte und sah keinen Anlass, eine strengere Strafe zu fordern.
Aber ja, mit (scheinbarem?) Hausverstand ist das Urteil nicht erklärbar. Der Strafrechtsprofessor Andreas Venier erklärt zwar ganz nachvollziehbar, warum er das Urteil sogar für „zu streng“ hält.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat aber ebenfalls einen Punkt, wenn er das Urteil „als Familienvater und Staatsbürger“ nicht versteht. Schuldig und verurteilt, aber nicht in Haft? Für Nicht-Juristen ist das nur schwer zu verstehen. Wobei: „Frei“ ist auch Teichtmeister nicht, angesichts der Auflagen und Kontrollen, denen er sich in den kommenden Jahren unterwerfen muss.
„Sperrt ihn ein?“ Welche Strafen angemessen sind, ist immer eine politische Entscheidung. Der Fall Teichtmeister war bereits Anlass für Verschärfungen, die demnächst Gesetz werden sollen. Der Fall Teichtmeister war aber auch Anlass, Kinderschutzkonzepte, Vorbeugung und Berufsverbote zu überprüfen und zu verbessern.
Das Ziel muss klar sein: „Schützt die Kinder!“ Das aber mit allen Möglichkeiten des Rechtsstaats, in den auch Täter vertrauen können – und nicht mit den Mitteln des Mobs und der Lynchjustiz.
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