• 07.07.2023, 11:00:34
  • /
  • OTS0064

„Krone“-Titelseite zu SPÖ-Wahlkommission kein Ethikverstoß

Wien (OTS) - 

Der Senat 3 des Presserats befasste sich mit einer Bildveröffentlichung auf der Titelseite der „Kronen Zeitung“ vom 07.06.2023 – die Überschrift dazu: „Die Kommission des Versagens“. Auf dem Bild werden die Mitglieder der SPÖ-Wahlkommission mit Fotos und Nachnamen gezeigt, im Begleittext heißt es, dass Michaela Grubesa, die Leiterin der SPÖ-Wahlkommission spät aber doch gestern ihren Rücktritt bekannt gegeben habe. Mit ihrem 18-köpfigen Team des Versagens verantworte sie den Super-GAU, einen falschen Sieger verkündet zu haben. Anschließend wird auf den dazugehörigen Artikel im Blattinneren verwiesen. Der Senat hat beschlossen, in dieser Angelegenheit kein Verfahren einzuleiten.

Mehrere Leserinnen und Leser wandten sich an den Presserat und kritisierten, dass die Mitglieder der SPÖ-Wahlkommission durch die Titelseite der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Es bestehe kein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung der Namen und Portraitfotos, zumal die Kommissionsmitglieder, darunter auch Privatpersonen, ehrenamtlich tätig gewesen seien.

Der Senat hält fest, dass die Titelseite ein Thema von großem öffentlichem Interesse behandelt: Nach der Wahl zum Parteivorsitz am SPÖ-Bundesparteitag wurde zunächst verlautbart, dass Hans Peter Doskozil die Mehrheit der Stimmen erhalten habe. Zwei Tage später gab die Leiterin der Wahlkommission überraschend bekannt, dass die Stimmen aufgrund eines Fehlers bei der „Übertragung in eine Excel-Liste“ vertauscht worden seien; in Wahrheit habe der Gegenkandidat Andreas Babler die Abstimmung gewonnen. Derart gravierende Unstimmigkeiten bei Wahlen zur Bestimmung des Vorsitzenden einer Partei sind für die Allgemeinheit von großer Relevanz; die korrekte Abwicklung von Wahlen ist auch aus demokratiepolitischer Sicht ein zentrales Thema (vgl. Punkt 10.1 des Ehrenkodex für die österreichische Presse).

Hinzu kommt, dass die Abgebildeten allesamt für die SPÖ in der einen oder anderen Form politisch aktiv sind, so der Senat. Politische Akteurinnen und Akteure genießen grundsätzlich weniger Persönlichkeitsschutz als Privatpersonen. Die Senate des Presserats haben bereits mehrmals festgestellt, dass auch Politikerinnen und Politiker auf lokaler Ebene in geringerem Ausmaß Anspruch auf Anonymitätsschutz genießen (Punkt 5 des Ehrenkodex).

Zwar kann der Senat die Kritik der Leserinnen und Leser bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen: Die Bezeichnung als „Kommission des Versagens“ ist für die namentlich erwähnten Abgebildeten unangenehm und blamabel. Der Senat betont jedoch, dass der Wahlkommission ein außergewöhnlicher Fehler beim Wahlvorgang am SPÖ-Bundesparteitag unterlaufen ist, der das Wahlergebnis (zumindest kurzfristig) umgedreht hat. Die Kommission ist daher ihrer ureigensten Aufgabe – der korrekten Auszählung der Stimmen – nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Das von der Zeitung aufgegriffene Thema betrifft auch nicht die Privatsphäre der Betroffenen, weil sich die Kritik auf die von ihnen übernommene Funktion für die Partei bezieht.

Nach Meinung des Senats hat sich die Kommission ihrer heiklen Aufgabe bewusst sein müssen, zumal die Auseinandersetzung um den Vorsitz der SPÖ über einen längeren Zeitraum durchaus hart geführt wurde und der Bestimmung des Bundesparteivorsitzenden wesentliche Bedeutung zukommt. Zudem bestand die SPÖ-Wahlkommission zum Zeitpunkt der Auszählung der knapp über 600 Stimmen aus 19 Mitgliedern – dass kein Mitglied der Kommission offenbar das Gesamtergebnis anhand der abgegebenen physischen Stimmzettel überprüft hat, ist nach Auffassung des Senats doch sehr ungewöhnlich. Vor diesem Hintergrund hat die von der Zeitung formulierte scharfe Kritik eine sachliche Grundlage.

In Anbetracht dieser Umstände sieht der Senat die Veröffentlichung der Fotos und Namen der Wahlkommissionsmitglieder und die wertende Bezeichnung als „Kommission des Versagens“ von der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND VON MITTEILUNGEN MEHRERER LESERINNEN UND LESER

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der drei Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig. Im vorliegenden Fall wurde der Senat 3 aufgrund von Mitteilungen mehrerer Leserinnen und Leser tätig und teilt seinen medienethischen Standpunkt. Die Medieninhaberin der „Kronen Zeitung“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats anerkannt.

Rückfragen & Kontakt

Alexander Warzilek, Geschäftsführer, Tel.: +43 - 1 - 23 699 84 - 11

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | OPR

Bei Facebook teilen
Bei X teilen
Bei LinkedIn teilen
Bei Xing teilen
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel